Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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stehen! Denn das ist uns genauso wichtig wie ihnen! Wie ist eigentlich ihr Name?“

      Etwas verdutzt, geradezu unsicher, schaute der Angesprochene Kollege des Störtebeker drein. Dann aber reagierte er, hatte sein zuvor gespielte Rolle wieder fest im Griff. Degoth fiel in diesem Augenblick auf, dass der am rechten Oberarm drei Narben hatte. So, wie Chantal sie gestern bei dem wohnsitzlosen Herumtreiber, dem Raimund, entdeckte. Gibt es da einen Zusammenhang, fragte er sich? Während er sich diese Gedanken machte, fing der Schauspieler an zu reden.

      „Mein Name ist Herrmann. Ich bin auch ein Nachfahre des Störtebekers. Um es vornweg zu sagen, in unserer heutigen Zeit hat seine damalige Vorgehensweise absolut kein Berechtigung mehr. Aber in der Zeit in der er lebte, da war es sicher der richtige Weg. Schließlich wurden die einfachen Bürger als Leibeigene gehalten und schamlos ausgenutzt. Die Reichen wurden reicher, die Armen ärmer! Dazu wurden sie, wie meinem Vorfahren, oft Dingen bezichtigt, die nicht zutrafen. Doch sie mussten parieren, hatten keine Chance was zu ändern. Daher rührt im Grunde die Veränderung von Störtebeker zur Gesellschaft Ende des vierzehnten / Anfangs des fünfzehnten Jahrhundert. Er suchte seinen Weg und rächte sich an den Reichen, dafür gab er aber den Armen was ab. Ich finde, er hat recht getan und war mutig. Und noch eins, befinden wir uns heute nicht bald in einer ähnlichen Situation?“

      Jetzt schwieg er, biss sich auf die Lippen, als hätte er über das Ziel hinausgeschossen. Unerkannt blieb dies bei den Ermittlern nicht. Das iPad lässt grüßen! Degoth ergriff jedoch unverzüglich wieder das Wort:

      „So gesehen stimme ich zu, aber sehen das alle so, auch ihr Kollege Störtebeker?“

      „Für ihn kann ich nicht sprechen, fragen sie ihn selbst. Ich weiß nur, dass der Störtebeker aus dem Mittelalter in die Neuzeit einfach nicht übertragen werden kann und darf! Überdies, was könnte ich verändern, die damalige Zeit eh nicht, wie? Ich bin froh mit meiner Familie ordentlich leben zu können und mit Betrug oder gar Morden nichts zu tun zu haben!“

      „Aber wer redetet denn von Morden?“, wandte Scholtysek kritisch ein. „Davon haben wir in den wenigen Minuten unseres Gesprächs nie geredet. Wie kommen sie darauf?“

      „Na ja, er hatte doch damals angeblich auch gemordet, oder? Mein Ahne meine ich. Aber es war aus Notwehr, so wie ich es aus den Überlieferungen kenne.“

      „Ja, schon, doch wer erinnert sich an diese Vorgänge im Detail? Es war keiner dabei! Wir leben heute und haben andere Lebensweisen als damals!“, so Degoth nachhakend. Herrmann stutzte erneut und fuhr sich mit seinem Handrücken über den Mund, der trocken geworden schien. Es war seine Nervosität, die ihn wieder von der Rolle brachte. Sofort ergriff Scholtysek wieder das Wort: „Wie kommen sie eigentlich auf Mord? Das lässt mich einfach nicht ruhen. Sollte ihnen da was zu Ohren gekommen sein, dann reden sie.“

      „Ja sagen sie mal, was fällt ihnen eigentlich ein mit mir so umzuspringen? Sie sind schließlich nicht die Polizei.“

      „Genau das sind wir“, reagierte Scholtysek der seinen Ausweis nun direkt vor seine Nase hielt! Die Gesichtsfarbe des Störtebeker Ahnen wechselte von gesundem Rot auf aschfahl! Mit solche einem Vorfall rechnete er an dieser Stelle absolut nicht. Und er, Kriminaloberrat Stefan Scholtysek, Chefermittler der Rügener Polizei, legte seine Stirn in Falten und schaute ihm in seine Augen. Ja, er wollte ihn provozieren. Dass es ihm gelang, zeigt die augenblickliche Sprachlosigkeit des Mannes. Er brauchte einige Sekunden, bis er erwiderte: „Gut, ich habe mich da etwas ungeschickt ausgedrückt, aber mit Mord habe ich weder was am Hut, noch weiß ich von einem Mord. Wieso auch? Die Insel ist doch diesbezüglich glückselig. Als Rügener habe ich von Ermordungen mein ganzes Leben nichts gehört. Und das sind immerhin fünfundvierzig Jahre!“

      „Das haben wir ihnen doch gar nicht unterstellt, sie haben es ins Spiel gebracht. Aber Schluss damit. Wo finden wir nun ihren Vetter?“

      „Schauen sie mal in den Aufenthaltsraum. Wenn sie hier die Treppe hoch gehen, im ersten Stock, nehmen sie die erste Tür auf der linken Seite. Vielleicht hält er sich dort auf.“

      Das Ermittlerteam ging die Treppe hinauf. In dem Augenblick schrillte das Mobiltelefon. „Scholtysek, wer spricht?“

      „Heller. Chef ich bin es nochmals“, begann er etwas umständlich.

