Das Geheimnis der Schatten. Viktoria Vulpini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viktoria Vulpini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791047
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genauso intensiv wie sie es eben noch getan hatte. Einen Moment lang beobachtete sie ihn, dann zog diese goldene Scherbe ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie lehnte sich etwas vor und betrachtete das merkwürdige Teil genauer. „Was ist das?”

      „Es sieht verflucht alt aus. Diese Zeichen habe ich auch schon einmal irgendwo gesehen, aber frag´ mich nicht mehr wo.” Schulterzuckend fuhr fort: „Zumindest sieht es verdammt wertvoll aus. Du solltest gut darauf achtgeben.”

      „Ich?” Ihre Stimme sprang bei diesem Wort direkt einige Oktaven höher und sie glaubte sich verhört zu haben.

      „Na wer denn sonst. Wenn ich mir ansehe, wie gut es versteckt war, dann ist es vermutlich besser, wenn es nicht irgendwelchen Idioten in die Hände fällt. Du kannst es ja erst mal wieder unter der Scheune verstauen.”

      Immer noch glaubte sie, sich verhört zu haben. Das Teil könnte Diebe anlocken, oder verflucht sein, irgendwo her musste der Schatten ja kommen. Wenn schon nicht aus ihrer Einbildung, dann vielleicht aus der Kiste. Fakt aber war, sie wollte das Ding auf keinen Fall hier haben.

      Sie blickte das goldene Teil an und dann Ramon, der breit und amüsiert grinste. „Warum grinst du so?”

      „Man kann deine Gedanken förmlich auf deinem Gesicht sehen.” Während er bei den Worten noch breiter grinste, gab sie ein genervtes Geräusch von sich. Solche unvorhergesehenen Dinge mochte sie schon seit Jahren nicht mehr. Dazu kam, das dies hier so total verrückt war. Diese ganze Suche nach der Kiste und deren Fundort; sie wollte das nur alles schnell hinter sich lassen und vergessen.

      Mit einem tiefen Seufzen schlug sie die Augen wieder auf, die sie für einen Moment geschlossen hatte, und beobachtete, wie er sich die Schriftzeichen genauer ansah. „Kannst du das lesen?”

      „Nein, ich habe nie die Zeit gehabt mich mit alten Schriften auseinander zu setzen, obwohl das sicher sehr interessant wäre. Im Moment versuche ich mich zu erinnern, wo ich diese Symbole schon einmal gesehen habe.”

      „Ich gehe ein paar Brote schmieren.” Da es ihr eigentlich nur darum ging, etwas Abstand zu gewinnen, wartete sie auch seine Reaktion nicht ab, sondern floh direkt aus dem Raum.

      In der Küche atmete sie tief durch, sie brauchte eine Auszeit in der Realität, ohne fremde Kerle, Schatten und merkwürdige Kisten. Ihr Blick fiel auf den Teller, der noch immer auf dem Küchentisch stand, und konnte kaum glauben, wie wenig Zeit nur vergangen war.

      Schnell beseitigte sie die Reste und schmierte Brote. Ein Brot nach dem nächsten, während ihre Gedanken noch einmal den Tag Revue passieren ließen. Erst als eine Hand sie daran hinderte, noch ein Brot aus dem Beutel zu nehmen, registrierte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie blickte verwirrt auf, es war normalerweise nicht ihre Art, sich so dermaßen ablenken zu lassen, dass sie nichts weiter mitbekam, aber sie hielt das für einen wichtigen Hinweis darauf, dass sie wirklich mit ihren Nerven für heute durch war.

      „Ich denke es genügt.”

      Vanessa blickte auf den Tisch. Er hatte Recht, dort auf dem Tisch lagen schon gut und gerne zehn geschmierte Brote, doch eigentlich hatte sie gar keinen Hunger. Eilig und etwas verlegen, verstaute sie den Rest wieder im Kühlschrank und nahm die Teller mit in die Stube. Die Kiste stand nun wieder geschlossen auf dem Boden neben der Couch. Kurz wollte sie fragen, ob diese riesige Kiste nur dieses eine Teil enthalten hatte, doch sie schwieg, wollte das gar nicht so genau wissen, zumindest nicht mehr heute. Schweigend aßen sie und es verging eine geraume Weile bis Ramon fragte: „Willst du darüber reden?”

      Völlig aus ihren Gedanken gerissen schaute Vanessa auf und blickte ihm ins besorgte Gesicht. „Ich wüsste nicht so genau worüber.”

      „Du wirkst, als würdest du ziemlich neben dir stehen.” Es klang vorsichtig, offenbar bedacht darauf, nicht in ein Fettnäpfchen zu treten.

