Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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sie Scholtysek“, flüsterte er ihm zu, „da steht doch in der Tat der Name Störtebeker. Zufall oder Bestimmung, hier die Frage?“

      „Ach ja, aber den Namen gibt es, wie ich weiß, hier häufiger. Das alleine besagt lange nichts. Schon

      gar nicht, dass das etwas mit dem Fall zu tun haben könnte.“

      Doch seiner Äußerung traute er selbst nicht mehr ganz, als Degoth ihn auf den zweiten Namen Störtebeker hinwies. Das animierte sie schließlich die Akten vollständig unter die Lupe zu nehmen. Weit über hundert Personen waren als Mitwirkende gelistet. Doch außer diesen beiden Namen konnten sie keine weiteren Zusammenhänge, mögliche Ansätze, erkennen. Gerade als Scholtysek und Degoth den Kopf hoben um anzusetzen etwas zu sagen, schaute Dissieux über seine Lesebrille. Er schien auf ihre Reaktion zu warten.

      „Danke Herr Direktor“, sagte Scholtysek an dessen Stelle kurz. „Es hat uns sehr geholfen.“

      Dabei betonte er das besonders akzentuiert. Mehr fügte er nicht hinzu. Die Gesichtszüge Dissieuxs erstarrten zu einer „Salzsäule. Es hatte den Anschein als sei es eine erneuerte „Fassade.“

      Den Kriminalisten entging auch diese Mimik, aufmerksam wie sie im Dienst nun mal waren, nicht. Sie unterließen es jedoch einen Kommentar hierzu abzugeben. Nur der Aktenvermerk sollte es im Gedächtnis behalten. Kurz darauf fasste er sich wieder. „Habe ich doch gerne getan“, drückte er mehr raus, wie eine Befreiung klang es nicht. Und setzte nach: „Falls sie weitere Unterstützung benötigen, rufen sie kurz zuvor an. Ich werde für sie da sein. Hier meine Karte!“

      Er reichte seine Visitenkarte über den Tisch. Das Gespräch war beendet.

      „Das ist freundlich, dürfen wir uns noch auf der Freilichtbühne umschauen? Es interessiert uns. Nicht zuletzt, weil Herr Degoth, mein Kollege, dabei zeigte er wieder, beinahe schon gewohnheitsgemäß, auf ihn, mit seiner Frau in etwa zehn Tagen beabsichtigt an einer ihrer Vorstellungen teilzunehmen.“

      „Ja, natürlich können sie sich gerne umschauen.“ Dabei bekam er einen roten Kopf. Das Rauspressen machte ihm Mühe! „Selbstverständlich freut es mich ebenso, dass sie eine Vorstellung besuchen wollen“, hörten sie ihn halbherzig weiter reden. Dann verließen sie den Raum. Gerade um die Ecke des Verwaltungsgebäudes gebogen, blieben sie stehen. Verdutzt schauten sie sich an.

      „Der hat doch ein ungutes Gefühl“, begann Degoth. „Plötzlich war der so unsicher, für mich zweifelsfrei. Oder was meinen Sie? Hat er womöglich Kenntnis von einem Verbrechen aus seinen Reihen und jetzt quält ihn sein schlechtes Gewissen?“

      „Nein, denke ich nicht“, reagierte Scholtysek „Doch den Mund hat er wohl etwas voll genommen, als er sagte: „Für jeden würde ich die Hand ins Feuer legen!“ Wir sollten gerade deshalb mal hinter die Kulissen schauen, wie es so nett heißt!“

      All diese Auffälligkeiten aus der Sicht der prominenten Ermittler, Kriminaloberrat Scholtysek und dem kleinen Sherlock Holmes Degoth, sollten nicht verloren gehen. Jeder nahm ein I – Pad zur Hand um Szene für Szene festzuhalten. Dann folgten sie dem Weg Richtung Tor. Sie öffneten das große Holztor, welches den Weg zur Freilichtanlage freigab und schritten hindurch. Einige Personen, die man als Schauspieler einschätzen konnte, standen und saßen herum. Um die Beiden kümmerten sich kein Mensch, sodass sie ihre Gespräche unbeeindruckt weiterführen konnten. An dem großen Turm, nur wenige Meter weiter, nahmen sie zwei Männer wahr, die in einem intensiven Gespräch verwickelt schienen. Als sie in ihre Nähe traten, heilten die Kerle jedoch spontan inne. Wie Piraten waren sie bekleidet, schauten dabei ernst und bösartig drein.

      „Es ist wohl ihre Rolle“, sinnierten Scholtysek und Degoth. Und wollten sich keine weiteren Gedanken machen. Doch war das wirklich Zufall? Oder war die Verkleidung die Fassade für ihre realen Verbrechen? Sie beschäftigten sich, jeder in Gedanken für sich, schließlich doch damit weiter, aber keiner sprach es aus. Einige Meter hinter der besagten Stelle, bleiben sie stehen. Von dort, zwischen den Bäumen hindurch, konnten sie zu dem Bodden schauen. Die aktuelle Lage, wie sie es nannten, reflektierten sie. Dann läutete das Mobiltelefon des Chefermittlers.

