Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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Übrigen kenne ich den Kollegen dort sehr gut. Er ist mein Pedant in der Rechtsmedizin, allerdings auch der Zuverlässigste den ich kenne. Also, keine Sorge was das betrifft. Wir erhalten die Ergebnisse schon. Und pingelig wie er ist, exakte.“ Drückte er dann geflissentlich nach. Scholtysek bat Heller zu berichten, was sich in den ersten beiden Stunden dieses Arbeitstages sonst ermitteln ließ. Schnell stellte sich heraus, dass die Wasserschutzpolizei den Eigentümer des Liegeplatzes ermitteln konnte. Zumindest namentlich. Ein Kollege bestätigte später, dass es in der Tat einem gewissen Friedrichs gehöre. Er hätte ihn schon mehrmals, soweit er sich erinnern könne, immer vom Landesteg Richtung Nationalpark Jasmund fahren sehen. Diese Erkenntnis half so gesehen allerdings auch nicht viel weiter.

      „Nun gut“, räusperte sich Scholtysek nach einer Schweigeminute“, aber er muss doch eine Adresse haben, einen ständigen Wohnort oder so, wenn er als Eigentümer eingetragen ist.“

      Christmann schaltete sich ein: „Ja, die wurde gerade durchgegeben. Es ist tatsächlich eine Adresse im Nationalpark.“

      „Was heißt Nationalpark? Das erstaunt mich irgendwie. Erst kürzlich erfuhr ich, dass dort keine Menschenseele wohnt! Geht er dort einer Arbeit nach? Wenn ja, welcher? Also, sputen sie sich und finden es schleunigst heraus, meine Herren. Schließlich könnte es ein konkreter Ansatz für die weiteren Ermittlungen ergeben.“

      Das wollte und konnte sich Degoth nun nicht mehr mit anhören. Er ergriff unaufgefordert das Wort:„Glauben sie wirklich, dass der Nationalpark Jasmund als Tatort eine Rolle spielt?“

      „Das ist nicht ausgeschlossen, wir müssen allen Hinweisen auf den Grund gehen. Das müssten sie doch wissen ....... Sherlock Holmes!“, gab der Polizeichef zu Besten.

      Es brach zwar ein schallendes Gelächter aus, aber davon ließ Degoth sich nicht aus der Ruhe bringen. An dessen Stelle berichtete er von der späten Begegnung am gestrigen Abend.

      „Also ein Raimund stellte sich mir gestern Abend, gerade als wir auf der Uferpromenade auseinander gingen, in den Weg. Nein, er war nicht provozierend, aber sein Gebärden erzeugte bei mir schon eine gewisse Herausforderung. Er erklärte, dass er als Tagelöhner seit vielen Jahren auf der Insel lebt. Dann berichtete er, dass er gestern das Skelett unter dem Steg der Landungsbrücke liegen sah. Zu diesem Zeitpunkt sei dies aber jedenfalls noch nicht eingepackt gewesen.“

      „Wieso ist ihm dann an der besagten Stelle überhaupt etwas aufgefallen?“

      „Ganz einfach: er stöbert stets dort rum und durch das schräg einfallende Licht, dass richtig mysteriös aussah, wäre er erst darauf aufmerksam geworden“, so seine Worte. „Dann, als er sich näherte, berichtete er weiter, wäre er starr vor Entsetzen geworden. Doch den Mut zur Polizei zu gehen hätte er nicht gehabt, so durcheinander sei er gewesen!“

      „Begreife ich nicht. Warum äußert er sich dann gerade bei ihnen?“, so Scholtysek.

      „Das fragte ich ihn natürlich auch, aber er stotterte bloß „weil ich glaubte, dass sie mir helfen könnten!“ Dann ging er wieder stumm des Weges. Wir fuhren nach Stralsund.“

      „Eine merkwürdige Sache, wie“, mischte sich Heller ein. „Klingt ja ganz schön verwirrend. Hat er ihnen seinen Aufenthaltsort preisgegeben?“ „Leider nein! Derzeit läuft er nur herum, weiß nicht wo er morgen etwas findet um sein tägliches Brot zu verdienen. Aber vielleicht ist der Name Raimund sonst wo bekannt. Wir sollten einfach rumfragen. Vielleicht können wir ihn ausfindig machen. Das scheint mir wichtig, unbedingt! Natürlich als Zeuge, meine ich und falls erforderlich.“ „Nein, nein Degoth“, so Scholtysek, „nicht nur als Zeuge, sondern wir wollen auch wissen, ob er noch mehr Hinweise hat, mehr beobachtete oder gar, ich wage es nicht zu sagen, gar selbst beteiligt ist an Mo....! Also, Heller, der Mann muss her.“

      Degoth runzelte die Stirn und bemühte sich ruhig zu bleiben. Trotzdem hatte er das Gefühl, als wäre Störtebeker wieder auf der Insel lebendig geworden. War das nicht der Pirat der Rügen vor Hunderten von Jahren unsicher machte? Einer der sich seinerzeit rechen wollte, wenn ich mich richtig erinnere. Zumindest las ich dies mal.

