Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Nordländer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691907
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sie würde ihren Freund kaum von ihrer Meinung überzeugen können, und wenn er über ihre sich verfestigende Überzeugung seine Besorgnis äußern würde, würde sie sich noch mehr erregen. Doch es konnte nur ein Friedensangebot auf Zeit sein.

      Ihre Unterhaltung folgte bald anderen Bahnen und schien in einen gemütlichen Fernsehabend (für Cornelia) und einen ebenso gemütlichen Leseabend (für Theo) überzugehen.

      „So kann es nicht weitergehen“, sagte Cornelia unvermittelt.

      Sie hatte eine Weile einer Fernsehsendung zugeschaut, ohne ihr wirklich folgen zu können. Geistesabwesend hatte sie über das rätselhafte Mädchen und die Umstände ihres unerwarteten Auftauchens nachgedacht. Schließlich hatte Cornelia einen Entschluss gefasst.

      Theo blickte von seinem Buch auf und sah Cornelia fragend an.

      „Was sagst du?“

      „Ich sagte, so kann es nicht weitergehen.“

      „Was?“

      Cornelia schaltete den Fernseher aus.

      „Ich will wissen, was da läuft. Ich will wissen, was dieses Mädchen von mir will und warum sich so plötzlich Geister für mich interessieren, obwohl ich weder jemals welche gesehen noch an sie geglaubt habe. Warum tue ich es jetzt auf einem Mal? Ich muss wissen, warum ich plötzlich von solchen Dingen umgeben bin. So etwas ist mir mein ganzes Leben nicht passiert, und jetzt sind sie da, und ich werde sie nicht mehr los. Was ist das für ein Scheißspiel?“

      Wieder hatte sie sich in eine unüberhörbare Erregung hineingesteigert, aber dieses Mal war nicht Theo der Grund. Er räusperte sich ein wenig ratlos, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. Für kurze Zeit musterte er seine Freundin, die ihren Kopf auf die Rückenlehne des Sofas gelegt hatte und mit versteinertem Gesicht an die Decke starrte. Dann räusperte er sich noch einmal. Cornelia ruckte mit dem Kopf vor und sah ihn unverwandt an.

      „Ich muss es wissen!“, wiederholte sie entschieden.

      Es war nicht der Zeitpunkt, sich mit Cornelia darüber zu streiten, ob sie wirklich von Geistern heimgesucht wurden, oder nicht. Wenn er jetzt wieder anfangen würde, daran zu zweifeln, würde er die Lage nur noch schlimmer machen. Er wusste, Cornelia rang mit ihrer Fassung, wahrscheinlich war sie über ihren Gefühlsausbruch am Vormittag selbst erschüttert gewesen. Also beschloss Theo, dieses »Scheißspiel«, wie sie es genannt hatte, mitzuspielen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo sie anfangen sollten, und er nach wie vor alles andere als überzeugt war, es mit Geistern zu tun zu haben.

      Nach einer ungemütlichen Zeit des Schweigens räusperte er sich ein drittes Mal.

      „Und was schlägst du vor?“, fragte er.

      „Ich weiß es noch nicht, ich habe keine Idee“, gab Cornelia zu.

      „Du glaubst aber, dass sie uns, oder besser dir eine Botschaft zukommen lassen wollen“, meinte er.

      „Warum sollte das Mädchen sonst versuchen, mit mir zu sprechen? Irgendetwas will sie mir sagen. Und es hat eine furchtbare Angst vor dem dunklen Schatten. Da bin ich sicher. Mir geht es ja genauso.“

      „Hältst du es für möglich, dass er versucht, sie davon abzuhalten, mit dir in Verbindung zu treten?“

      Cornelia nickte und ihr Gesicht verriet, dass ihr eine Erkenntnis gekommen war.

      „Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber du hast Recht. So scheint es zu sein. Sie wagt es nur, mit mir zu reden, wenn er nicht da ist. Und sie scheint vor ihm zu fliehen, wenn er auftaucht.“

      „Aber der alte Mann beschützt sie doch, wie du sagst.“

      „Es sieht so aus, ja. In Weidlingen war er aber nicht da, und in der Redaktion erschien er erst nach dem Schatten, und bis dahin schien das Kind weglaufen zu wollen.“

      „Weglaufen?“

      „Na ja, verschwinden, verblassen, wie immer man es bezeichnen will. Der Mann hat sie, glaube ich, davon abgehalten.“

      „Gut“, sagte Theo nachdenklich. „Ich sehe nur eine Möglichkeit, was wir tun können. Wir müssen, wir können nur darauf warten, dass sie deutlicher wird. Vielleicht würde es helfen, wenn du sie das nächste Mal entschieden wissen lässt, dass wir sie nicht verstehen können, wenn sie weiterhin so leise spricht.“

      „Aber das habe ich ihr doch schon gesagt.“

      Er überlegt kurz.

