Das Geheimnis der Schatten. Viktoria Vulpini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viktoria Vulpini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791047
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eher wie ein Echo, nicht so real, nicht so plastisch. Sie blickte sich um, es schien als habe dieser Laut keinen Ursprung, doch dann glitt ihr Blick über das Fenster und hinaus auf den Hof.

      Ihr Atem stockte und ihre Beine wurden weich. Sofort keimte Panik in ihr auf und sie wollte nur fortlaufen. Unter Garantie hätte sie das auch getan, wenn sie sich hätte bewegen können. Sie starrte hinaus. Dort war er. Ein schwer zu fassender schwarzer Schemen, wie eine Gestalt aus schwarzem, zusammenhängendem Rauch. Die Konturen waren nie fest immer in Bewegung, doch der Rauch war so dicht, das man nicht hindurchsehen konnte. Einen Moment verharrte dieses Wesen aus Finsternis und dann verschwand es blitzschnell im alten Scheunengebäude. Selbst als es schon wieder fort war, konnte sie ihren Blick nicht von der Stelle nehmen. Eisige Kälte kroch ihren Rücken hinauf und sie fühlte sich, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren.

      Erst eine Berührung an der Schulter holte sie wieder zurück in ihre Küche. Ramon hatte sich erhoben und war an sie herangetreten. Seine Hand lag auf ihrem Arm und er blickte sie alarmiert und besorgt an. Vanessa spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, die sie weg zublinzeln versuchte. Nun war es wichtig, dass sie eine verdammt gute Erklärung liefern konnte, doch ihr fiel einfach nichts ein. Wieder glitt ihr Blick auf den Hof. Das Wetter war schön und freundlich und doch der Anblick wirkte völlig surreal.

      Sie musste sich zusammenreißen. Sie musste dringend etwas sagen oder tun, aber sie konnte einfach nicht. Selbst der Mann vor ihr wirkte nicht real genug, um sich damit zu beschäftigen, und ihr Verstand glitt immer wieder zu dem eben Gesehenen und dem blanken Horror, den sie nun spürte.

      „Nessi!” Es war ein harter Laut, der ebenso surreal wie störend wirkte, gefolgt von einem unsanften Rütteln und einem leichten Schmerz, an ihrem Arm. Er hatte sie gepackt und wirkte weder sonderlich geduldig noch sonderlich vorsichtig. Die Berührung war unangenehm und holte sie damit wieder vollständig ins Hier und Jetzt zurück. Sie blickte in das Gesicht des Mannes, in seine schönen, haselnussbraunen Augen und nahm einen angenehmen Geruch wahr, den er verströmte.

      Langsam schüttelte sie den Kopf. „Ich…”, begann sie, führte den Satz aber nicht weiter.

      „Ist alles in Ordnung?” Diesmal klang die Stimme sanfter und der Druck an ihrem Arm ließ nach.

      Vanessa hatte nicht die Kraft zu lügen, aber die Wahrheit konnte sie auch nicht sagen und sie musste trotzdem irgendwie reagieren. Musste irgendetwas tun.

      Schließlich nickte sie einfach nur. Sie vermied es Ramon in die Augen zu sehen. Scham löste das Gefühl der Verzweiflung ab.

      „Kein Grund sich zu schämen. Sie sollten wohl nur lernen, mit ihrer Gabe besser umzugehen.” Es klang gelassen und ruhig. Irgendwie, als wäre das absolut nichts Besonderes. Sie blickte ihn verwirrt an. Keine Distanziertheit, keine herablassende Art war ihm anzumerken.

      Er ließ sie nun endgültig los und reichte ihr ein Glas Wasser. „Trinken Sie einen Schluck.” Gehorsam nahm sie es und leerte das Glas. Er zog einen Stuhl herum, so dass er nun direkt vor ihr saß, nahm ihr das Glas wieder ab und stellte es auf den Tisch. Mühsam versuchte sie sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, aber immer wieder glitten ihre Gedanken zu dem Gesehenen. Diese undurchdringliche Schwärze, die Kontur, die trotz der ständigen Bewegung immer noch irgendwie scharf war. Als hätte man mit einem Teppichmesser die Realität an der Stelle herausgeschnitten.

      Warme Finger massierten ihre rechte Hand. Ein sehr reales Gefühl, das ihren Fokus wieder zurück in diese Situation brachte. Diese Berührung wirkte wie eine Art Schutzschild, die sich wieder zwischen die Gegenwart und die Vergangenheit schob und es ihr ermöglichte komplett zurück zu kommen.

      Je stärker ihre Bindung zur Realität um sich herum wieder wurde, umso mehr wurde ihr bewusst, dass hier etwas gänzlich verkehrt lief. Unruhe machte sich breit. Die leichte Massage an ihrer Hand, die eben noch sehr zweckmäßig und angenehm war, wurde nun unangenehm. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Es war ewig her, dass sie so heftig reagiert hatte und jetzt war es nicht nur wieder passiert, sondern jemand hatte es mitbekommen.

