Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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seufzte tief auf und erwartete den Tod. Als die Jungfrau

       ihn so stöhnen hörte, begann ihr das Herz zu zit-

       tern, Mitleid erfaßte sie mit dem jungen Manne, den

       sie so geschmäht hatte, fast hätte sie ihn um Verzeihung

       gebeten, und sie bereute unter Tränen ihre harten

       Worte. So machen es die Frauen. So kam es, daß

       ihr Widerstreben schwächer und schwächer wurde,

       während der Jüngling sie an sich zog. Er nahm ihr die

       Blüte der Jungfrauschaft; Blüten nahm er und gab

       Blüten, denn nie hatte er bisher ein Weib berührt.

       Nun enthüllte ihm die Fee, die sich Meliur nannte,

       daß sie ihn schon zuvor gekannt und geliebt habe und

       daß sie es gewesen sei, die dem König den Gedanken

       zur Jagd eingegeben, den Eber aufgescheucht, das

       Schiff geschickt und ihn durch ihre Geister bewirtet

       habe. Parthonopeus dankte der Fee und versicherte sie

       seiner Liebe: »So sehr liebe ich Euch,« sagte er, »daß

       alles andere für mich versunken ist. Nur eines fehlt

       mir noch: ich habe Eure Reize gefühlt, nun möchte

       ich Euch auch sehen.« »Süßer Freund,« entgegnete

       die Frau, »jede Nacht dürft Ihr meine Gunst genießen,

       aber sehen dürft Ihr mich nicht. Ich will nicht eher erblickt

       werden, als bis die Stunde gekommen ist, die

       ich meinen Baronen zur Wahl meines Gatten bestimmt

       habe. Dritthalb Jahre müssen bis dahin noch

       verstreichen. Bis dahin gehört alles Euch: Hunde und

       Falken und schöne Rosse, die wildreichen Wälder

       und die Ströme voll von Fischen, Speisen und Kleider,

       die Stadt und das Schloß und ich selbst. Aber Ihr

       dürft mit niemandem reden als mit mir allein bis zu

       dem Tage, da mich mit Einwilligung all meiner Könige

       Parthonopeus von Blois zur Gattin erhalten soll.

       Denn erst dann, süßer Freund, könnt Ihr Ritter werden,

       nie würden meine Vasallen einen Knappen als

       Herrn anerkennen. Solltet Ihr aber versuchen, mich

       vorher mit List zu erblicken, so werden Tränen und

       Unglück die Folge sein.« »Welche Gründe Euch auch

       zu diesem Gebote treiben, ich achte sie und unterwerfe

       mich,« entgegnete Parthonopeus, »da ich Eurer

       Liebe gewiß bin; was fehlt mir noch zu meinem

       Glück?«

       Einige Wochen verlebte der junge Mann unter unaufhörlichen

       Freuden im Feenlande, dann aber begann

       er Sehnsucht nach seiner Heimat zu empfinden.

       Nächtlicherweile, als er mit Meliur das Lager teilte,

       gestand er ihr sein Sehnen und bat sie, ihm die Reise

       zu gestatten. »Geht, Freund,« sagte diese, »geht, und

       haltet Eurer Freundin die Treue. Frankreich bedarf

       Eurer Hand, denn viele Feinde bedrängen es. Chlodwig

       ist tot, auch Euer Vater ist verschieden, und

       Blois, Euer Erbe, belagert der Feind. Geht und begeht

       Taten des Ruhms und vergeßt nicht, freigebig zu sein,

       denn stets will ich Euch reichlich mit Geld versehen.

       Seid freundlich gegen die Armen und ehrt Gott und

       seine heilige Kirche, aber laßt Euch nicht verleiten,

       mich sehen zu wollen. Wenn der Friede wiederherge-

       stellt ist, so verweilt nicht länger im Frankenlande,

       sondern kehrt um meiner Liebe willen zu mir zurück.

       « »Frau,« entgegnete Parthonopeus, »ich habe

       Eure Lehren gehört und werde Eurem Gebote getreu

       handeln.« Mit Schätzen reich beladen gelangte der

       junge Mann in die väterliche Burg, verjagte seine

       Feinde und befreite das Frankenreich von den Normannen

       und Sarazenen. Dann kehrte er nach Blois zurück,

       aber das Verlangen nach Meliur ließ ihn nicht

       ruhen, und die Mutter, die seinen Kummer alsbald bemerkte,

       stellte ihn deshalb zur Rede und fragte ihn, ob

       ihn Liebessorge quäle. »Mutter,« antwortete er, »ja,

       ich habe eine Liebste, die reichste und sanftmütigste,

       die irgend zu finden ist.« »Ist sie schön?« »Das weiß

       ich nicht.« »Wie? Das weißt du nicht, wenn du sie so

       oft gesehen hast?« Nun erfuhr die Mutter das Verbot

       der Fee, und obwohl sie ihren Sohn darin bestärkte,

       den Wunsch seiner Geliebten zu achten, sann sie doch

       darauf, wie sie ihn den Krallen des Teufels, denn für

       einen solchen hielt sie Meliur, entreißen könne. Man

       veranstaltete ein Mahl und setzte Parthonopeus einen

       Vergessenheitstrunk vor; und wirklich vergaß sich

       dieser soweit, daß er mit seiner freundlichen Nachbarin

       plauderte und nahe daran war, sich in sie zu verlieben.

       Das aber war es, was die Mutter beabsichtigt

       hatte: das junge Mädchen sollte ihn an die Heimat

       fesseln. Fast wäre das Ziel erreicht worden, da ent-

       schlüpften diesem die unbedachten Worte: »Wir

       haben unser Spiel gewonnen, Freund, du bist der

       Macht der schönen Fee entrissen!« Als Parthonopeus

       so an seine Geliebte erinnert wurde, dachte er nach,

       mit einem Male fiel ihm alles wieder ein und eine

       drückende Angst beklemmte ihn. Er sprang auf, entriegelte

       die Tür, durcheilte die Säle und fand sein Roß

       am Torweg. Er bestieg es und eilte im Galopp von

       dannen.

       Aber bald darauf trieb ihn die Sehnsucht nach der

       Heimat ein zweites Mal aus den Armen Meliurs, welche

       ihn diesmal, Böses ahnend, ungern ziehen ließ.

       Die Mutter hatte inzwischen den Erzbischof von Paris

       aufgesucht und ihm erzählt, wie eine Fee ihren Sohn

       verzaubert und ihm verboten habe, sie zu sehen. Als

       daher der junge Mann nach Blois zurückkehrte, berief

       ihn der Erzbischof alsbald zu sich und ermahnte ihn,

       ihm seine Sünden zu bekennen. »Herr,« sagte Parthonopeus,

       »nur einer Sünde weiß ich mich schuldig. Ich

       liebe eine Frau, die nie ich sah. Sie ist es, die mir

       Gold und edle Steine gab, womit ich Könige und Bürger