Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Nordländer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691907
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Dinge erlebtest, die mir fremd waren, wie den meisten Leuten, aber alles in mir sträubte sich daran zu glauben, dass es sich tatsächlich um Geistererscheinungen handelte. Für mein Verständnis durfte es so etwas nicht geben.“

      „Und? Hat sich das jetzt geändert?“, fragte Cornelia zweifelnd.

      „Seit heute, ja. Jetzt weiß ich, dass es sie gibt“, wiederholte er.

      „Und was schließt du daraus?“

      Theo zuckte mit den Achseln.

      „Fürs Erste kann ich nur sagen, dass Geistererscheinungen Realität sind, jedenfalls unsere. Und was ich heute erlebt, oder, was dem näher kommt, empfunden habe, war wirklich phänomenal. Aber was ich daraus schlussfolgern soll, weiß ich noch nicht.“

      Theo war sich überhaupt nicht klar darüber, wie phänomenal seine Beobachtung wirklich war. Zu Geistererscheinungen, hatte er gehört, kam es angeblich nur in der Dunkelheit einer Nacht oder eines finsteren Ortes, und dann konnten sie, gelinde gesagt, ziemlich beeindruckend sein. Tagsüber waren sie eher unwahrscheinlich. Dass er dabei auch eine deutliche psychische Ausstrahlung wahrgenommen hatte, war für ihn eine einmalige und noch dazu überwältigende Erfahrung. Aber was ihn dabei am meisten überraschte, war die Tatsache, dass Johannes´ Erscheinung keine Furcht bei ihm ausgelöst hatte. Dabei sollten Geistererscheinungen doch stets eine Furcht einflößende Wirkung auf ihre Umgebung ausüben. Im Fall von Cornelia hatte sich das ja auch bestätigt und für ihn bei der Erscheinung in ihrem Schlafzimmer ebenso, aber unter den Umständen dieser Begegnung fiel es ihm unerwartet leicht, die Erscheinung mit einer gewissen »Begeisterung« zu betrachten. Es ist unwahrscheinlich, dass er sie unter den Begleitumständen, unter denen sie in anderen Fällen auftraten, auch so gelassen ertragen hätte. In diesem Augenblick schien er seine Beklemmung bei dem Auftauchen von Johannes und Hannah in ihrem Schlafzimmer vergessen zu haben. Aber so wenig, wie er dieses Mal Furcht empfunden hatte, so sehr mangelte es ihm auch an Mitleid mit Johannes. Mitleid mit einem Geist war für ihn zu dieser Zeit genauso undenkbar, wie vor kurzem noch die Möglichkeit der Existenz von Geistern.

      Theos Erklärungen hatten Cornelia wieder etwas versöhnlicher gestimmt. Ihr war durchaus bewusst, dass er, so wie er über solche Dinge immer gedacht hatte, große Schwierigkeiten damit gehabt haben musste, sie zu akzeptieren. Ihr selbst war es ja schon schwergefallen, obwohl sie erdrückende Beweise erfahren hatte. Trotzdem hätte sie von ihm etwas mehr Aufrichtigkeit erwartet, auch wenn es sie gekränkt hätte. Aber dann musste sie sich eingestehen, dass er in der Absicht gehandelt hatte, ihren nervlich bedenklichen Zustand nicht noch zu verschlimmern. Und das glaubte sie ihm. Dann kam sie zu dem Schluss, dass Theo vielleicht doch nicht so ganz unaufrichtig gewesen war.

      „Also gut“, sagte sie. „Reden wir nicht mehr darüber.“

      „Bist du sicher?“

      „Wenn ich es sage. Stattdessen sollten wir versuchen, etwas mehr Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Des Rätsels Lösung liegt noch fern.“

      Theo blickte Cornelia amüsiert an.

      „Das hast du schön gesagt, aber du hast Recht. Viel mehr als vorher wissen wir auch jetzt noch nicht. Du sagtest, Johannes hat auf den Gedenkstein gezeigt.“

      „Ja, und ich finde es schade, dass es ihm nicht gelungen ist, uns mitzuteilen, was er wollte.“

      „Ich bin sicher, er hat es nicht ohne Grund getan“, meinte Theo nachdenklich. „Irgendetwas wollte er uns mitteilen, aber was? Anscheinend ist es ein besonderes Merkmal unserer geisterhaften Freunde, dass es ihnen nicht gelingt, mit uns verbal in Verbindung zu treten. Bei Hannah ist es schließlich genauso.“

      Unvermittelt blieb Cornelia wie angewurzelt stehen und hielt Theo am Ärmel zurück.

      „Was ist jetzt?“, fragte er erstaunt und blickte sich um. „Sind sie wieder da?“

      „Wir sind blind“, stellte sie fest, ohne auf seine Fragen zu antworten. „Dabei lag es spätestens, seit du deinen Traum hattest auf der Hand, dass Heinrich und Johannes nicht nur irgendwie in Verbindung stehen, sondern ein und dieselbe Person sind.“

      Theo blickte seine Freundin verdutzt an.

