König Oyster und sein Reich. Bärbel Junker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Junker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016512
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den leuchtend gelben Rucksack auf seinen schmalen Schultern zurecht und sah sich unternehmungslustig um. Sein Blick fiel auf Robby, die sich herangepirscht hatte und gerade in diesem Moment ihren Kopf neugierig aus dem Wasser streckte.

      „Eine Robbe! Sieh nur Mutti, da drüben ist eine weiße Robbe!“, schrie Tommy aufgeregt.

      Robby tauchte blitzschnell unter.

      „Eine Robbe? Wo?“, fragte Dennis. „Ich sehe keine.“

      „Scheiße! Jetzt ist sie weg“, fluchte der Junge.

      „Tommy, keine Schimpfwörter bitte“, ermahnte ihn Nadja.

      „Entschuldige, Mama, das ist mir so rausgerutscht“, sagte Tommy verlegen. „Soll nicht wieder vorkommen. Aber ich hab noch nie eine weiße Robbe gesehen.“

      „Weiße Robben? Du musst dich geirrt haben, Schatz. Hier gibt es keine weiße Robben, nur ganz normale, bräunlich-graue Seehunde.“

      „Aber ich habe sie doch gesehen. Sie war weiß, Mama, ganz bestimmt“, behauptete Tommy.

      Nadja fuhr ihrem Sohn liebevoll durch seinen dichten Haarschopf. „Wahrscheinlich hat dich das Sonnenlicht genarrt“, sagte sie begütigend. „Das kann jedem Mal passieren.“

      Und ich habe sie doch gesehen! Sie war weiß, und da bin ich mir ganz sicher, dachte Tommy, sagte jedoch nichts mehr.

      „Geh´n wir?“, fragte Dennis, der sich aus Meinungsverschiedenheiten zwischen Nadja und ihrem Sohn, den er wie sein leibliches Kind liebte, heraushielt.

      Nadja nickte, und sie machten sich auf den Weg.

      Zwanzig Minuten später erreichten sie das zweistöckige Reetdachhaus der Witwe Johannsen und klingelten. Eine korpulente Dame mittleren Alters öffnete und hieß sie willkommen.

      „Ihre Zimmer liegen in der oberen Etage. Kommen Sie, ich zeige Sie Ihnen“, sagte sie und stieg vor ihnen die massive Holztreppe hinauf. „Ich habe gehört, Sie wollen hier ein Buch schreiben?“, fragte sie.

      „Ein Buch? Nein, wir recherchieren für einen Artikel über Umweltverbrechen“, erwiderte Dennis.

      „Da...das hat man mir aber nicht gesagt“, stotterte die Frau sichtlich erschrocken und nestelte nervös an ihrem glitzernden Anhänger herum.

      „Wieso? Ist das ein Problem“, fragte Dennis.

      „Nein, nein“, stieß die Frau hervor und verließ so hastig den Raum, als seien ihre Besucher plötzlich von einer ansteckenden Krankheit befallen.

      „Was hat sie denn plötzlich?“, fragte Dennis.

      Nadja schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.“

      „Darf ich spielen gehen?“, fragte Tommy.

      „Ja, aber bleib dem Wasser fern“, sagte seine Mutter.

      „Mach ich“, rief Tommy und sprang davon.

      „Und was machen wir beiden Hübschen?“, fragte Nadja.

      „Wir machen die Dorfschänke unsicher“, grinste Dennis und nahm ihre Hand.

      IN DER FRIESENSTUBE

      Auf dem Weg zur Friesenstube, der einzigen Gaststätte auf der Hallig, drehte sich ihr Gespräch immer wieder um die seltsame Reaktion ihrer Vermieterin. Weshalb war die Frau so erschrocken? Hatte sie etwas zu verbergen, vielleicht sogar etwas, das ihren Auftrag betraf? Ihr Jagdfieber nach Informationen war erwacht und beflügelte ihren Schritt.

      Kurze Zeit später erreichten sie die Friesenstube, und Dennis öffnete die Tür. Verqualmte Luft und Stimmengewirr schlug ihnen entgegen, verstummte jedoch, nachdem sie eingetreten waren.

      Sie nahmen am Tresen Platz, und Dennis bestellte bei dem dicken, rothaarigen Wirt zwei Bier. Um sie herum wurden die Gespräche wieder aufgenommen, doch immer wieder flogen argwöhnische Blicke zu den Neuankömmlingen herüber.

