Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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traditions populaires«

       (seit 1886). Die meiste Ausbeute bot die Bretagne,

       der die Werke von Luzel, Orain, Mme. de Cerny u.a.

       angehören. Weiter wären zu nennen die Sammlertätigkeit

       Bladés für die Gascogne, Pineaus für Poitou,

       Lamberts für Languedoc, Carnoys für die Sommegegend

       und nicht den geringsten zuletzt: Cosquins, dessen

       treffliche Anmerkungen zu seinen lothringischen

       Märchen eine der elementarsten Grundlagen für die

       gesamte Märchenforschung darstellen und die hauptsächlich

       eine Brücke vom Orient zum modernen Okzident

       zu schlagen sich bemühen.

       Es war hohe Zeit, die Schätze zu bergen, denn auf

       die Romantik folgte das Maschinenzeitalter, jene

       Epoche, in welcher die Menschheit in wahnsinniger

       Überhebung die Natur zu beherrschen glaubte, bis die

       Technik ihren Händen entglitt, eigenes Leben gewann

       und in wilder Raserei den Bau der Jahrhunderte zertrümmerte.

       Aus älteren Quellen

       (Vom Mittelalter bis zum Ausgang des Rokoko)

       Zwölftes und dreizehntes Jahrhundert

       1. Wie Galopin für Elias von St. Gilles das

       Wunderpferd Primsaus von Aragon stahl

       Elias von St. Gilles ritt, vom Fluche seines Vaters getroffen,

       in die Welt. Nach mannigfachen Abenteuern

       überraschte er einst in Spanien vier Räuber beim

       Mahl; drei davon erschlug er, den vierten, Namens

       Galopin, einen schlauen und behenden Burschen,

       nahm er als Diener an. Und bald bedurfte er seiner,

       denn bei einem Überfall der Sarazenen wurde Elias

       verwundet. Galopin schleppte seinen Herrn in einen

       Weingarten und hier erblickte ihn Rosamunde, die

       Tochter des Heidenkönigs Macabre. Sie pflegte den

       Wunden und heilte ihn mit kräftigen Tränken.

       Ein sarazenischer König, Lubien von Baudas, warb

       um die Jungfrau und drohte, falls sie ihm verweigert

       würde, ihren Vater mit Krieg zu überziehen. Schon

       hatte sein Heer Macabres Burg im Halbkreise umschlossen,

       doch niemand wagte es, den gewaltigen

       Heiden zu bekämpfen. Da erbot sich Rosamunde

       selbst, einen Kämpfer gegen den ungeliebten Werber

       zu stellen, und sie bat Elias um den Ritterdienst. »O,

       Herrin,« sagte Elias, »wie sollte ich einer Frau dienen,

       die nicht an meinen Gott glaubt! Aber um des-

       sentwillen, was Ihr an mir getan habt, als ich krank

       und verwundet dalag, will ich Eurer Bitte willfahren.

       Gebt mir Roß und Waffen, so will ich hinausgehen

       und meinen Leib gegen Euren Freier zum Pfande setzen.

       Bei Gott, ich weiß meine Lanze zu führen, und

       kein Heide in Spanien, der Euch beleidigt hat, soll

       sich des Sieges rühmen, wenn wir auseinandergehen.«

       »Herr,« sagte die Jungfrau, »Ihr macht mich froh. Um

       Euretwillen werde ich Mohammed verlassen und mit

       Euch nach Frankreich gehen. Aber vor einem hütet

       Euch, wenn Ihr mit dem Emir kämpfen wollt. Der

       Schurke besitzt ein Streitroß, wie es in Frankreich

       keines gibt: es heißt Primsaus von Aragon, Oriande

       war seine Mutter. Wenn in der Schlacht das Gedränge

       groß ist, dann springt es mit allen vier Beinen auf und

       schreit und schlägt mit den Füßen um sich und tötet

       jeden, den es trifft. Jeden, der es beim Zügel nimmt,

       wirft es zu Boden, er müßte denn trefflich zu turnieren

       verstehen.«

       Als Galopin dieses Lob hörte, sprang er auf und

       trat zu seinem Herrn: »Edler Graf,« sagte er, »was

       zaudert Ihr noch? Bittet die Jungfrau, daß sie Euch

       Waffen gibt. Ehe nach Mitternacht der erste Hahn

       kräht, werde ich Euch das Streitroß verschaffen, allen

       Heiden zum Trotz!« Galopin bekleidete sich mit seinem

       Mantel – er maß nur drei Fuß – und band sich

       hundert Denare um.

       Er war ein Spitzbube und kannte sein Handwerk.

       Er schlich sich durch die Hintertür und durchwatete

       den Bach, der am Schlosse vorbeiströmte; dann eilte

       er durch den Weingarten und durchmaß das feindliche

       Lager, bis er zum Zelte des Emirs gelangte. »Der

       große Mohammed, der die Welt regiert,« rief er Lubien

       zu, der vor seinem Zelte saß, »erhalte den Kaiser

       und alle, die ihm dienen.« »Freund,« antwortete der

       Emir argwöhnisch, »er segne auch dich. Doch sage

       mir, wer bist du und aus welchem Lande stammst

       du?« Galopin, der Schlaue, entgegnete ihm: »Herr,

       von jenseits des Meeres komme ich. Noch gestern

       abend bei der Vesper war ich ein reicher Kaufmann,

       ich führte ein Schiff, wie noch kein Mensch eines sah,

       voll Gold und Silber, Seidenstoff und Tuch; zwanzig

       Streitrosse waren darauf und zwanzig schöne Maultiere,

       die sandte Euch der Herr meines Landes, denn

       er ehrt Euch sehr. Macabre hat mir alles weggenommen,

       meine Leute hat er mir getötet und mich selbst

       ins Meer geworfen. Nun komme ich zu Euch, o

       König, daß Ihr mir mein Recht verschafft.« Als der

       König das hörte, geriet er außer sich, er richtete sich

       auf und legte die Hand an den Kopf: »Zu seinem Unglück

       hat das der Schurke erdacht, bei meinem Barte!

       Ihr werdet Eure Schiffe und Eure Habe wiederbekommen

       und vom Seinigen noch fünfzehnmal soviel dazu,

       ehe der Krieg endet.« »Herr,« sagte der Spitzbube,

       »an den Waren liegt mir nicht viel, denn ich verstehe

       es wohl, mir neue zu erwerben; aber die Rosse bekümmern

       mich, denn eines war darunter, das sehr

       rühmenswert war: ein prächtiger armenischer Grauschimmel

       mit schmalem Kopf und offenem, stolzem

       Auge. Kleine Ohren hatte er und zartes Haar, langbeinig

       war er und schnellfüßig. Nie war ein besserer

       Streithengst im Kampf. Wenn er im Schlachtgetümmel

       einen Ritter am Boden liegen sah, so