      „Scholtysek, wer bitte ...?“

      „Chef, ich bin es, Heller. Wir sind noch im Nationalpark Jasmund. Nicht weit entfernt vom Wissower Ufer, sie wissen! Nein, im Grunde keinen besonderen Auffälligkeiten. Übrigens, den großen Unbekannten mit dem Schnellboot haben wir zwar nicht getroffen, aber da gab sich einer als Mitarbeiter aus. Er teilte mit, das der besagte Bootsfahrer, dessen Name er nicht kenne, mit einem anderen Mann, den er allerdings noch nie gesehen hätte, in einem Schnellboot unterwegs sei. Er konnte lediglich den Vornamen nennen. Hans heißt er.“

      „Na ist doch immerhin etwas. Haben sie gefragt wann er zurück sein wird?“

      „Ja, klar! War ihm nicht bekannt. Leider!“

      „Dann stöbern sie mal weiter und warten, zumindest solange es Tag ist. Vielleicht taucht ja das Boot heute nochmals auf.“

      „Ja Chef, wird gemacht. Wir schwärmen sofort aus und durchforsten auch die weitere Umgebung des Holzhauses. Vielleicht haben wir ja Glück und stoßen auf entsprechende Hinweise!“

      „Also“, so Scholtysek, „dann halten sie mich auf dem Laufenden. Sie wissen, dass Degoth mit mir noch in Ralswiek ist. Vage Spuren bislang. Das war es. Aber Ansätze für dunkle Ecken scheint es zu geben. Da müssen wir noch tief graben. Selbst bei dem Direktor des Theaters kommen uns Zweifel. Werden das Gefühl nicht los, er treibt ein Doppelspiel!“

      „Wenn sie das sagen, hört es sich an, als wäre die ganze Insel infiziert. Von was auch immer, wie?“, so Heller.

      Gerade den Hang überwunden, hörte der Mann: „Halt, stehen bleiben und keine Bewegung.“

      Erschrocken drehte er sich um und sah, mit einer Pistole im Anschlag einen Mann, der sich als Polizist ausgab, auf sich zusteuern. Seine beiden Taschen stellte er behutsam am Boden ab, als seien zerbrechliche Gegenstände darin verstaut. Anstalten wegzulaufen machte er nicht. Es wäre auch zwecklos gewesen. Sein Name, den er sofort freiwillig nannte, war Conrad Frederiksen. Er berichtete, dass er Handlanger sei für seinen Chef, einen gewissen Hans. Auf die Frage wo der sei, hörten sie bloß, die Kollegen waren indes auch anwesend: „Er wollte heute noch kommen. Mehr kann ich ihnen nicht verraten.“

      Sie beknieten den Kerl zwar immer wieder, aber er wusste wohl wirklich nicht mehr. Seinen Ausweis zeigte er bereitwillig. Die direkte Überprüfung ergab keinerlei Beanstandungen. Frederiksen war frei und ging zum Holzhaus. Währenddessen beriet Heller mit seinen Männer das weitere Vorgehen. Sie entschieden zumindest zu warten, solange es noch hell war. Während dieser Zeit wollten sie die weitere Umgebung gründlich durchstöbern. Immer mit dem Gedanken: Da muss doch etwas zu finden sein.

      Degoth und Rügens Chefermittler kamen auf den Gedanken, nochmals zurück zu laufen und die beiden Männer in Piratenuniform anzusprechen. Vielleicht, so ihre Idee, würden sie von denen erfahren, wo die Herren Störtebeker sich aufhalten. Das wollten sie schließlich unbedingt wissen. „Meine Herren“, begann Degoth, „wir suchen die Störtebekers. Wo finden wir die Männer?“

      Jetzt lächelten sie, der links vom Torbogen stehende erwiderte: „Das ist einfach, hier steht einer von denen!“, er deutete auf sich. Sein Kollege amüsierte sich köstlich. „In welcher Angelegenheit suchen sie uns?“

      „Die Geschichte Störtebekers interessiert uns, haben schon viel darüber gelesen. Jetzt wollten wir wissen, ob im Ensemble auch Nachfahren dieses berühmten Insulaner mitspielen. Und dazu gerne hören, warum sie es tun, welche Intention es für sie hat“, so Degoth, der aus den Augen von Scholtysek zwar Erstaunen entnahm, aber auch Billigung der Vorgehensweise.

      „Nun, ich bin, genau wie mein Vetter, der augenblicklich nicht hier oben ist, aus Interesse an der Schauspielerei, aber auch aufgrund der Geschichte meines Ahnen dabei. Das dritte Jahr spielen wir bereits mit. Ja, es macht enorm viel Freude. Wenn sie mich fragen war es die richtige Entscheidung. Nein, nicht wegen des Geldes, da gibt es kaum etwas, sondern wegen der Geschichte, die sich mir jetzt erst