Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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es Selbstmord gewesen sei.

      „Aber, wenn ich mir das recht überlege“, sprach Scholtysek weiter, „könnte einiges, was über lang Jahre ungeklärt blieb, tatsächlich damit in Verbindung gebracht werden. Lassen sie mich nochmals rekapitulieren! Spurlos verschwanden einige Bürger. Ungeklärte schwere Raubüberfälle stehen noch in den Akten der Ermittler. Jetzt der Leichenfund in den letzten Tagen. Und schließlich das Skelett am Strand Sellins. Also, leichtgläubig bin ich nicht, alleine schon von Berufs wegen, aber hier steckt mehr dahinter!“

      Degoth stimmte zu und folgte weiter seinen überzeugenden Worten. Ihm wurde klar, bevor er in den

      „Fall“ richtig einsteigen konnte, musste er umfangreiche Informationen erhalten. Anders war das nicht zu bewältigen. Der Kriminaloberrat Scholtysek oder wie seine Mitarbeiter ihn meist nannten, der KOR, blieb am Ball und redete weiter.

      „Ach wissen sie Degoth, der Fall steht erst am Anfang. Da werden wir noch viele Fragezeichen machen müssen! Offen, unvoreingenommen an die Sache ran zu gehen, ist für uns Kriminale eh oberstes Gebot. Da können wir mit Indizien nichts anfangen; mein Weg ist es in keinem Fall. Ein Indizienprozess ist ein Spiel mit dem Feuer. Warum werden sie sich fragen! Ganz einfach, weil sie den Fall letztendlich nie ganz los werden. Zweifel, ob der oder die Verurteilte berechtigterweise sitzen, kann keiner ausräumen. Deshalb halte ich mich an die Regel: Im Zweifel für den Angeklagten, nicht für die Indizien.“

      „Scholtysek, das trifft auch meine Überzeugung. Warten wir also die ersten Ergebnisse der Rechtsmedizin einfach ab. Mord oder Selbstmord wird ja, was der aktuelle Leichenfund betrifft, bestimmt festgestellt werden. Oder? Viel komplizierter wird es sicher bei dem Skelett. Trotzdem, ich bin zuversichtlich , dass uns die Rechtsmedizin in beiden Fällen schon Wege zur Lösung aufzeigen wird. Was meinen Sie?“

      Scholtysek nickte zunächst stumm. Also, hier waren sie sich schon mal einig. Das war, so stieg es Degoth in den Sinn, ein vielversprechender Start für die anstehende Zusammenarbeit. Gerade kam Heller von dem Anlegeplatz zurück und berichtete, dass der Liegeplatz Nummer einhundert fünfzehn auf einen gewissen Friedrichs reserviert sei, und die Plätze links und rechts jeweils einem Inhaber von Ladengeschäften aus Sellin zur Verfügung stünden. Die jedenfalls seien bekannt und jederzeit erreichbar. Dagegen sei ihnen ein Friedrichs völlig unbekannt. Der wachhabende Polizist der Wasserschutzpolizei versprach aber, mit seinen Kollegen erneut die Sache zu recherchieren. „Vielleicht haben wir ja Glück und es bringt uns weiter. Wohin auch immer......“, waren seine Worte.

      „Prima Heller, da haben wir ja den Fall professionell aufgegriffen. Gut so und wenn wir mehr über einen Friedrichs wissen, knöpfen wir uns den ohne Umschweife vor.“ Das sagte er so engagiert, dass seine beiden Nasenflügel sich aufblähten.

      „Unbedingt“, konstatierte Degoth, „die Spurensicherung ist das A und O. Aber dies, Scholtysek, wissen sie ja sicher selbst am Besten.“ Ein Lächeln zog über sein Gesicht, spitzbübisch und er presste seine Lippen zusammen, dass nur noch ein schmaler Strich davon zu erkennen war. Sie beendeten ihre Überlegungen. Schließlich war es weit über zwanzig Uhr geworden. Da hatte der Sommer doch große Vorteile! Einer zusätzlichen Erläuterung bedurfte es nicht. Morgen, so verabredeten sie, wollten sie sich um zehn Uhr im Präsidium Bergen wieder zusammen setzen. Dann, so erhofften sie, lägen wohl weitere Erkenntnisse vor, die Ermittlungen in verschiedenen Richtungen ermöglichen würden. Er, Degoth, wollte natürlich dabei sein, so war es mit dem Kriminaloberrat Scholtysek besprochen. Zehn Uhr war auch eine passable Zeit, sagte er sich, so dass sie nicht allzu früh auf die Insel kommen mussten.