      „Ja, aber vielleicht hat sie es nicht verstanden. Oder sie kann tatsächlich nicht lauter sprechen. Vielleicht kann sie dir dann aber mit Gesten oder noch besser mit einer geschriebenen Botschaft klarmachen, was sie von dir will.“

      „Ich könnte es versuchen“, meinte Cornelia. „Vielleicht sollte ich -. Das ist doch Blödsinn. Sie wird kaum Zettel und Stift von mir verwenden können, schließlich ist sie ein Geist.“

      „Vielleicht gibt es Schreibutensilien für Geister“, überlegte Theo und bei jeder anderen Gelegenheit hätte er diese Vermutung spöttisch klingen lassen, doch jetzt versuchte er, seinen Worten einen ernst gemeinten Unterton zu verleihen. „Mach ihr den Vorschlag.“

      Cornelia sah nicht so aus, als wäre sie von dieser Idee überzeugt. Sie litt unter ihrer Hilflosigkeit. Wie sollte man mit Geistern umgehen? In diesem Augenblick fühlte sie sich sehr unglücklich. Und Theo litt unter einem wachsenden schlechten Gewissen. Er versuchte, mit Rücksicht auf seine Freundin Lösungen für ein Problem zu finden, das er nicht ernstnahm: Geister, die ihnen eine Botschaft übermitteln wollten. Cornelia hatte so etwas zwar schon mehrmals angedeutet, aber aus seinem Mund konnte eine solche Vermutung unmöglich ernstgemeint sein, schließlich gab es keine Geister, also gab es auch keine Mitteilungen von Geistern, oder etwa doch? Er weigerte sich, daran zu glauben, aber er begann, sich umso mehr Sorgen um seine Freundin zu machen. Sie war nicht verrückt, aber wenn sie Dinge sah, die andere nicht sehen konnten, dann war das nicht normal. Und wenn sie Dinge spürte, die andere nicht spürten, war es genauso wenig normal. Aber was konnte er tun? Er empfahl Cornelia behutsam, zu einem Psychologen zu gehen. Dieser Vorschlag war aber kaum ausgesprochen, da war ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte.

      „Spinnst du!“, fuhr sie ihn ärgerlich an. „Zu einem Seelenklempner? Die werden doch selbst mit ihrem Leben nicht fertig. Und ich finde es ziemlich mies von dir, wenn du behauptest, ich spinne. Ich denke mir das alles doch nicht aus, verdammt!“

      Theo wusste, dass er sich nicht sehr taktvoll ausgedrückt hatte, aber das lag nur daran, dass er sich absolut hilflos fühlte und nicht wusste, wie er Cornelia helfen konnte. Das akzeptierte sie zunächst als Entschuldigung.

      „Ich glaube, du liegst in deinen Ansichten ziemlich daneben“, meinte Cornelia, als sie sich wieder beruhigt hatte. „Und wenigsten in einem Punkt könnte ich dir das beweisen, wenn du dabei gewesen wärst. Du hättest sehen sollen, wie das Paar auf den alten Mann reagiert hat, wie es ihm aus dem Weg gegangen ist, ohne ihn offenbar zu sehen, und wie sie die gleiche Kälte spürten wie ich. Das war eine objektiv feststellbare Reaktion auf ein unsichtbares Ereignis. Also, selbst wenn vielleicht nur ich das Mädchen, den Mann und den Schatten sehen kann, reagieren doch auch andere darauf. Und gib es endlich zu, du hast es im Schlafzimmer auch getan, auch wenn du anscheinend nichts mehr davon wissen willst.“

      Das war ein Argument, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Und sie hatte Recht, wenn sie behauptete, dass er versuchte, es zu verleugnen.

      „Schon gut, ja, es ist wahr. Ich versuche, es zu ignorieren. Und ich glaube dir ja auch. Das, was ich als nicht normal bezeichnet habe, bezog sich ja auch gar nicht auf dich persönlich, sondern auf die Erscheinungen, die dich seit deines letzten Besuches in Weidlingen umgeben. Falls du sie jetzt plötzlich anziehst, kannst du diese Fähigkeit kaum als normal bezeichnen, oder? Und die Erscheinungen selbst doch wohl auch nicht.“

      Cornelia schüttelte den Kopf.

      „Kaum. Aber glaubst du wirklich, dass mir so ein überspannter Psychopath helfen kann?“

      „Nein, wohl kaum. Es war auch kein guter Vorschlag,