Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Nordländer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691907
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waren zwei Männer, es war schon dämmerig. Dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf. Schwärze. Plötzlich konnte ich den Schnee sehen. Wie winzige Sterne tanzten die Flocken um mich herum.“

      Cornelia richtete sich auf.

      „Geht es dir nicht gut?“, fragte sie und legte einen Arm auf seine Schulter.

      „Nein, überhaupt nicht. Das war ein Traum! Ein furchtbarer Traum.“

      „Oh, wie schrecklich“, fand Cornelia, nachdem er ihr alles erzählt hatte. „Ich kann verstehen, dass dich das mitgenommen hat.“

      „Mehr als das“, sagte Theo. „Es war alles so echt, als hätte ich es wirklich erlebt. Es kam mir so vor, als existierten in mir zwei Persönlichkeiten, ich und dieser Heinrich. Ich bin froh, dass ich am Ende übergeblieben bin.“

      Cornelia gab Theo einen Kuss.

      „Ich auch. Aber meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst mit deiner Anteilnahme an meinen furchtbaren Erlebnissen?“

      Es war das erste Mal, dass Cornelia eine ironische Bemerkung darüber machte.

      „Wie könnte ich dich damit allein lassen? Das tue ich alles aus Liebe, glaub´ mir. Dafür bin ich bereit, auch große Opfer zu bringen. Sagte ich nicht schon, ich werde dein Held sein?“ Dann lachte Theo. „Ich hoffe, du kannst jetzt trotzdem weiterschlafen.“

      „Mit einem Helden an meiner Seite bestimmt – es sei denn, ich träume jetzt von Heinrichs Frau.“

      „Das wäre tragisch.“

      „Mehr als das, wenn mein Traum genauso lebensecht wird.“

      Nun, das war nicht der Fall. Den kurzen Rest der Nacht wurde die Ruhe von keinem der beiden mehr gestört, weder durch einen verstörenden Traum noch durch ein anderes Ereignis.

      „Woher kommt denn das Blut auf deinem Kopfkissen?“, fragte Cornelia am nächsten Morgen erschrocken, als Theo sich im Bett umdrehte.

      Sie war sicher, dass es in der Nacht noch nicht da gewesen war. Der Fleck war handtellergroß, und als Theo ihn berührte, stellte er fest, dass es schon leicht angetrocknet war. Aber das Blut schien echt zu sein.

      „Keine Ahnung“, meinte er und betastete seinen Kopf.

      Zwar fühlte er eine klebrige Stelle in seinem Haar am Hinterkopf, aber eine Wunde entdeckte er nicht. Er hatte auch keine Schmerzen.

      „Seltsam“, sagte er leise und betrachtete seine Hand, an der Spuren von dem Blut klebten.

      Unter diesen Umständen wollte Theo nicht mehr im Bett bleiben. Er stand auf und ging ins Bad. Er hatte tatsächlich Blut im Haar, aber als er es ausgewaschen hatte, gab es keine Wunde. Er hatte keine Ahnung, woher das Blut kam.

      Inzwischen zog Cornelia das Kissen ab. Sie stellte fest, dass das Blut sogar durch den Bezug in die Füllung eingedrungen war. Das war ärgerlich, denn sie hatten keine Ersatzkissen in Weidlingen. Notgedrungen mussten sie es später wiederbeziehen, wenn das Blut trocken war und bei nächster Gelegenheit ein neues mitbringen.

      „Man könnte fast glauben, unser Blockhaus ist ein Geisterblockhaus“, sagte Theo, als er aus dem Bad zurückkam. „Bei all den seltsamen Dingen, die hier passieren. Wenn wir das im letzten Jahr geahnt hätten.“

      „Hör bloß auf damit“, erwiderte Cornelia halb im Scherz und halb mit Grausen. „Ich komme nie wieder hierher, wenn du das noch einmal behauptest.“

      „Es war doch ein Witz“, erklärte er, als hätte sie ihn nicht verstanden.

      „Aber ein verdammt schlechter“, stellte Cornelia humorlos fest.

      Sie zog sich an und ging ins Bad und dann in die kleine Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Kurz darauf kam Theo hinterher.