      „Das stimmt“, meldet sich Christmann, der als Insulaner mit der Geschichte Rügens gut vertraut schien, aber er beließ es dabei. Der kleine Exkurs in die Geschichte Rügens, obwohl Degoth schon damit liebäugelte, Christmann würde womöglich näher darauf eingehen, endete ohne weitere Ausführungen. Aber dann kam Christmann doch der Gedanke, er solle, da Degoth schließlich kein Insulaner oder zumindest, meinte er, aus keinem Hansegebiet stammte, inhaltlich etwas über den weit verbreiteten Mythos des Klaus Störtebekers hinzufügen. Deshalb begann er, mit verschmitztem Lächeln, zu erzählen:

      „Herr Degoth, im Grunde beruht die noch heute verbreitete Legende, denn als solche begann sie, auf den Vitalienbrüdern. Ursprünglich“, holte er aus, „ befand sich der Herzog von Holland im Streit mit der Hanse. Zu seinem Schutze schloss er einen Vertrag mit den Vitalienbrüdern, quasi als Söldner, würden wir heute sagen. Sie sollten für ihn kämpfen, dafür sicherte er ihnen einen Rückzugsort und sichere Häfen zu, damit sie ihr Beutegut im Zuge des Freibeutertums verkaufen konnten. In diesem Söldnerarmee soll sich auch Klaus Störtebeker befunden haben. Er war einer der Hauptleute der Vitalienbrüder. Aus der Legende wurde eine Erzählung, die ab dem 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt fand und sich bis heute fortschreibt. Gerne berufen sich die Menschen darauf, dass er ein Helfer in der Not gewesen sei. Von seinen Freibeutezügen hätte er die Armen, die von den Wohlhabenden ausgebeutet worden seien, mit Lebensmitteln versorgt, aber sie auch beschützt.

      Dafür schreckte er auch, angeblich“, fügte er hinzu, „ vor Morden nicht zurück. Er wäre hingerichtet worden, heißt es, aber die Chronisten sind sich hier uneinig und so lebt der Mythos fort; wird ausgeschmückt und, ein Stück weit, auch glorifiziert.

      „Respekt“, sagte Degoth, „herzlichen Dank. Nun bin ich ein historisch bewanderter Störtebeker – Kenner; dank ihres ausführlichen Statements“, setzte er nach. Christmann lächelte, doch Degoth wollte in dem Fall voran kommen.

      „Und was ist nun mit den ersten Hinweisen aus der Rechtsmedizin?“, hakte Degoth, der nicht mehr auf die Geschichte Rügens eingehen wollte, um Christmann in keinem Falle in Verlegenheit zu bringen, wieder nach. Scholtysek schaut ihn an erstaunt an. Er schien sauer zu sein. Hatte er ihm nicht vor einer Stunde erklärt, dass es seinen Gang ginge! Trotzdem erhielt er eine Antwort. „Die Rechtsmediziner werden leider noch Tage benötigen. Sie sagten, wenn auch nur vage, dass es sich durchaus bei beiden Fällen, der Leiche und dem Skelett, um Morde handeln könnte. Um eindeutigere Anzeichen zu erhalten, bedarf es noch intensiverer Untersuchungen und weiterer Tests. Das kostet Zeit. Wird noch ein Weilchen dauern. Wie gesagt!“

      „Hm...“, brummte Degoth, „wir stecken ja im Nirwana!“

      Es folgte in der augenblicklichen Stille die Order vom KOR, die dubiosen Personen ausfindig zu machen. Warten wollten sie nicht, sondern parallel vorankommen. So erläuterte er es. Degoth folgte Scholtysek gedanklich. Denn untätig rumsitzen war schließlich bei dem verzwickten Fall absolut keine Lösung. Schnell waren sie sich einig. Die Reihenfolge war also schon mal geklärt. „Als erstes muss der Friedrichs her und später der sogenannte Raimund. Zudem, sollten wir nicht vergessen, dass der Kellner, der Bekannte von dem Friedrichs, ebenfalls verhört werden muss. Aber erst nach dem Friedrichs, klar!“, gab Scholtysek die Order.

      „Ist doch eh unkompliziert“, so Degoth in die Runde, „der ist ja im Restaurant zur Seebrücke in Sellin stets greifbar! Die Frage bleibt nur, welchen Grund wir ihm nennen um ihn zum Verhör zu führen?“

      „Da brauchen wir keinen Grund lieber Degoth, das geben wir als Routine aus. Könnte doch jeden Bürger treffen, wie?“

      „Stimmt, Scholtysek! Das heißt also, dass sie so vorgehen wollen. Aber was ist mit dem Hinweis Nationalpark Jasmund? Da müssen wir uns schnellstens umsehen. Wer weiß, vielleicht sind dort doch verwertbare Spuren. Warum sonst gehen die Fahrten mit dem Schnellboot dorthin?“

      „Soweit denke ich wirklich noch nicht. Aber gut, ich stimme zu, sicher ist sicher“, hörte er den KOR lakonisch sagen.

      „Also Leute, schicken