Während die beiden Männer sprachen, hatte Aranxa viel über die Prinzessin und das Leben im Schloss erfahren. Es störte niemanden, wenn sie zuhörte. Man hielt sie für so bedeutungslos wie ein Möbelstück nur billiger. Und niemanden stört es, wenn ein Ohrensessel lauscht.
Aranxa träumte oft vom Schloss. Manchmal waren ihre Träume so lebhaft, dass sie sich am Morgen fragte, ob sie in der Nacht vielleicht wirklich durch die prachtvollen Säle geschritten war. Die Räume und Gänge mussten gewaltig sein. Ihre Deckengemälde und Stuckarbeiten erschienen Aranxa im Traum jedes Mal so hoch wie die Sterne am Himmel. Selbst die Möbel im Schloss waren offenbar für Riesen geschaffen, Es gelang Aranxa nie über die Tischplatten hinwegzusehen. Die Schränke waren gewaltige, hölzerne Riesen. Aber trotz all dem liebte Aranxa die Pracht des Schlosses – das warme Gold, das strahlende Silber und die bunt schillernden Edelsteine. Am meisten liebte sie aber die Prinzessin. Sie war eine Frau mit anmutigen, edlen Gesichtszügen. Ihre Augen strahlten Wärme und Liebe für Aranxa aus, die ihr zu Füßen saß. Die Prinzessin hatte langes, blondes Haar, braune Augen und eine gerade, schmale Nase. Ihr Gesichtsausdruck war stolz, doch voller Wohlwollen und Güte. Aranxa konnte nach dem Erwachen nie verstehen, weshalb die Prinzessin Menschen wie Hohr an ihrem Hof duldete. Doch dann schalt sie sich stets eine dumme Ziege, denn schließlich war alles nur ein Traum gewesen. In Wirklichkeit mochte die Prinzessin eine Hexe mit einem Buckel und schiefen Zähnen sein.
Aranxa wusste nichts von Michael, dem Guten Träumer. Michael wusste nichts von Aranxa. Doch er würde ihren Traum erfüllen.
III.
Der Traumlord stand am Fenster und blickte hinaus. Sein Blick war kalt und starr geradeaus nach Norden gerichtet. Irgendwo dort hatte sich ein kleiner Käfer aufgemacht, die Spinne aus ihrem Netz zu vertreiben. Es war verrückt, aber es war die Wahrheit. Der Traumlord war sich sicher, dass kein Mensch wusste, wer er war, wo er war und wie groß seine Macht war. Aber es gefiel ihm dennoch nicht, dass sich einer der Gemeinen aufgemacht hatte, ihn zu besiegen.
Anfangs hatte der Traumlord geglaubt, ein Besessener wäre unterwegs zu ihm. Einer, dessen Träumen er nicht hatte habhaft werden können, weil sie von seinem realen Denken nicht zu isolieren waren. Ein Besessener wäre kein Problem für ihn gewesen, denn er konnte seine Träume nicht im Zaum halten. Später hatte der Traumlord angenommen, der Wirrkopf, der ihn besiegen wollte, war einer, dessen Träume er einfach vergessen hatte zu nehmen. Dies wäre schnell nachzuholen gewesen. Schließlich begriff er, dass da einer aufgebrochen war, dessen Träume so groß und so vielfältig waren, dass er sie einfach nicht hatte nehmen können. Und genau das war ein Problem!
Der Traumlord blickte nach Norden, von wo der Wirrkopf kommen würde und dachte über seine bisher vergeblichen Bemühungen nach, diesen auszuschalten.
Er hatte es im Dorf Toulux versucht, als dieser Träumer zum Weisen Stephan vorgedrungen war. Er hatte ihm ein ganzes Rudel wilde Hunde auf den Hals gehetzt. Es waren allesamt wilde Bestien gewesen, die den Träumer ohne Probleme in Stücke gerissen hätten. Aber dieser hatte nicht gezögert, sich eines hinterhältigen Tricks zu bedienen, um ihn, den Traumlord, zu überlisten. Er hatte seinen Hunden ein Paar Löwen entgegengestellt, die auf ihre Weise genauso blutrünstig wie die Hunde waren. Es waren große, schlanke Tiere von königlicher Eleganz und tänzerischer Geschmeidigkeit. Sie waren wie Furien zwischen die Hunde gefahren und hatten das Rudel in weniger als einer Minute zerschlagen und verjagt. Der Traumlord hatte diese heroischen Löwen nur schwer verwunden. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ihm etwas einfiel, wogegen diese Könige der Tierwelt machtlos sein würden.
Doch das Monster, das er, der Traumlord, gesandt hatte, als der Träumer gerade im Wald der ewigen Finsternis war, hatte ein Ritter vernichtet, den man den Weißen Ritter nannte. Der Traumlord fluchte leise. Danach wandte er sich vom Fenster ab, verließ den Turm und stieg die Wendeltreppe hinab zur Maschine.