      Dennis sah sich unauffällig in dem dunkel getäfelten Schankraum um. Zwei Barhocker entfernt von ihm saß ein kräftiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und schwarzen, im Nacken zusammengebundenen Haaren, der sich mit einem pockennarbigen Mann unterhielt. Neben dem Pockennarbigen saß ein Typ mit eisgrauem Bürstenhaarschnitt und einem Raubvogelgesicht, den der Wirt Karsten nannte. Und dann war da noch der Glatzköpfige!

      Oha, schüttelte sich Dennis innerlich. Dem möchte ich aber nicht unter die Finger geraten! Was für Muskeln! Allerdings passt sein lächerlich kleiner Kopf nicht dazu. Aber vielleicht benötigt sein Gehirn ja nicht allzu viel Platz, dachte er boshaft, als ihn die Stimme des Wirtes aus seinen Betrachtungen riss.

      „Ich möchte zu gerne mal wissen, was Sie auf unserer Hallig zu suchen haben, Mister“, sagte dieser gerade. „Wir sind an Besuchern nämlich nicht besonders interessiert.“

      „Unsere Zeitung hat uns hierher geschickt. Wir suchen nach Fakten und Informationen über ein Umweltvergehen“, sagte Dennis.

      „Umweltvergehen! Mein Gott, wie gebildet! Aber so was gibt´s bei uns nich´, da könn´ Sie man besser gleich wieder abhau´n, bevor Ihn´ noch was passiert“, sagte der Pockennarbige frech.

      „Karl, du hältst dich gefälligst zurück“, befahl Karsten, und an Dennis gewandt: „Aber es stimmt. Bei uns gibt es keine Umweltkriminalität. Ich fürchte, Sie haben den weiten Weg umsonst gemacht. Sie hätten lieber in Endepha bleiben sollen. Städter halten es hier nämlich nicht lange aus. Sie sollten schnellstens wieder abreisen.“

      Woher weiß der Typ, dass wir aus Endepha kommen? dachte Dennis. Natürlich von der guten Frau Johannsen, beantwortete er seine Frage selbst. Anscheinend hatte sie nichts Eiligeres zu tun, als diese Information weiterzugeben.

      „Karsten hat recht“, mischte sich nun auch noch der Glatzköpfige ein. „Die Presse macht viel zu viel Aufhebens um das bisschen Öl.“

      „Öl?“, fragte Nadja spitz. „Uns sagte man, es seien hochgiftige Chemieabfälle.“

      „So´n Quatsch“, knurrte der Wirt und strich sich mit der Hand über den roten Schnauzbart, der nur unzulänglich die tiefe Hasenscharte verbarg.

      „Und was ist mit den entstellten Meereslebewesen, die angeschwemmt wurden? Ist das etwa auch Quatsch?“

      „Diese sogenannten entstellten Tiere gerieten höchstwahrscheinlich in Schiffsschrauben oder wurden von anderen Fischen angefressen“, mischte sich der Dunkelhaarige ein. Er drehte sich zu Nadja um und starrte sie an.

      Seine Augen sind wie aus Glas, dachte Nadja und erschauerte unter deren eisigen Blick. Doch so leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. „Und wie erklären Sie die von Wucherungen übersäten Körper?“, fragte sie.

      „Gar nicht. Das ist von den Medien verzapfter Quatsch“, sagte der Dunkelhaarige und drehte ihr den Rücken zu.

      UNHEIMLICHE BEGEGNUNG

      Tommy war trotz des Verbotes zum Strand hinuntergelaufen. Geschwind entledigte er sich seiner Turnschuhe und Socken und eilte, sein nagelneues Boot mit den rotweiß gepunkteten Segeln und den silbern glänzenden Beschlägen fest an sich gepresst, aufs Wasser zu.

      Doch, Halt! Was war das?

      Tommy stoppte so abrupt, dass er das Gleichgewicht verlor und der Länge nach hinfiel. Aber der Sand war weich, und so tat er sich nicht weh. Er rappelte sich wieder hoch und sah sich auf den Knien hockend nach dem Gegenstand um, der seinen Sturz verursacht hatte.

      Wo war er? Seine haselnussbraunen Augen wanderten suchend über den Sand. Aha! Das Funkeln dort, nur wenige Schritte entfernt, das musste er sein. Tommy stand auf und ging hin. Er bückte sich und hob es auf.

      „Uiiii, das ist aber hübsch!“, rief er begeistert und ließ