      Er hatte seine Bemerkung mit dem Geisterhaus weniger spaßig gemeint, als es sich anhörte. Dieses Mal war er selbst von den Ereignissen betroffen gewesen. Der Traum konnte nur ein Traum gewesen sein, obwohl er in seiner Art äußerst lebensnah wirkte und ihm auch jetzt noch so gegenwärtig war wie in der Nacht, als er aufwachte. Die Sache mit dem Blut war Theo aber alles andere als geheuer, da der Fleck an genau der Stelle auf dem Kopfkissen aufgetaucht war, an der es auch der Fall gewesen wäre, wenn Heinrich dort nach dem Überfall gelegen hätte. Und beides zusammen gab Theo mehr zu denken, als ihm recht war. Cornelia, die bei ihrem letzten Besuch in ihrem Wochenendhaus nach den unerklärlichen Erscheinungen beinahe fluchtartig davongefahren war, schien so ähnlich zu denken, denn Theo spürte, dass sie seine Worte tatsächlich nicht besonders lustig fand. Er ahnte nicht, dass sie das Blut auf seinem Kissen noch mehr erschreckt hatte, als sie zeigte.

      Beim Frühstück waren beide bemüht, über andere Dinge zu sprechen. Keiner von beiden erwähnte die unheimlichen Ereignisse auch nur mit einem Wort. Es kam aber auch nicht der Eindruck auf, als ob die beiden nach allem besonders bedrückt waren. Jeder von ihnen war (mit einigem Erfolg) bestrebt, dem anderen nicht zu zeigen, wie nachdenklich ihn die Ereignisse stimmten. Aber zum einen konnten sie vorerst nur wenig tun, um die Rätsel zu lösen, zum anderen wollte sie sich nicht gegenseitig durch laute Grübeleien die Stimmung vermiesen.

      Dazu gab es an diesem Morgen auch keinen Grund, wenn man von den Ereignissen in der Nacht absah, denn das sommerliche Wetter setzte sich fort. Schon in der Frühe war es angenehm warm draußen und die Vögel führten ein Heidenspektakel auf. Als die beiden sich dann nach dem Frühstück auf den Weg machten, war es schon sehr warm und die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel.

      Obwohl Theo vorgeschlagen hatte, sich noch einmal den Gedenkstein für den ermordeten Holzfäller anzusehen, versprach er sich nicht sehr viel davon. Er hatte es nur getan, weil er keine bessere Idee gehabt hatte, Cornelia aber zeigen wollte, dass er ihre beunruhigenden Erlebnisse ernstnahm, und inzwischen tat er es tatsächlich. Er hätte aber nicht zu sagen vermocht, welche Erkenntnisse er dort erwartete. Seine Hoffnung war, dass Cornelia vielleicht noch einmal etwas sah, was ihnen weiterhalf, und dass sie mit ihm in ihrer Nähe nicht wieder so schreckhaft darauf reagieren würde. Aber wegen dieser Hoffnung regte sich in ihm auch unterschwellig ein schlechtes Gewissen. Es kam ihm fast so vor, als benutzte er Cornelia als Köder, um die seltsamen Erscheinungen, von denen sie gesprochen hatte, aus der Reserve zu locken.

      Bis zu diesem Morgen hatte Cornelia ihre widerstrebende Gefühle, noch einmal zu dem Gedenkstein zurückzukehren, kaum gespürt, aber als sie das Haus verließen, machten sie sich unangenehm bemerkbar. Auf ihrem Weg wuchs ihr Unbehagen.

      6. Erste Spuren

      „Dort ist er“, sagte Cornelia und zeigte in die Büsche.

      Theo konnte nichts erkennen, aber das war auch kein Wunder, schließlich stand der Gedenkstein einige Schritte vom Weg entfernt und wurde von hüfthohem Farnkraut verdeckt. Nicht ohne Grund hatte Cornelia ihn nur durch einen Zufall entdeckt.

      „Nicht leicht zu finden“, meinte Theo.

      Cornelia ließ ihm den Vortritt.

      „Sei vorsichtig“, sagte sie.

      Dann, als sie vor dem Gedenkstein standen, war ihr Unbehagen aus einem unerfindlichen Grund wieder verschwunden, trotzdem hielt sie es für angebracht, ihren Freund zu warnen. Sie erinnerte sich noch gut an das unangenehme Kribbeln in ihrem Arm.

      Der Gedenkstein sah nicht anders aus als vor einer Woche, aber wie anders hätte er auch aussehen sollen? Theo hielt die Mahnung Cornelias trotz ihrer Schilderungen der Vorkommnisse für übertrieben. Er ging vor dem Stein in die Hocke, während Cornelia hinter ihm stehen blieb.

      Der größte Teil des Mooses, das Cornelia weggekratzt hatte, lag vor dem Stein, ein kleinerer auf seiner Spitze wie eine Kappe oder ein Haarbüschel. Theo strich mit seiner Hand über die Oberfläche. Cornelia hielt unwillkürlich den Atem an, aber nichts geschah. Der Stein verhielt sich so, wie man es von einem gewöhnlichen Gedenkstein erwarten konnte. Auch Theo las:

      Zum Gedenken an den Holzfäller

      Heinrich