      Sie atmete erleichtert auf, als Ramon ihre Hand schließlich losließ. Er blickte sie aufmerksam an, was ihr die Schamesröte ins Gesicht trieb. Sie war sowas von kaputt, ein richtiger Freak. Sie hatte es also nicht überstanden und wenn es einmal passiert war, würde es sicher auch wieder passieren. Ihre Welt brach in sich zusammen und es war ihr, als würde sie in ein tiefes, schwarzes Loch fallen.

      „Schauen Sie doch nicht so drein, als ob nun gleich die Welt untergeht.”

      Mit einiger Mühe und Kraft hob sie den Blick. Ramon lächelte. Er hatte leicht reden, ihre Welt ging unter, all ihre Hoffnungen lagen in einem großen Scherbenhaufen zu ihren Füßen. Eine Träne rollte über ihre Wange. Sie bemerkte es erst, als sie auf ihre Hand tropfte. Sie schluckte. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals.

      „Reden Sie mit mir, Vanessa.”

      Vanessa wusste nicht, was sie sagen sollte. Guten Tag, ich bin übrigens irre, deshalb hat man mich jahrelang eingesperrt. Das wäre zwar eine Möglichkeit, aber das brachte sie nicht über die Lippen, obwohl es der Wahrheit entsprach, wie sie bitter eingestehen musste.

      „Wir haben alle am Anfang so unsere Probleme mit unseren Gaben. Das vergeht. Sie müssen sie nur akzeptieren und lernen mit ihr zu leben.”

      „Gabe?”

      Ramon lächelte wehmütig. „Nun ja, oder Fluch, je nachdem aus welcher Perspektive man es genau betrachten will, aber man kann lernen damit zu leben, selbst mit den Schlimmsten von ihnen.”

      „Ich glaube ich verstehe nicht so ganz.” Eigentlich verstand sie gerade gar nichts. Machte er sich über sie lustig?

      „Wie genau äußert sich Ihre Gabe, Vanessa?”

      Ungläubig starrte sie ihn an. Glaubte er wirklich, sie würde ihm davon erzählen? Wie könnte sie denn? Das letzte Mal, dass sie dies getan hatte, hatte sie das ihre Freiheit gekostet. Ein Stich fuhr durch ihr Herz, als sie an diesen Verrat dachte.

      „Wie viel schlimmer, als ein Jäger, könnte es schon sein?”, fragte er und es klang beinahe, als wäre das die Krone der schlimmen Dinge.

      Sie wusste es nicht, aber hielt es für erheblich schlimmer, immerhin konnte man als Jäger jederzeit aufhören. Oder nicht? So langsam dämmerte ihr, dass das Wort vielleicht noch eine andere Bedeutung haben könnte. Sie hatte seinen verwirrten Blick gesehenen und auch jetzt machte das nur Sinn, wenn die Bedeutung noch eine andere war, die sie einfach nicht kannte.

      „Ich weiß es nicht”, gab sie zu. Sie fragte sich ob es wohl clever war einzugestehen, dass man nicht wirklich verstand, was er mit Jäger nun genau meinte.

      „Was haben Sie gesehen, Vanessa?”, fragte er sanft.

      Für einen Moment biss sie sich auf die Zunge, doch dann gab sie auf. Seine Reaktionen waren so ungewöhnlich, dass sie dem Drang nachgab darüber zu sprechen, auch wenn das höchstwahrscheinlich ein Fehler war. „Einen Schatten. Mitten auf dem Hof.” Sie atmete tief durch und fügte hinzu: „Nach einem Moment ist er in der Scheune verschwunden.” Kaum waren die Worte ausgesprochen, hätte sie sie gern zurückgenommen.

      „Sind sie ihm jemals gefolgt, Vanessa?”

      Die Frage hatte in etwa die Wirkung als ob man ihr einen Holzhammer vor den Kopf geschlagen hätte. Wieso sollte sie einem Hirngespinst jemals hinterher gelaufen sein? Seine Züge enthielten zu ihrer Verwunderung, keinen Spott, es sah beinahe so aus, als würde er das ernst meinen.

      „Schauen Sie nicht so, wenn Sie nicht genau wissen was Ihre Gabe ist, könnte das ein Anhaltspunkt sein.”

      Sie suchte vergeblich nach einem Anzeichen dafür, dass er sie auf den Arm nahm. Was wohl nur bedeuten konnte, dass er noch irrer war als sie. Na herrlich!

      „Gibt es niemanden in ihrer Familie, der eine ähnliche Gabe hat?”

      „Nein, ich bin die einzige Verrückte in meiner Familie, wenn man von meiner Uroma mal absieht, die glaubte eine Hexe zu sein, aber die habe ich nicht mehr kennen gelernt”