      Mittwoch, 30. Juli 2008

      Als der Wecker läutete lag Michel Degoth bereits wach in seinem Bett. Er kniff seine Augen, noch unentschlossen, ob er wach werden wollte oder nicht, fest zusammen. Dabei fragte er sich, ob er aufstehen sollte oder ..... Chantal, die neben ihm im Bett lag, schlief noch selig. Als nächster Gedanken kam ihm gleich das gestrige Geschehen wieder in den Sinn. Nicht zuletzt deshalb, weil er schließlich in den Rügener Kriminalfall professionell eingebunden wurde. Er lächelte, denn er wusste, dass er es mal wieder drauf angelegt hatte beteiligt zu werden. Bei der umfangreichen Sachlage, befand er, sei es ja eine spannende Geschichte. Gott sei Dank hatte er eine ruhige Nacht. Jetzt blinzelte er in den noch halbdunklen Raum und erinnerte sich sofort an den bevorstehenden Termin mit Kriminaloberrat Scholtysek. Schleunigst stieg er, dadurch angespornt, aus seinem Bett. Etwas schlaftrunken torkelte er ins Bad. Wortkarg wie er morgens stets war, freute er sich alleine seine Morgentoilette verrichten zu können. Doch gerade zurück im Zimmer, schwankte ihm Chantal doch schon entgegen. Sie war eben aufgestanden. Als er bemerkte, dass sie im schlaftrunkenen Zustand beinahe gegen die Tür zu schlagen drohte, hielt er ihr schnell die Badezimmertür auf, sie flüsterte bloß: „Danke Chérie!“ Denn sie war der Meinung, er wollte bloß, wie immer, höflich sein. Jetzt lächelte er sie an, sagte aber keinen Ton. Es dauerte heute nicht so lange wie sonst, gerade mal dreißig Minuten, bis sie wieder vor ihm stand. Und kurz danach verließen sie schweigsam das Hotel.

      Das Restaurant gegenüber lag schon in der frühen Morgensonne. Mitteilsam war Degoth heute während des Frühstückes wirklich nicht. Aber auch seine Frau schaute ihn bloß, mit der ihr morgens eigenen Mimik, von der Seite an. Nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten, standen sie lakonisch auf und nahmen den Weg zum Parkplatz. Ihren Sportwagen sahen sie bereits von Weitem. Im Grunde war es etwas zu früh schon nach Bergen zu fahren. Denn gerade schlug die Uhr des Kirchturms viertel vor neun. Schließlich war der vereinbarte Termin mit Scholtysek erst für zehn Uhr angesetzt. Doch Michel wollte pünktlich sein. Gerade beim ersten Termin, sagte er sich.

      Der Chefermittler Scholtysek stieg gerade aus seinem Wagen, als der flotte Sportwagen von Degoth um die Ecke bog. Der sportliche Sound erzeugte seine Aufmerksamkeit, deshalb drehte er sich um und sah seinen Co – Ermittler. Der wiederum erkannte an der spezifischen Autonummer, dass es sich um ein Dienstfahrzeug vom Kriminaloberrat handelte. Aufeinander zugehend, begrüßten sie sich freundlich.

      „Gehen wir zunächst in mein Büro Degoth“, sagte Scholtysek und räusperte sich.

      „Meine gute Seele wird den Kaffee schon bereit halten“, schob er nach.

      Chantal ging derweil ihrem großen Hobby nach. Sie „bummelte“ vergnügt durch die Fußgängerzone.

      Heller, der erste Offizier, wartete schon im Besprechungszimmer. Mit dabei war sein Mitarbeiter und Kollege, Kriminaloberkommissar Heinz Christmann. Er war der zweite Polizeioffizier, der im Präsidium kurz als KOK bekannt war. Den guten Morgenkaffee von Frau Ruth Ofenloch, der Chefsekretärin, tranken sie genüsslich. Dabei erörterten sie die Vorfälle von gestern. Skelett, Tage davor die Leiche, die mysteriösen Kerle auf dem Steg und schließlich der verlotterte Mann auf der Uferpromenade der Degoth um Hilfe bat. Gerade warteten sie auf erste Ergebnisse der Rechtsmedizin, damit der Fall oder waren es gar mehrere unterschiedliche Fälle, sinnierten sie immer wieder, zielgerichtet angegangen werden konnte.

      „Also gehen wir rüber Degoth. Ich hoffe, dass Heller und Christmann weitere Ergebnisse vorlegen können.“

      Als sie den Besprechungsraum betraten standen die beiden Offiziere am Fenster und unterhielten sich angeregt.

      „Das ist Kriminaloberkommissar Christmann. Als Stellvertreter von Kriminalhauptkommissar Heller und selbständiger Gruppenführer, haben wir gestern noch verabredet, dass er ebenfalls von Beginn an in den Fall eingebunden sein soll.“

      „Macht Sinn!“, nuschelte Degoth in die Runde, als wäre er schon Jahre im Team.

      Sie erfuhren, dass von der Rechtsmedizin noch keine verwertbaren Spuren vorlagen. Schon gestern, als sie sich darüber unterhielten, hatten sie nur vage Hoffung gehegt, dass heute in der Frühe schon etwas verwertbares vorliegen könnte.

      „Da haben wir Pech. Ich kenne die Probleme seit Jahren. Es brennt uns zwar stets auf den Nägeln, aber es muss schließlich auch Hand und Fuß haben. Obwohl die Spürnase auf Sturm steht“, beschwichtigte Heller, der spürte, dass es einer Erklärung bedurfte. Das verstand auch Degoth. Und er meinte: „Sollten wir nicht mal selbst bei dem Leiter der Rechtsmedizin vorsprechen?“