Die Maschine summte leise, so als summe sie ein monotones Lied vor sich hin. Sie blinzelte dem Traumlord aus Lampenaugen verschwörerisch zu. Nur er verstand, was sie zu sagen hatte. Er glaubte nicht, dass noch ein Mensch im Reich wusste, wie man zur Maschine sprach.
IV.
Als der Gute Träumer die Lichtung erreichte, hatte sich die Sonne bereits seit zwei Stunden hinter den Horizont zurückgezogen. Im Wald hatte die Finsternis der Ewigkeit geherrscht und Michael hatte sich bei der Suche nach dem rechten Weg vor allem auf die Instinkte seines Pferdes verlassen. Endlich hatte sich das Dach aus Ästen über seinem Kopf gelichtet und den Blick auf einen klaren Sternenhimmel und einen Mond im ersten Viertel freigegeben.
Michael hatte ein Feuer entfacht, seine Decken auf dem Boden ausgebreitet, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es keine Skorpione und Spinnen gab, und sich danach niedergesetzt und ein einfaches, aber stärkendes Mahl begonnen.
Während er Brot und Wurst verzehrte und zwischendurch in einen Apfel biss, dachte er an den bisher zurückgelegten Weg. Er war vor nicht ganz zwei Wochen in seinem Heimatdorf Ramos aufgebrochen, um den Traumlord zum Kampf zu stellen und zu besiegen. Niemand hatte ihn ausgesandt. Die Menschen in Ramos waren alle ihrer Träume beraubt und daher nicht in der Lage, eigene Entscheidungen von solcher Tragweite zu treffen, wie jene, einen Mann auszusenden, um ihren Peiniger zu vernichten. Sie, die Männer und Frauen von Ramos, waren ebenso wie die meisten Menschen im Reich gerade noch in der Lage zu entscheiden, wann sie Essen und Trinken mussten, um nicht zu sterben, und dass sie den Befehlen des Traumlords gehorchen mussten, um keine Schmerzen oder den Tod zu erleiden.
Der Vater des Guten Träumers, ein stattlicher und schöner Mann, dessen Traum viele glückliche Kinder waren, war vom Schwert eines Ninja getötet worden, den der Traumlord ausgesandt hatte. Michaels Vater hatte einfach nicht mehr den Willen aufgebracht, sich aus dem Bett zu erheben, um seine Arbeit auf den Feldern des Traumlords zu tun. Er hatte im Bett auf seine Träume warten wollen, die ihm gestohlen worden waren. Deshalb hatte der Traumlord ihn ermorden lassen. Er nannte das ‚ein Exempel statuieren‘. Das war geschehen, bevor Michael entdeckt hatte, dass seine Träume stark genug waren, die des Traumlords zu besiegen.
Das hatte er erst begriffen, als die Sache mit Luisa geschehen war. Luisa war einmal das Mädchen des Guten Träumers gewesen. Sie hatte immer davon geträumt, Tänzerin und Schauspielerin zu werden. Sie hatte sogar Talent, jedenfalls glaubte Michael das noch immer. Aber dann hatte man ihr die Träume gestohlen, und sie war zu einer billigen Schlampe geworden. Jeder hatte sie haben können, der ihr im Wirtshaus nur einen Schnaps spendierte. Weil sie schön war, bekam sie viel Schnaps.
Trotzdem hatte Michael nie ganz aufgehört, sie zu lieben. Er hatte gewusst, dass nicht Luisa selbst, sondern der Traumlord an ihrem neuen Schicksal die Schuld trug.
Eines Tages hatte er gesehen, wie ein Ritter der Dunklen Garde Luisa aus dem Wirtshaus herauszerrte. Es war ganz offensichtlich, dass er sie zu seinem Pferd bringen wollte, um sie zu verschleppen. Luisa mochte zu einer verkommenen Hure geworden sein, doch so verdorben, dass sie es für einen von der Dunklen Garde getan hätte, war sie nicht. Michael konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mädchen so verdorben sein könnte. Luisa hatte sich gewehrt, hatte dem Ritter das Gesicht zerkratzt und ihn gebissen. Sie hatte sich gebärdet wie eine tolle Hündin, obwohl sie sich bei anderen Männern eher wie läufig aufführte. Schließlich war sie doch auf dem Pferd des Ritters der Dunklen Garde gelandet.
Da hatte Michael zum ersten Mal den Weißen Ritter herbeizitiert. Er war erschienen, hatte den fremden, dunklen Ritter besiegt und Luisa befreit. Luisa war noch in derselben Nacht aufgebrochen und in ein Kloster