Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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Nun, wo er ja frei war, seine Frau eigene Wege ging! So in Gedanken versunken, sah er durch den rechten Außenspiegel Ruth Ofenloch an den Wagen kommen. Sie stieg zu ihm ins Auto. Die Autotür gerade geschlossen, berichtete sie wie erlöst, was sonst eher nicht ihre Art war, dass die Untersuchung und der Befund einwandfrei seien. Deshalb hatte sie also allen Grund so beschwingt und gut gelaunt zu sein. Sagte er sich. Auch er freute sich mit ihr. Jetzt vermeldete er, nicht ohne sie dabei hoffnungsfroh anzuschauen, dass ihr Auto wieder funktioniere. Sie war begeistert. Schaute ihn strahlend an. Nach der Rechnung fragte sie, vor freudiger Erregung, nicht. Aber das hatte ja Scholtysek eh für sie erledigt.

      Wie ein jung verliebtes Paar suchten sich ihre Hände, die sich schließlich fanden. Beide empfanden also gleich! Jetzt wusste er es. Es war ein gemütlicher Spaziergang, der sorgenfrei über die Feldwege an dem kleinen Wald vorbei, wieder zurück zu seinem Wagen führte. Das abschließende Gourmet essen war die Krönung für den heutigen Tag. Und Ruth Ofenloch ging durch den Sinn: Dabei wollte ich vorhin noch, aus lauter Höflichkeit, die Einladung ablehnen. Gott sei Dank, sagte sie sich nun, habe ich es schnell verworfen. An dessen Stelle sagte sie: „Gerne Herr Scholtysek.“

      Jetzt war sie es, die die Gelegenheit ergriff und ihm einen zärtlichen Kuss gab. Innerlich strahlte er, mehr, als es äußerlich den Anschein hatte. Im siebten Himmel wägte er sich. Es war später Abend als er wieder zurück zum Parkplatz des Präsidiums fuhr. Bevor sie aus dem großen alten BMW stieg, war sie es wieder, die die Initiative ergriff. Diesmal küsste sie ihn zärtlich auf seinen Mund. Eine leichte Verlegenheit überströmte sie. Wie stets, wenn sie mit ihrem Chef zusammen war. Das legte sich selbst nach mehr als dreizehn Jahren nicht. Jetzt kam ihre beider Gefühlswelt ins strudeln! Scholtysek hätte sie allzu gerne innig geküsst, eng und zärtlich in seinen Arme geschlossen. Dann aber ließ er es, wenn auch schweren Herzens, bei dem Geschehenen. Der gemütliche Resttag, so nannte er es für sich, endete noch nicht im Bett.

      „Obwohl, das wäre....“

      Aber er sprach es nicht aus. Und er war insgeheim froh, dass er sie nicht darum bat, sie gar überrumpelte. Gerade beim ersten Date. Das wäre sicher etwas zu ambitioniert gewesen. Ganz Kavalier wie er war und besonders gerne für Ruth, begleitete er sie bis vor ihre Haustür. Dort wartete er bis ihr Haustürschlüssel sich im Schloss drehte und die Tür hinter ihr zufiel. Im Schatten des Flurlichtes sah er bloß noch die Umrisse ihrer tadellosen Figur. Dann erst startete er den Wagen und fuhr beschwingt und erregt von dannen. Auf halber Strecke Richtung des Nachhauseweges entschloss er sich schließlich, mal wieder, doch noch kurz im Büro vorbei zu schauen. Er konnte es einfach nicht lassen.

      Donnerstag, 31. Juli 2008

      Michel, der kein Frühaufsteher war, wachte gegen sieben Uhr auf. Und befand, dass es für die Ferienzeit einfach viel zu früh sei. Aber er war ja selbst schuld, suggerierte er sich gleich. Gestern, als er mit dem Kriminaloberrat in Raslwiek war, hätte er den Mund nicht so voll nehmen sollen. Warum schlug er nicht gleich elf Uhr vor? Gut, nun war es zu spät. Eine Korrektur im Nachhinein, wäre ihm peinlich gewesen. Um zehn Uhr musste er also in Bergen eintreffen. Doch bei aller Zuverlässigkeit wollte er das gemeinsame Frühstück mit seiner Frau in keinem Falle versäumen. Gerade war er auf dem Sprung ins Bad. Da schlug sie die Augen auf. Wie stets, bereits ein Lächeln auf den Lippen. Schnell schürzte er seine Lippen, um ihren einen zärtlichen Kuss auf ihren hübschen Mund zu drücken. Dann verschwand er im Badezimmer.

      Sie befanden sich gerade auf halber Strecke, trauten ihren Augen nicht, als sie den Kellner sahen. Der Mann, der ihnen vorgestern im Restaurant der Seebrücke Sellins bereits unangenehm auffiel und den sie später noch eine Weile beobachteten. Eine Zigarette rauchend, stand er unbekümmert am Ufer und hielt sich mit der linken Hand am Geländer fest. Geradezu gelangweilt, so als würde er auf jemanden warten, schaute er drein.

      „Wie heißt der nochmals?“, fragte Chantal in die Stille des Morgens.

