König Oyster und sein Reich. Bärbel Junker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Junker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016512
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Tante. Übermorgen bin ich wieder zurück.“

      „Muss ich jetzt gleich zu Tante Leonora?“

      Adamos nickte.

      „Aber ich wollte doch noch ein bisschen mit Flunschi spielen“, sträubte sich Eniba.

      „Hast du mich gerufen?“, fragte der winzige, violettfarbene Fisch und kam unter einer Seeanemone hervor geschwommen.

      Doch bevor der junge Wal antworten konnte, übernahm das sein Vater für ihn. „Nein, Flunschi“, sagte Adamos energisch. „Eniba hat dich nicht gerufen. Er bleibt die nächsten Tage bei seiner Tante, und du, sieh zu, dass du nach Hause kommst.“

      „Aber ich ...“

      „Kein aber, Flunschi. Du schwimmst jetzt brav und ohne Widerrede nach Hause“, befahl Adamos streng.

      Der violettfarbene Fisch wurde seinem Namen nur allzu gerecht. Er zog einen Flunsch und schwamm beleidigt davon.

      „Hol deine Sachen, Eniba. Ich muss los“, drängte Adamos.

      „Schau, Papi, da kommt Schebus“, sagte Eniba auf einen vorbei´-gleitenden gemusterten Rochen deutend.

      „Sehr gut. Der kommt mir gerade recht“, murmelte Adamos. „Schebus, unterrichte doch bitte deinen Clan, dass in fünf Tagen eine neuerliche Zusammenkunft im Kuppelsaal stattfindet. Es ist sehr wichtig“, rief Adamos dem Rochen zu.

      „Hab schon davon gehört, Adamos“, rief Schebus zurück. „Wir werden da sein“, versprach er und schwebte so leicht wie eine Feder davon.

      Adamos nickte zufrieden und wandte sich seinem Sohn zu. „Was ist? Worauf wartest du?“, fragte er. „Ich dachte, du hättest bereits gepackt.“

      Eniba drehte sich wortlos um und schwamm in die Höhle hinein.

      „Ja, ja, mein guter Adamos. Die Jungen brauchen eine zwar gütige, jedoch konsequente Hand bei der Erziehung“, sagte die weise Mora, die sich lautlos genähert hatte.

      „Das ist wohl wahr“, seufzte Adamos. „Nett, dass du vorbei gekommen bist, Mora. Aber heute habe ich leider keine Zeit für einen Plausch. Ich muss mich sputen. Habe noch eine Menge zu erledigen. Einen schönen Tag, meine Liebe“, wünschte er, bevor er ebenfalls in der Höhle verschwand.

      Die alte Schildkrötenlady sah ihm lächelnd hinterher. „Jaja, diese ungeduldige Jugend“, murmelte sie gütig. „Da wird man ja schon vom Zuhören müde. Ein kleines Nickerchen wäre jetzt genau das Richtige für mich“, führte sie ihr Selbstgespräch fort. „Also, auf nach Hause“, grummelte Mora und paddelte gemächlich davon.

      DER PLAN

      König Oyster saß grübelnd in seinem Arbeitszimmer und beobachtete die zahlreichen Leuchtfische, die ihm Licht spendeten. Er hatte Kopfschmerzen, und seine Augen brannten wie Feuer.

      „Schwarm zwei, drei, vier und fünf kann sich für heute frei nehmen“, befahl er.

      „Schwarm eins und sechs hält sich in der Vorhalle zur Verfügung. Für den Rest des Abends genügt mir die Leuchtmuschel als Lichtquelle“, fuhr er fort. „Also, meine lieben Freunde, worauf wartet ihr noch?“, fragte der König ungeduldig, als er das Zögern seiner Lichtdiener bemerkte.

      „Wirklich nur die Leuchtmuschel, Hoheit? Wird das nicht zu dunkel sein?“, wagte der Leuchtfisch-Geschwaderkommandant einzuwenden.

      „Unsinn“, brummte der König. „Tut, was ich euch befohlen habe. Und jetzt ab durch die Mitte.“

      Die Leuchtfischgarde formierte sich, salutierte mit einem synchronen, zackigen Flossenschlag und verließ schnurstracks den Raum. König Oyster sah ihnen schmunzelnd hinterher. „Sie sind wirklich rührend um mich besorgt“, murmelte er und wandte sich wieder seinen Sorgen zu.

