I.
Der Wald wurde zunehmend dunkler und unwirklicher und Michael, der Gute Träumer, wusste, dass er ihn niemals nachts durchstreifen durfte. Aber mittlerweile sank bereits die Sonne und die Abenddämmerung kündigte sich an wie eine böse Fee. Es wäre an der Zeit gewesen, diesen Wald zu verlassen, aber um umzukehren, war es vermutlich zu spät, und eine Lichtung oder gar das Ende des Waldes waren nicht in Sicht.
Als Michael auf seinem Weg in den Wald hineingeritten war, hatte dieser sich grün, sonnig und freundlich gezeigt. Bunt schillernde Regenbogenvögel waren durch die Luft geschwirrt und hatten ihren einförmigen Ruf erschallen lassen. Ein langgestrecktes Seufzen, das an einen Liebhaber erinnerte, den es zu seiner Geliebten zieht. Man vermutete lachende Kinder, die sich hinter den hohen Stämmen verbargen und Heidelbeeren von den Büschen naschten, bis sie blaue Lippen und blaue Finger hatten.
Inzwischen aber zeigte sich der Wald als finsterer Dom, in dem Käuze und Uhus mit dumpfen Stimmen um Vergebung beteten. Die Kronen der Bäume schlossen sich über Michael zu einem festen Dach, das ewige Dämmerung für diesen Teil des Waldes bedeutete, aber er wusste, dass die Sonne tatsächlich langsam im Westen versank. Er spürte deutlich, wie die Gestalten der Nacht zögernd aus ihren Verstecken krochen und den Wald zunehmend in Besitz nahmen. Ihn fröstelte, obwohl er in warme Wollsachen gekleidet war.
Aber was der Gute Träumer wirklich fürchtete, waren nicht die realen Tiere, die in der Nacht diesen Wald bevölkern würden. was ihm zu schaffen machte, war die Vorstellung, dass ihn dieser Teil des Waldes lebhaft an einen Alptraum erinnerte. Dieser Wald sah plötzlich aus, als würde hinter jedem Stamm ein Troll oder ein Goblin hocken, als würden riesige Schlangen im Geäst der Bäume lauern und sich langsam auf einen Reiter hinabsenken. Das Unterholz, ein Verhau undurchdringlich wie die Mauern von Sameth, rückte beharrlich näher und näher dem Pfad zu. Bald würde dieser verschwunden sein, und dann wusste er wirklich nicht, wohin er sich wenden sollte. Dieses Unterholz war gewiss bevölkert von Spinnen groß wie Suppenteller. Michael wollte nicht darüber nachdenken, was eventuell noch in diesem Gewirr aus Ästen, Dornen und Schlingpflanzen hockte und lauernd aus grünen Augen auf ihn blickte. Er wusste, dass dieser Wald zuerst ein ganz gewöhnlicher Wald gewesen, aber dann düsterer und unwirklicher geworden war, je tiefer er in ihn eingedrungen war. Inzwischen war es der Wald eines furchtbaren Alptraums, und das bedeutete, dass wahrscheinlich der Traumlord hinter allem steckte, und genau das machte ihm Angst.
Es knackte hinter Michael im Unterholz und er fuhr herum. Er riss dabei so heftig am Zügel, dass sein Pferd sich aufbäumte und ihn beinahe abgeworfen hätte. Aus dem Unterholz flog etwas auf. Es war kein Kauz, aber fast so groß. Die Flügel waren allerdings die eines Hautflüglers. Michael atmete auf, als das geflügelte Tier sich in entgegengesetzter Richtung entfernte. Er war kein Kämpfer, kein Held. Er war nur ein Guter Träumer, vielleicht der letzte. Viele hatten ihre guten Träume verloren. Der Traumlord hatte sie ihnen geraubt und sie vegetierten hilflos dahin. Michael wandte den Blick von dem sich entfernenden Riesenhautflügler ab und sah wieder nach vorn auf den Pfad. Da sah er das Monster.
Das Wesen war noch fünfzig Schritt entfernt und sah gewaltig aus. Michael wusste sofort, dass es genau die Art von Gräuel war, wie sie der Traumlord ausschickte, um seine Gegner zu beseitigen. Es sah nicht nur aus, als wäre es einem Alptraum entsprungen, es war tatsächlich so. Es war groß und unförmig und aus der Entfernung wirkte es irgendwie träge. Aber der Gute Träumer war sich ziemlich sicher, dass es äußerst flink sein würde, wenn es darum ging, einem Gegner den Kopf abzubeißen oder die Gedärme herauszureißen. Das Wesen stampfte auf sechs Säulenbeinen unaufhaltsam näher und stieß die links und rechts des Weges wachsenden Bäume einfach um. Es tat dies mit der Leichtigkeit einer Kugel, die Kegel umwirft. Michael begriff, dass er nur wenig Zeit hatte, um zu handeln. Er spürte schon den heißen Atem des Monsters in seinem Gesicht. Er hätte die Ledermaske aufsetzen können, aber das würde ihm so wenig nützen wie ein Degen gegen einen Wirbelsturm. Was er jetzt wirklich brauchte, war ein Guter Traum.
Michael, der Gute Träumer, schloss die Augen und blickte tief in sich hinein.
Als er die Augen wieder öffnete, war der Weiße Ritter an seiner Seite und bereit, mit dem Monster zu kämpfen. Michael hatte den diesen schon einmal kämpfen sehen und hoffte, dass er das Untier besiegen würde.
Der Weiße Ritter saß in aufrechter Haltung, den Blick entschlossen nach vorn gerichtet auf einem schlohweißen Pferd, dessen Nüstern Feuer spien wie die des Monsters. Bei jedem ungeduldigen Hufschlag des Pferdes stoben Funken auf. Der Weiße Ritter trug eine silberglänzende Rüstung, in der sich die Strahlen