      Sie antwortete, bevor sie darüber auch nur einen Moment nachgedacht hatte: „Ich bin einem Hirngespinst gefolgt und habe eine alte Kiste mit einem Stück Gold gefunden, auf dem komische Symbole sind.”

      Mehr sagte sie nicht, dass war aber auch nicht notwendig, denn er schien zu verstehen, was sie sagen wollte und erwiderte: „Nur, das es kein Hirngespinst war.”

      „Sondern?”

      „Vielleicht ein Geist, eine Art Energie, ein Zauber.” Sein Schulterzucken machte den Eindruck, als würde er das als völlig irrelevant empfinden.

      „Ein Zauber?!”

      „Du bist erwacht. Erste Regel für dein Dasein als Erwachte: Es gibt nichts was es nicht gibt. Jede Geschichte, jede Legende enthält mindestens ein Körnchen Wahrheit.”

      Sie fragte sich, ob er sie auf den Arm nahm, doch in seinem Gesicht fand sie keinen Hinweis darauf, dass er sie versuchte sie anzulügen. Geister, Magie, fehlten nur noch die kleinen grünen Männchen, um glücklich sein zu können, dachte sie zynisch.

      „Ist diese Vorstellung denn wirklich so viel schlimmer, als die Idee verrückt zu sein?”

      Die Worte waren wie ein Messer, das sich in ihr Herz bohrte. Für verrückt hatten sie alle gehalten und allein diese Erinnerung schmerzte sie ungemein. Doch war diese neue Wahrheit, wenn sie denn wahr war, auch wirklich besser? Würde ihr das irgendjemand glauben? Die Antwort darauf war kurz und sehr ernüchternd: Nein! „Es macht nicht wirklich einen Unterschied”, gab sie bitter zurück, doch er schüttelte nur seinen Kopf.

      „Es ist ein gewaltiger Unterschied für dich! Hör auf an die Träumer zu denken, die werden das nicht begreifen und es ist besser, wenn sie davon auch nichts mitbekommen. Lass sie in ihrer kleinen, einfachen Welt leben.”

      „Verrückt, erwacht, in beiden Fällen ist man ein Ausgestoßener.”

      Obwohl er den Eindruck machte zu verstehen was sie meinte, schüttelte er zu ihrer Überraschung den Kopf. „Da irrst du dich! Mit einer halbwegs normalen Gabe bist du in der Regel in der Lage zwischen den Träumern unentdeckt zu leben. Und du hast noch die anderen Erwachten. Sie sind überall. Du bist nicht allein.”

      „Ich bin noch keinem begegnet.”

      „Weil man die Träumer schlafen lässt. Das ist ein ehernes Gesetz. Das wichtigste Gesetz überhaupt. Die meisten Erwachten kommen aber auch aus erwachten Familien.”

      „Dann ist das ein genetisches Problem?”

      Einen Moment dachte er darüber nach, dann zuckte er die Schultern. „Das kann glaube ich keiner so genau beantworten. Es scheint zum Teil erblich zu sein, aber nicht ausschließlich. Es gibt Theorien, wonach eine Begabung in jedem schlummert und wenn man einen Träumer weckt, dieser sie in der Regel auch findet. Genauso gibt es die Idee, dass es wie ein Virus ist. Wenn man zu viel mit Erwachten zusammen ist, dann steckt man sich quasi an. Die letzte Theorie halte ich für Blödsinn, aber genau wissen tut es eben keiner.”

      „Du sagtest niemand mag euch, das bezog sich auf die Erwachten?”

      Zögernd nickte er. „Ja, sie haben Angst vor unseren Fähigkeiten, dabei sind sie nicht mal sonderlich spektakulär, wenn du mich fragst, aber es hält sich das Gerücht, dass wir alle durchdrehen und zu Mördern oder schlimmeren werden.”

      „Werdet ihr?” Sie hatte über die Frage nicht eine Sekunde nachgedacht und biss sich auf die Zunge, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte. Das war nun ganz definitiv weder sonderlich diplomatisch noch geschickt gewesen.

      „Nein, ich habe Venatoren kennen gelernt, die seit Jahrzehnten erwacht sind, und noch nie jemandem etwas getan haben, wenn sie dazu nicht gezwungen wurden.”

      „Gezwungen?”

      „Die Angst vor uns ist so groß, dass die meisten Erwachten einen Venator sofort töten, wenn sie seiner habhaft werden.”

      Entsetzen erfasste sie. Es fiel ihr schwer das zu glauben, so etwas konnte doch gar nicht wahr sein. „Ich verstehe das nicht”, gestand sie nach einer Weile. „Ich meine, was ist daran denn so beängstigend?”

      Er zuckte die Schultern. „Ich denke, das haben wir