      Zwei Fragen stellen sich vorrangig, überlegte er. Und zwar: Wie werde ich die im Planktongrund lagernden Giftfässer wieder los? Und wie schütze ich mein Reich und mein Volk vor der Willkür und Gewissenlosigkeit der Menschen? „Gehe ich gewaltsam vor?“, dachte er laut weiter. „Oder verlasse ich mich lieber auf meine Klugheit und auf meine List?“

      „Gewalt bringt nie etwas Gutes, Majestät. Das hat uns doch die Vergangenheit zur Genüge gelehrt“, sagte Weytolus, der Großwesir, und außerdem des Königs Freund und engster Berater.

      König Oyster zuckte bei dessen unverhofftem Auftauchen erschrocken zusammen. Natürlich hatte er wie immer Weytolus nicht kommen hören, und obwohl er seinem Großwesir das Privileg eingeräumt hatte, zu kommen und zu gehen wann immer es diesem beliebte, ging ihm dessen unverhofftes Auftauchen manchmal doch ganz schön auf die Nerven. Vielleicht sollte ich ihn der normalen Hofordnung unterstellen, überlegte der König. Aber dann ist Weytolus gekränkt, und das möchte ich auf keinen Fall.

      „Wenn du dich doch bloß nicht immer so heimlich still und leise anschleichen würdest, Weytolus“, beschwerte er sich. „Irgendwann bekomme ich bei deinem plötzlichen Auftauchen einen Herzschlag und falle tot um.“

      „Ich habe mein Erscheinen durch hörbares Räuspern rechtzeitig angekündigt, Majestät“, sagte der Großwesir pikiert.

      „Das muss ich wohl überhört haben.“

      „Jawohl, Hoheit. Das habt Ihr ganz offensichtlich. Ihr wart so in Gedanken versunken, dass Euch höchstens ein Meeresbeben in die Gegenwart zurückgebracht hätte“, erwiderte Weytolus sichtlich gekränkt.

      „Hmm. Soso. Ein Meeresbeben, meinst du. Das hätte uns gerade noch gefehlt“, brummte der König. „Male bloß nicht den Teufel an die Wand, mein Freund.“

      „Das war doch nur so eine Redensart von mir, Hoheit“, beschwichtigte ihn Weytolus. „Schaut, ich habe Euch frische Blumen mitgebracht.“ Und noch während er sprach, schüttelte er das Füllhorn, welches er stets mit sich führte, und Hunderte pastellfarbener Blütenköpfe lösten sich aus dem Behältnis und schwebten vor des Königs Augen als zartfarbig schimmernder Teppich lautlos zu der bogenförmig gewölbten Decke empor.

      „Zauberhaft. Ganz zauberhaft“, murmelte König Oyster, der Blumen über alles liebte.

      „Ich bin glücklich, Majestät, Euch bei all Euren Sorgen eine kleine Freude bereitet zu haben“, sagte Weytolus bescheiden.

      „Sorgen. Ja, mein Lieber. Sorgen habe ich weiß Gott“, seufzte der König.

      „Eure Klugheit wird uns eine Lösung für unsere Sorgen finden lassen“, erwiderte sein Großwesir.

      „Unsere Sorgen?“

      „Ja, Hoheit. Eure Sorgen sind auch die meinen, und ich werde Euch bei deren Lösung mit Rat und Tat zur Seite stehen“, versprach Weytolus selbstbewusst.

      „Mit Klugheit werden wir es schaffen, meinst du?“

      „Ja, Majestät. Nur mit Klugheit und mit List.“

      „So, meinst du. Schön wäre es ja, denn ich hasse Gewalt. Doch was nützt die eigene Friedfertigkeit, wenn der Gegner nicht darauf eingeht, sondern die Gewalttätigkeit auf seine Fahne geschrieben hat“, seufzte er deprimiert.

      Die unter der Kuppeldecke schwebenden Blüten verhielten sich, als hätten sie des Königs sorgenvolle Worte verstanden; jedenfalls reagierten sie so.

      Der Blütenteppich senkte sich plötzlich, schwebte auf den König zu und verharrte etwa einen Meter über dessen Kopf. Ein besonders schönes, in zarten Pastellfarben schimmerndes Exemplar löste sich aus der Masse und ließ sich auf des Königs rechter Hand nieder.

      „Wunderschön“, murmelte König Oyster, und ein weiches Lächeln verklärte sein Gesicht. Die Blüte zwischen Zeige- und Mittelfinger balancierend spürte er, wie seine Depression so schwerelos wie ein Schmetterling davon flog. Vorsichtig legte er die Blüte in eine Alabasterschale und stellte diese auf seinen rosafarbenen,