      „Noll heißt er. KHK Heller gab es gestern noch telefonisch durch. Zu der Zeit, als er die Ermittlungen mit seiner Mannschaft im Jasmunder Nationalpark aufnahm.“

      Das war alles, was beide zu vermelden hatten. Still dachten sie, jeder für sich, über die aktuelle Situation nach. Ob es reiner Zufall war oder zu einem System der Verbrecher gehörte, beschäftigte sie. In jedem Falle, so machte sich Degoth die Gedanken, bleibt es ein Verwirrspiel. Hin und her wog er ab. Doch schließlich kam er zu dem Ergebnis, dass es Unsinn sei. Anders bei Chantal. Die glaubte ernsthaft, dass hier etwas nicht sauber sei und artikulierte jetzt ihre Überlegungen. Doch Michel gab zu bedenken, dass der Kerl doch schließlich weder ihren Namen kennen, noch wissen konnte in welchem Hotel sie wohnten. Und er fügte hörbar hinzu: „Also ...., das finde ich zu weit hergeholt. Eher unwahrscheinlich!“

      Seine Frau gab sich damit allerdings nicht zufrieden. Nach wie vor war sie fest davon überzeugt, obwohl es nicht konkret an etwas festmachen zu machen war, dass da krumme Geschäfte liefen. „Warum sonst wartet Noll auf einen Komplizen?“

      „Möglich, na klar..., ist alles“, so Degoth. Und ergänzte: „Trotzdem dürfen wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Weder die Polizei noch ich wissen im Grunde Definitives. Das sähe doch anders aus. Nachweisen, dass der Noll oder sein Sparringspartner damit etwas zu tun haben, können wir rein gar nicht. Das ist zunächst mal Fakt, Funde hin oder her! Ganz zu schweigen von dem Mord, von dem Scholtysek die Tage berichtete. Alles bloß reine Vermutungen, mehr nicht! Es kann alles Zufall gewesen sein.“

      Weiter vertiefen wollten sie es im Moment nicht. Es war einfach zu vage. So gingen sie zum Kai, wo die frühmorgendliche Sonne ihnen entgegen lachte. Ihre Stimmung hellte sich wieder auf. Ihrem gemütlichen Frühstück inklusive Sonnenplatz, stand nichts mehr im Weg. Der Blick über die Bucht,

      hinaus auf das Meer war ungetrübt. Trotzdem war Degoth mit seinen Gedanken nicht an diesem Ort. Nein, er war bereits bei den Ermittlungen. So war er nun mal. Kaum Lunte gerochen, spurte er! Nun malte er sich aus, wie er den Fall, gemeinsam mit der Polizei voran treiben konnte. Und gleichzeitig war ihm bewusst, da konnten ihn auch die schaurigen Kopfarbeiten, die ihn immer wieder zu dem aktuellen Mord und dem Skelettfund trieben, nicht abbringen, dass er die Stippvisiten auf der Insel mit seiner Frau in keinem Falle vernachlässigen durfte. Er blickte zu ihr und bat später an die Story mit Noll zu erinnern. Später, wenn er es Scholtysek zum Besten geben wollte. Auch auf die Gefahr hin, dass sie ihn wieder auslachen würden, wollte er es unbedingt erwähnen.

      „Mache ich, Chef“, sagte sie und grinste, wenn auch etwas ironisch, zu ihm hinüber. Die Erwiderung, auf die sie im Grunde wartete, blieb aber aus. Auf dem Weg zu ihrem Wagen, quasi im Vorbeigehen, nahmen sie plötzlich war, dass der Noll tatsächlich Gesellschaft bekam. Ein Mann hielt sich an seiner Seite am Geländer fest. Dessen Mundwinkel bewegten sich ohne Unterbrechung. Das war aus Degoth Sicht ein eindeutiges Zeichen. Jetzt konnte er sich in der Tat auf den vorliegenden Fall richtig einstimmen. Chantal hatte recht. Da läuft doch etwas! Ihre Gesichter, die Männer schauten in dem Augenblick Richtung Meer, konnten sie allerdings nicht erkennen. Degoth spann weiter, ob es der Kerl, der vorgestern mit dem Noll schon zu tun hatte, sein könnte. Sie hielten inne. Von der Ecke des Hotels, sie glaubten sich von dort unbeobachtet, observierten sie weiter. Ihre eigenen Äußerungen amüsierten sie.

      „Observieren. Wie das schon klingt?“, meinten sie, sich gegenseitig lächelnd anschauend. „Ein ernstes Gespräch scheint es jedenfalls nicht zu sein.“ Resümierte Michel kurz danach. „Sonst würden die Männer sich sicher nicht so prächtig belustigten.“

      Ja, sie hielten sich vor Begeisterung den Bauch und tänzelten hin und her. Just in dem Moment drehte sich der bislang Unbekannte, noch ein Lächeln auf seinen Lippen, um.

      „Das ist nicht der Friedrichs“, schoss es aus dem Mund von Michel. „Den Mann kenne absolut nicht. Nein, in keinem Fall. Lass uns diese Szene noch eine Weilchen beobachten“, fügte er dann zielstrebig, wie er stets war, hinzu.

      Nur zwei, drei Minuten nach dieser Szene sah der Hobbykriminologe Degoth, wie der Bekannte von Noll zu einem in der Nähe parkenden Wagen schlenderte. Gemütlich tat er es. Sonderlich eilig schien er es wirklich nicht zu haben. An einem Mercedes