      „Was läuft bei euch, gibt es Neuigkeiten. Oder warum rufen sie nach der kurzen Zeit wieder an?“

      „Nun, der Unbekannte tauchte auf. Er kam vor wenigen Minuten tatsächlich mit seinem Boot zurück. Mit dabei war der sogenannte andere Unbekannte. Es stellte sich heraus, dass es ein Kellner von dem Restaurant der Seebrücke in Sellin ist. Sein Name ist Noll, Hubertus Noll.“

      „Gut, gut.“ Er machte eine Pause. „Aber wie heißt nun der Bootsbesitzer?“

      Das vergaß er in der Eile doch wirklich dem Chef zu sagen. Schnelle steuerte er nach: „Hans Friedrichs ........ “

      „Hans Friedrichs? Also Hans Friedrichs“, wiederholte er? „Hm..., das ist nicht gerade viel. Ja und weiter? Konnten sie die Männer schon näher befragen?“

      „Das haben wir sofort aufgegriffen. Das Boot haben wir auch eingehend untersucht, aber da war nichts Verdächtiges zu finden. Der Friedrichs sprach nur von einem Transport von Sellin nach hier. Da sie sich gut kennen hätte der Noll ihm heute geholfen.“

      „Nun gut, mag ja alles zutreffen. Was haben die eigentlich transportiert? Stellen sie mal diese Frage. Vielleicht reagieren sie dann ganz anders.“

      „Das haben wir natürlich Chef, aber da kam nix raus. Wir können ja schließlich nichts nachweisen.“

      Dummerweise vernachlässigte er die Frage, warum sie sich am Strand Sellins gestern trafen.

      „Lassen sie von der Spurensuche eine genaue Analyse machen und im Labor untersuchen. Und vergessen sie ja nicht von den beiden Männern Fingerabdrücke zu nehmen. Die DNA `s sind uns wichtig. Am besten auch von dem ..., wie heißt der nochmals?“ „Frederiksen, Conrad Frederiksen Chef!“

      „Genau, den meine ich. Da ist doch sicher etwas faul! Wir sollten unbedingt unsere kriminaltechnischen Möglichkeiten voll ausschöpfen. Nochmals, holen sie sich Unterstützung bei Carsten Meyer, dem Chef der Spurensicherung.“

      „Ja Herr Kriminaloberrat, wird sofort veranlasst. Dann warten wir noch hier oben, bis die Herren eintreffen.“

      „Prima, dann tun sie dies.“

      Obwohl Heller, der Kriminalhauptkommissar, nicht danach fragte, fing sein Chef an von Ralswiek zu berichten.

      „Vielleicht interessiert es sie! Bei uns gibt es noch nichts Aufregendes. Gerade suchen wir den zweiten Störtebekernachfahren. Den wollen wir ebenfalls verhören. Vielleicht ergeben sich weitere Bausteine in dem Puzzle. Und noch eins, wir sollten mit dem präzisen Laserscanner den Fundort des Skelettes von gestern aufnehmen und dabei möglichst eine Spheronkamera, sie wissen schon, die hochauflösende Spezialkamera, einsetzten lassen. Vielleicht können wir damit später die Spuren besser bewerten. Quasi ein Beitrag, stumme Zeugen wieder zum Reden zu bringen, wie es so salopp heißt. Und übrigens, die Rechtsmedizin hat mit der Untersuchung des Skeletts endgültig begonnen. Das läuft also. Dr. Matthias Müller, der Leiter, hat es mit vorhin bestätigt.“

      Scholtysek betrat mit Degoth den Raum im ersten Stock. Freundlich grüßten sie in die Runde der etwa dreißig Frauen und Männer. Den Ausschank in der Nähe sahen sie gleich. Sie gingen darauf zu und bestellten Kaffee mit zwei Stückchen Obstkuchen. Während die Bedienung alles herrichtete fragten sie, ob ein gewisser Störtebeker im Raum säße.

      „Ja, der ist da. Schauen sie dahinten am Tisch in der rechten Ecke, direkt vor dem Flügelfenster. Der Mann mit dem vollen schwarzen Haar. Er trägt einen Schnauzer und sitzt alleine am Tisch.“

      Sie nahmen ihre Tabletts und gingen an den besagten Tisch.

      „Guten Tag, dürfen wir uns zu ihnen setzten?“, so Scholtysek.

      „Na klar, bitte sehr“, antwortete der Herr in einem freundlichen Ton!

      Sie