Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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Emirs Gaudise, in welchem alle Arten von Bäumen,

       die Gott geschaffen hat, grünten. Dort strömte eine

       Quelle, die vom Paradiese kam und deren Wasser

       dem hinfälligsten Greise seine Jugend wiedergab und

       der ausschweifendsten Frau ihre Jungfrauschaft. Eine

       Schlange hütete die Quelle und brachte jedem Bösewicht,

       der sich ihr näherte, den Tod. Hüon trat ungehindert

       heran, trank aus der Quelle und wusch sich die

       Hände und vergaß fast seinen Auftrag. Nur wenn er

       an Oberon dachte, zitterte er. Wird der Zwerg noch

       einmal kommen, um ihm zu helfen? Er wollte sich

       dessen vergewissern und stieß in sein Horn, aber umsonst:

       niemand ließ sich blicken. Der Emir saß gerade

       beim Mahl, die, welche ihm den klaren Wein eingossen,

       begannen beim Klange des Hornes zu singen,

       und er selber fing zu tanzen an. »Ihr Barone,« sagte

       er, »hört, der dort im Garten bläst, ist gekommen, uns

       zu verzaubern. Ich befehle euch, daß ihr euch bewaffnet,

       sobald er sein Blasen aufgehört hat. Wenn er entkommt,

       sind wir alle beschimpft.« Als Hüon merkte,

       daß niemand kam, legte er sein Horn beiseite und

       weinte. Dann schritt er die Stufen zum Schloß hinauf,

       in den Panzer gehüllt, mit geschlossenem Visier und

       das blanke Schwert in der Faust. Ein Großer des Reiches

       stand am Tisch und suchte die Aufmerksamkeit

       der schönen Emirstochter Esclarmonde, die er heiraten

       sollte, zu erwecken, er war ein reicher Mann von

       edler Abstammung. Hüon näherte sich, schwang sein

       Schwert und schlug dem Heiden den Kopf ab, so daß

       dieser auf die Tafel rollte. »Ein guter Anfang,« sagte

       er zu sich selber, »um dieses bin ich bei Karl entlastet.

       « Der Emir wurde mit Blut bespritzt und schrie:

       »Barone, faßt mir diesen Schurken; wenn er entkommt,

       sind wir alle beschimpft.« Alle Sarazenen

       stürzten sich auf Hüon, der sich nach Kräften verteidigte.

       Er nahm den Ring, den er am Finger trug, und

       warf ihn auf den Tisch: »Herr,« sagte er, »da seht!

       Um dieses Zeichens willen tut mir kein Leid an!« Der

       Emir erkannte den Ring und befahl, Hüon zu schonen.

       Nun trat dieser auf die Tochter des Emirs zu und

       küßte sie dreimal, um sein Wort einzulösen. Esclarmonde

       erbleichte, als sie seinen Atem spürte. Leise

       sprach sie zu ihrer Magd: »Weißt du, warum ich erbleiche?

       « »Nein, bei Gott!« »Sein süßer Hauch hat

       mir das Herz erfüllt; wenn ich ihn heute nacht nicht

       an meiner Seite habe, komme ich von Sinnen.« Hüon

       trat auf den Emir zu und meldete ihm den Auftrag

       Karls: er ersuchte ihn, die Taufe anzunehmen, dem

       Frankenkaiser zu huldigen und ihm den Tribut zu

       schicken, den er verlangte. Der Emir rief: »Dein Herr

       ist toll, das alles kümmert mich keinen Pfifferling.

       Wenn er mir sein ganzes Erbe gäbe, ich würde nicht

       von meinem weißen Barte lassen und von meinen vier

       Backenzähnen. Fünfzehn Boten hat er mir schon hierhergesandt,

       keinen einzigen hat er zurückkehren

       sehen, alle habe ich erwürgen und einpökeln lassen.

       Und, bei Mahommed, du sollst der sechzehnte sein.

       Nur des Ringes wegen wagten wir dich nicht anzutasten.

       So sage mir, mit welches Teufels Hilfe du als

       Franke in den Besitz dieses Ringes gekommen bist?«

       Hüon wagte nicht zu lügen, da er Oberons Zorn

       fürchtete: »Herr Emir,« sagte er stolz, »so wahr Gott

       mir helfe, ich will es Euch sagen. Ich habe Euren

       Herrn getötet und zerstückelt.« Der Emir stieß einen

       Wutschrei aus: »Barone,« rief er, »wollt ihr ihn laufen

       lassen? Wenn er entkommt, sind wir alle beschimpft.«

       Die Heiden hörten es und griffen Hüon von allen Seiten

       an. Nach verzweifelter Gegenwehr entglitt ihm

       sein Schwert, er wurde zu Boden geworfen, sein

       Horn, sein Becher und seine Rüstung wurden ihm genommen,

       und der Emir befragte seine Barone, wel-

       Tod er erleiden solle. »Gehängt soll er werden!« riefen

       sie. Aber der weise Ratgeber des Emirs wußte

       etwas anderes: »Heute ist Johannistag,« sagte er, »da

       kannst du kein Urteil fällen, wenn du nicht gegen das

       Gesetz verstoßen willst. Man muß diesen jungen

       Mann ins Gefängnis werfen und ihn ein Jahr lang

       darin lassen. Im nächsten Jahre sollst du ihn am gleichen

       Tage befreien und ihm auf offenem Felde einen

       Kämpfer gegenüberstellen. Besiegt er diesen, so sollst

       du ihn in Frieden ziehen lassen; wird er aber besiegt,

       so läßt du ihn hängen.« »Wenn das der Brauch meiner

       Ahnen war,« entgegnete der Emir, »so will ich ihn

       nicht außer acht lassen.« Hüon wurde ins Gefängnis

       geworfen, aber nicht lange sollte er darin schmachten.

       Esclarmonde, die sich auf den ersten Blick in ihn verliebt

       hatte, ließ ihn frei. Der Emir wurde getötet und

       seines Bartes und seiner Zähne beraubt; dann ergriffen

       beide die Flucht und gelangten nach vielen weiteren

       Abenteuern, bei denen der versöhnte Oberon wieder

       Hilfe leistete, nach Frankreich, wo Hüon Land

       und Lehen zurückerhielt.

       3. Bertha mit den großen Füßen

       König Pippin von Franken warb, dem Rate seiner Barone

       folgend, um die ungarische Königstochter Bertha

       mit den großen Füßen. Das ungarische Königspaar

       nahm die Werbung an und sandte die Jungfrau in der

       Begleitung ihrer alten Amme Margiste, deren Tochter

       Aliste und ihres Hofmeisters Tybert an den Hof des

       Frankenherrschers. An einem schönen Augusttage

       fand in Paris die Hochzeit statt, und mancher mächtige

       Fürst diente dem jungen Paare beim Mahle. Dann

       räumte man die Schüsseln fort, und drei Spielleute

       zeigten ihre Künste. Als diese ihr Spiel beendet hatten,