Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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begann. Fürsten und Barone umringten die junge

       Königin und führten sie auf ihr Zimmer. Aber Margiste

       hatte in ihrem Herzen einen verräterischen Plan

       gefaßt: sie kniete vor der Königin nieder und flüsterte

       ihr ins Ohr: »Herrin, es schmerzt mich bei Gott, daß

       ich es sagen muß, aber gestern hat mir ein Freund berichtet,

       daß seit Anbeginn der Zeiten kein Mensch so

       zu fürchten war, wie der König Pippin es sein wird,

       wenn er bei Euch liegt. Ich fürchte sehr, daß er Euch

       tötet, wenn er heute nacht sein Gattenrecht an Euch

       ausübt.« Als Bertha solches hörte, begann sie fast

       sinnlos vor Angst zu weinen. »Herrin,« sagte die alte

       Hexe, »bekümmert Euch nicht, denn ich will Euch

       retten. Wenn die Bischöfe und Äbte von der Einsegnung

       des königlichen Bettes zurückgekehrt sind,

       werde ich Eure Kammer räumen lassen. Dann werde

       ich Aliste, meine Tochter, geschwind entkleiden und

       an Eurer Statt ins Bett legen. Ich habe schon mit ihr

       darüber geredet und sie hat ihre Einwilligung dazu

       gegeben. Denn ich will lieber, daß sie umkomme, als

       daß Ihr Schaden nehmet.« Auf diese Worte hin umarmte

       Bertha die Alte und dankte Gott und allen Heiligen.

       Die böse Kammerfrau aber wandte sich von ihr

       und ging durch den königlichen Garten zum Flusse,

       wo sie ihre Tochter an einem Steinfenster lehnend

       fand. Diese glich Bertha, wie das Bild eines guten

       Malers dem Originale gleicht. Keine Frau konnte sich

       mit ihnen an Schönheit messen, sowenig wie eine

       dürre Heide mit einer blumigen Wiese. Die Alte umarmte

       ihre Tochter und küßte sie auf die Stirn, dann

       verabredeten sie heimlich, wie sie Bertha verraten

       könnten. »Tochter,« sagte die Alte, »ich liebe dich,

       darum sollst du Königin werden, wenn es Gott und

       dem heiligen Petrus gefällt.« »Mutter,« entgegnete

       Aliste, »Gott erhöre Euer Gebet. Schickt nach Tybert,

       er soll uns seinen Rat erteilen. Befehlt ihm, daß er

       hierher kommt unter dem Vorwande, er habe gestern

       Almosen für mich ausgeteilt.« Die Alte, die zum

       Bösen stets bereit war, lief schnell wie ein Windhund

       davon. Tybert kam eilends herbei und fand Gefallen

       an dem Plan. Alle drei beratschlagten eifrig, wie sie

       ihrer Herrin Bertha das Frankenreich wegstehlen

       möchten. »Tochter,« sagte Margiste, »zu einem guten

       Sprung gehört ein weiter Anlauf: du wirst ein wenig

       dabei leiden müssen. Heute nacht soll Bertha in meiner

       Kammer schlafen; wenn es tagt, so werde ich sie

       zu Euch schicken, gleichsam als solle sie ihren Platz

       beim Könige einnehmen. Dann mußt du dir ein Messer

       in den Schenkel stoßen, so tief, daß das helle Blut

       hervorspritzt. Darauf schreist du um Hilfe und tust,

       als ob sie dich habe ermorden wollen; ich werde nun

       in die Kammer treten und sie fesseln lassen. Das übrige

       laßt mich nur machen.« »Mutter,« sagte die Magd,

       »es geschehe, wie es dir gefällt.«

       Als es Abend wurde, begaben sich Bischöfe und

       Äbte in das Schlafgemach, um das Lager zu segnen.

       Dann hieß die Alte alles Volk hinausgehen und die

       Kerzen löschen. Ihre Tochter legte sie ins Bett König

       Pippins und steckte das Messer, mit dem sie den Verrat

       begehen sollte, in das Bettgestell. Die alte Hexe

       lachte hämisch, dann begab sie sich in ihre Kammer

       und sagte zu Bertha: »Herrin, voll Schmerz und

       Unmut verlasse ich meine Tochter. Es ist unbeschreiblich,

       was wir für Euch getan haben.« »Gott

       lohne Euch dafür, Frau!« Dann hieß die Alte sie

       schlafen gehen und sagte ihr, bei Tagesanbruch müsse

       sie sich ankleiden und sich leise neben den König

       schleichen. Die ahnungslose Bertha sagte dieses ganz

       ruhig zu, sie wolle in nichts dem Willen ihrer Amme

       zuwiderhandeln. Darauf sprach sie ihre Gebete im

       Bette sitzend, denn sie war wohl gebildet und konnte

       sogar schreiben. Indessen tat der König an der Magd

       seinen Willen und erzeugte mit ihr einen Erben, der

       voll Falschheit und Tücke war.

       Als es Tag wurde, rief die Alte den Verräter Tybert,

       der mit Freuden herbeikam. Bertha erwachte und

       begab sich leise, wie die Alte ihr aufgetragen hatte, in

       das Schlafgemach des Königs. Sie trat zu der Magd,

       die im geschmückten Brautbett lag. Die Magd bemerkte

       sie, und ohne Zaudern ergriff sie das Messer,

       schwang es und versetzte sich selbst einen solchen

       Stich hinten in den Schenkel, daß das helle Blut herausspritzte.

       Dann hielt sie ihr Messer Bertha hin und

       diese nahm es, ohne sich etwas Böses dabei zu denken.

       Dann fing die falsche Braut an zu schreien: »Ha!

       König Pippin, an Eurer Seite will man mich morden!«

       Der König erwachte und sah das blutende Messer,

       welches die Königin in der Hand hielt. Er richtete

       sich auf, fast von Sinnen vor Zorn. Die Alte stellte

       sich wütend, als sie ihrer Tochter Blut erblickte, und

       schwur, daß die Täterin ohne Gnade sterben müsse.

       »O König,« sagte das Weib, »laßt sie schleunigst hinrichten.

       Habt kein Mitleid mit ihr. Nie in meinem

       Leben könnte ich sie wieder lieben!« Die alte Hexe

       packte Bertha und stieß sie mit einem gewaltigen

       Schlag aus der Kammer. Bertha ließ alles ruhig über

       sich ergehen, denn noch glaubte sie, dies alles geschehe

       aus Freundschaft, obwohl ihr von dem Schlage die

       Tränen aus den Augen strömten. Tybert zerrte sie am

       Mantel fort, so daß derselbe fast zerrissen wäre: »Gott

       helfe mir,« sagte Bertha, »was ist mir begegnet, was

       haben diese Leute im Sinn?« Die böse Alte reichte

       Tybert ein Band, dann schlugen sie Bertha nieder, öffneten

       ihr gewaltsam den Mund wie einem Pferde, das