      „Ach ja? Wie kommst du jetzt darauf?“

      „Hatte ich dir die Erscheinung von Johannes nicht ziemlich genau beschrieben? Den Hut, den Vollbart, das rote Halstuch, sein Humpeln. Denk an deine vielleicht nicht ganz ernst gemeinte Behauptung, er wäre bestimmt ein Holzfäller. Und wie hast du mir Heinrich beschrieben?“

      Theo überlegte, dann nickte er.

      „Stimmt. Die Ähnlichkeit hätte mir auch auffallen müssen.“

      „Ja, Johannes und Heinrich sind ein und dieselbe Person. Jetzt verstehe ich, was er uns an dem Gedenkstein mitteilen wollte. Dass nämlich er der Heinrich Kreutzner war, zu dessen Gedenken der Stein aufgestellt wurde.“

      [Dass sie sich mit dieser Deutung seiner Geste irrte, konnte Cornelia zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Unter den gegebenen Umständen musste sie zu dem Schluss kommen, dass er einen Hinweis auf sein Erdenleben geben wollte. Sein wahrer Grund, und es war ein überaus schauriger, sie auf diese Weise auf den Stein aufmerksam zu machen, war ihnen vorerst noch verborgen. Aber wenn sie ihn gekannt hätten, hätten sie Heinrichs Trauer verstanden.]

      „Das hieße ja, Heinrichs Geist wäre schon 260 Jahre alt, vielleicht sogar noch älter“, sagte Theo.

      „Wenn Zeit für ihn überhaupt eine Rolle spielt.“

      „Warte. Du weißt, dass mein Traum in dem Fall noch mysteriöser wäre. Ich glaube nicht, dass er über mich kam, weil ich mich besonders intensiv mit Heinrichs Schicksal beschäftigt habe. Inzwischen scheint ja vieles möglich und so, wie ich mich nach dem Aufwachen gefühlt habe, war es am Ende mehr als ein Traum. Du hast mir vorgeworfen, dass ich dir deine Aussagen nicht in vollem Umfang geglaubt habe, und du hattest Recht damit. Mal sehen, ob du mir jetzt glaubst. Das, was ich denke, verlangt einiges an Vorstellungskraft.“

      Theo unterbrach sich kurz und ließ seine Worte auf Cornelia wirken. Sie sah ihn erwartungsvoll an.

      „Was hältst du von meiner Vermutung, dass ich den letzten Tag im Leben des Heinrich Kreutzner miterlebt habe? Dass ich es mir gar nicht aus meiner Phantasie heraus vorgestellt habe, sondern es eine Seelenreise durch die Zeit war, und ich am Tag seines Todes sozusagen Kopilot in seinem Körper war, er am Ende aber stark genug war, um mich wieder `rauszuschmeißen. Deshalb habe ich nur sehr verschwommene Erinnerungen an die letzten Stunden in seinem Leben.“

      Cornelia sah Theo verblüfft an. Plötzlich fing er an zu lachen.

      „Jetzt solltest du dein Gesicht einmal sehen“, meinte er vergnügt. „Ich glaube, jetzt sind wir quitt. Ich meine es ernst. Dieser Traum war kein gewöhnlicher Traum. Ich glaube nicht einmal, dass es überhaupt ein Traum war. Ich werde dir etwas verraten, was dir vielleicht sogar den Atem verschlägt. Hinter all den Erscheinungen und unseren Erfahrungen steckt viel mehr. Das alles ist ein Teil der Botschaft, die uns die Geister mitteilen wollen. Sie müssen es gar nicht in Worten ausdrücken. Wir müssen das Puzzle nur richtig zusammensetzen, um die Botschaft zu verstehen.“

      „Du glaubst, hinter allem steckt mehr als das zufällige Zusammentreffen von übersinnlichen Erscheinungen?“, fragte Cornelia zweifelnd.

      „Davon bin ich überzeugt, obwohl ich noch weit davon entfernt bin, die Zusammenhänge zu begreifen.“

      „Das ist doch völlig verrückt“, meinte Cornelia. „Aus welchem Grund sollten die Geister versuchen, uns eine Botschaft zu übermitteln?“

      Dass Hannah schon mehrmals versucht hatte, ihr etwas mitzuteilen, war Cornelia durchaus klar, aber der Gedanke an eine tiefsinnige Botschaft war ihr noch nicht gekommen.

      „Ich sagte doch, dass ich es noch nicht begreife. Aber genauso muss es sein. Und irgendwo gibt es eine Verbindung zwischen ihnen und uns.“

      Schweigend und nachdenklich gingen sie nebeneinander her. Jeder von den beiden hing seinen Gedanken nach.

      Plötzlich