Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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aber zu seinem Glück fand er ihn schlafend in

       dem kostbaren Pavillon. Dann überquerte er den Bach

       und gelangte in den goldbemalten Raum, wo Elias

       schlief. Ehe der Ritter erwachte, war das Roß, das er

       so heiß begehrt hatte, sein. Als Elias es erblickte,

       wurde er froh gestimmt, streckte die beiden Hände

       zum Himmel auf und rief: »Hei, Vater im Himmel, dir

       sei gedankt!«

       2. Hüon von Bordeaux

       Karl der Große hielt zu Pfingsten Hof in Paris, denn

       er wünschte wegen seines hohen Alters noch bei Lebzeiten

       sein Reich auf einen Nachfolger zu übertragen.

       Er schlug seinen Sohn Karlot als Nachfolger vor, und

       die Barone erklärten sich einverstanden. Der Verräter

       Amauri stellte das Fernbleiben der Brüder Hüon und

       Gerard als Unbotmäßigkeit dar und erbot sich, sie zur

       Aburteilung an den Hof zu bringen, dabei machte er

       mit Karlot aus, daß sich dieser in einen Hinterhalt

       legen sollte. So geschah es, und im Kampfe wurde

       Karlot von Hüon erschlagen. Amauri beschuldigte

       nun Hüon des wissentlichen Mordes am Königssohn;

       zwar entschied ein Zweikampf zugunsten Hüons,

       doch Karl wollte diesem sein Erbe nicht eher zurückgeben,

       bis er nach Babylon gehe, den ersten, der ihm

       am Hofe begegnete, erschlage, die Tochter des Emirs

       dreimal küsse und Bart und Zähne des Emirs selber

       mitbringe. Hüon trat selbzwölft die Reise an, und der

       büßende Ritter Jérôme schloß sich ihnen unterwegs

       an und zeigte ihnen den Weg.

       So gelangten sie in Oberons Zauberwald. Ermüdet

       streckte sich Hüon unter einer Eiche zur Ruhe: »Bei

       Gott,« sagte er, »ich kann nicht mehr. Ich kann vor

       Hunger nicht mehr weiter reiten.« »Schlecht versteht

       Ihr zu fasten,« spottete Jérôme, »eßt doch von diesen

       Wurzeln. Ich habe seit dreißig Jahren keine andere

       Nahrung gehabt.« »Das bin ich nicht gewohnt«,

       meinte Hüon. Während sie so redeten, kam ein kleiner

       Mann durch den grünen Wald gegangen; der war so

       schön wie die Sonne am Sommertag; ein Mantel aus

       Seide, mit goldenen Bändern verziert, umhüllte ihn.

       Einen Bogen trug er in der Hand, der ihm stets Wildbret

       verschaffte; ein Horn aus reinem Elfenbein hing

       ihm um den Hals, welches Feen auf einer Insel im

       Meer gefertigt hatten. Die eine hatte ihm diese Gabe

       verliehen: wer das Horn ertönen hörte, der würde auf

       der Stelle gesund, und wäre er auch dem Tode nahe.

       Die zweite Fee hatte hinzugefügt: wer das Horn hörte,

       dessen Hunger und Durst würde alsogleich gestillt.

       Ein jeder, hatte die dritte bestimmt, müsse zu singen

       anfangen, wenn er den Ton des Hornes hörte, und

       drücke ihn die Sorge noch so schwer. Die vierte endlich

       gab ihm diese Kraft: wenn das Horn ertönte, in

       welchem Lande es auch sei, Oberon müsse den Ton

       vernehmen in Monmur, seiner Stadt. Der kleine Mann

       blies auf dem Horn, und die Ritter begannen sogleich

       zu singen. »Mein Gott,« rief Hüon, »wer will uns besuchen?

       Ich spüre keinen Hunger mehr noch

       Schmerz.« »Um Gottes willen, Herr,« sagte Jérôme,

       »es ist der bucklige Zwerg. Redet ihn nicht an, wenn

       Euch Euer Leben lieb ist.« Der kleine Bucklige rief

       ihnen mit lauter Stimme zu: »Ihr Männer, die ihr meinen

       Wald durchquert, seid mir gegrüßt beim Herrn

       der Welt! Ich beschwöre euch bei Gottes Majestät,

       bei Öl und Chrysam, bei der Taufe heiligem Salze,

       bei allem, was Gott geschaffen hat, beschwöre ich

       euch, daß ihr meinen Gruß erwidert.« Die Ritter aber

       wandten sich zur Flucht zum großen Mißvergnügen

       des Zwerges, der mit einem Finger sein Horn berührte,

       worauf ein gewaltiges Unwetter entstand. Ein reißender

       Strom hemmte Hüons und seiner Gefährten

       Flucht. »Es ist der böse Zwerg, der das verursacht«,

       beruhigte sie Jérôme, aber nur schwer erholten sie

       sich von ihrem Schrecken und setzten in Unruhe ihren

       Weg fort. Schon glaubten sie dem Zwerg entgangen

       zu sein, da stand er plötzlich auf einer schmalen

       Brücke vor ihnen. »Da ist der Teufel schon wieder«,

       schrie Hüon. »Knabe,« entgegnete Oberon, der es

       wohl gehört hatte, »nie war ich Teufel oder böser

       Geist. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut wie

       du, und ich komme nochmals, im Namen Gottes und

       durch die Macht, die er mir gab, euch zu beschwören,

       daß ihr mir Rede steht.« »Ums Himmels willen,

       flieht!« rief Jérôme, dann spornte er sein Roß, und

       seine Gefährten folgten ihm im Galopp. Ein drittes

       Mal stellte sich der Zwerg ihnen entgegen und versprach

       ihnen seine Hilfe bei der gefahrvollen Fahrt,

       wenn sie sich entschließen wollten, ihn anzureden.

       »Seid uns willkommen, Herr!« sagte Hüon. »Gott

       lohne es dir!« entgegnete Oberon. »Hüon, teurer Bruder,

       nie wurde ein Gruß besser gelohnt, als es der deinige

       werden soll.« »Herr,« sagte Hüon, »warum verfolgt

       Ihr mich?« »Ich liebe dich«, erwiderte Oberon,

       »mehr als irgendeinen anderen Menschen, um deiner

       Lauterkeit willen liebe ich dich. Du weißt noch nicht,

       wem du begegnet bist, so höre: Julius Zäsar erzeugte

       mich, und die Fee Morgana gebar mich als ihren einzigen

       Sohn. Große Freude herrschte bei meiner Geburt,

       und mein Vater entbot alle seine Barone, und

       alle Feen kamen, meine Mutter aufzusuchen. Eine von

       ihnen, welche unzufrieden war, verwünschte mich zu

       einem buckligen Zwerg, der ich jetzt zu meinem

       Schmerze bin; seit meinem dritten Lebensjahre bin

       ich nicht mehr gewachsen. Sie wollte ihr Wort nicht

       zurücknehmen, aber um dessen Wirkung abzuschwächen,

       gab sie