Anúa Sora hatte, wie auch ihr Gegenstück Celáhr Dran, ihre transparenten Lider geschlossen, um ihre Augen vor dem umherwirbelnden Sand zu schützen. Sie sah mehrmals zwischen der Decke und den beiden schwarzhäutigen Creen hin und her, die schützend über den Tospari gebeugt standen, und fragte sich, welchen Sinn es hatte, sie zu retten, wenn sie sowieso vom Gestein erschlagen würden. Throna und Tyy machten zwar einen überaus kräftigen Eindruck, aber sollte das Gewölbe tatsächlich einstürzen, konnten auch sie nichts dagegen ausrichten.
Die Anspannung stieg ins Unermessliche.
»Wann bricht dieses vermaledeite Ding endlich zusammen?«, sagte Boone mit zaudernder Schroffheit. »Ich will meine zwanzig Crix.«
Doch dann sagte Lih’Ar vom Haus der Ersten, Uco’Chenty etwas, das die Anspannung abschwellen ließ. »Ich glaube nicht, dass wir in Gefahr schweben. Mein Ru’Uco bleibt aus. Und Bras` ebenso. Außerdem lassen die Erschütterungen allmählich nach. Merkt Ihr es nicht?«
So war es. Kurze Zeit später war alles wieder ruhig. Sie verharrten einige Augenblicke, wie an der Wand festgeklebt. Ein leichtes Nachrieseln von Sand und Kiesel war zu hören.
Als sie wagten ihre Köpfe zu heben und sich langsam umdrehten, konnten sie durch den noch immer umherwirbelnden Staub und Sand nichts erkennen und glaubten, in ihren Körpern immer noch ein leichtes Vibrieren zu spüren.
Throna schüttelte sich, um seine Kleidung vom Schutt zu befreien. Einige zuckten zusammen, weil sie dachten, dass die Erschütterungen von neuem begännen.
Ihre Gesichter waren ein Foto wert, als ihnen klar wurde, welche Auswirkungen die Erschütterungen gehabt hatten. Sie starrten zu der Stelle, an der zuvor der Sandfall rieselte. Nur dass sich die Wand dahinter in einen weit einsehbaren Tunnel gewandelt hatte. Es gab noch einen Unterschied, der jedem ins Auge stach: Im Gegensatz zu den anderen Durchgängen war dieser völlig mit dem leuchtenden Gestein ausgekleidet. Das Licht glich einer gigantisch langen Neonröhre. Langsam näherten sie sich der Öffnung und beobachteten das wunderschöne Lichtspiel.
»Bemerkenswert!«, staunte Carsi Wops lautstark, der in seinem Element als Geologe aufging.
»Magisch.« Quinn war verzaubert. »Einfach magisch, dieses Licht.«
»Dann sollten wir nicht länger warten und mit der Erkundung beginnen.« Lih’Ar konnte ihre Neugier nicht verbergen. »Ich glaube, so ist es am besten: Ich bilde die Vorhut, um rechtzeitig auf eventuelle tödliche Gefahren aufmerksam zu machen. Bras, du bildest das Schlusslicht, falls hinter uns Gefahr drohen sollte.«
»Einverstanden!«, stimmte ihr Gatte zu. »Gehen wir.«
Sie wanderten durch den extrem hell strahlenden Gang. So hell, dass ihre Augen zu Schlitzen wurden und sie ihre Hände vors Gesicht hielten. Die Gidaner Celáhr Dran und Anúa Sora hatten mit dem grellen Licht besonders zu kämpfen, da ihre Augenlider transparent waren. Sie versuchten, eine Weile ohne Schutzbrille auszukommen. Lange konnten sie der außerordentlichen Helligkeit nicht standhalten. Sie mussten mit einer schwarzen Schutzbrille weiterlaufen.
Nach einigen hundert Metern war die Gruppe am Ende des Tunnels angelangt. Es war ein weiterer großer Raum, durch das einfallende Licht des Ganges gut erkennbar.
Boone überholte die Alesstri und betrat die rechteckige leere Kammer, ging auf die Mitte zu und wischte - wie zuvor Lih’Ar - den Sand am Boden zur Seite. Es machte den Eindruck, als suche er nach denselben Ornamenten, wie sie sie im Gewölbe entdeckt hatten.
Zu Boones Zufriedenheit war der Boden frei von Objekten, die Wände zum Ein- oder Herabstürzen brachten. »Ihr könnt den Raum betreten. Alles in Ordnung. Keine Höhlen-Einsturz-Knöpfe auszumachen.« Er winkte die Gruppe mit einer einladenden Geste zu sich.
Zögernd schlossen sie - gefolgt mit etwas Abstand zu Tari - zu Boone auf. Die Kammer war ihnen unheimlich. Kein ersichtlicher Ausgang, keine Fenster, keine Türen, keine einzige Öffnung, die darauf schließen ließe dass dieser Marsch seinen Zweck erfüllt und sie mit diesem Raum ihren ersehnten Ausgang gefunden oder ihr Ziel erreicht hatten.
»Wir haben zwar nicht zu befürchten, dass ein falscher Fußtritt alles zum Einsturz bringt, stattdessen landen wir an einem Ort, der noch weniger Hoffnung birgt, hier herauszukommen«, dröhnte Dran vorwurfsvoll. »In dem Gewölbe hätten wir vielleicht den Weg freibekommen, um zu den Buggys zu gelangen.«
»Halt doch die Klappe, Spitzkinn!«, reagierte Bras unwirsch.
»Der immerwährende Pessimist, nicht wahr, mein Freund?«, meinte Throna mit einer beruhigenden Stimme. »Lass uns doch den Raum genauer untersuchen. Vielleicht hat Mel etwas übersehen, das uns doch noch weiterhelfen kann, einen Ausweg zu finden.«
Lih’Ar kam hinzu. »Er hat Recht, Bras. Sehen wir uns um«, stimmte sie zu, nahm ihren Mann am Arm und ging mit ihm suchend umher. Als würden sie an einem sonnigen Tag in irgendeinem Park auf Alesstri spazieren gehen, so wirkte die Zweisamkeit, beobachtete man das Paar bei ihrer Suche.
Bis in die hintersten Ecken kamen ihre suchenden Blicke. Die Wände wurden abgetastet, ob es nicht versteckte Hebel oder Schalter gab. Der Fußboden wurde ein zweites Mal gründlich untersucht. Jede Mühe war vergebens.
»Nun bin ich mit meinem Latein wirklich am Ende. Ich befürchte, dass wir in diesem Loch tatsächlich gefangen sind und es nicht so aussieht, dass sich an dieser Tatsache in nächster Zeit etwas ändern könnte.« Boone wischte sich wehmütig den Schweiß von der Stirn. Es wurde stickig, die Temperatur stieg an.
Abgesehen davon, dass Boone seine zwanzig Crix verloren hatte, irrten sie ziellos in einem Raum umher wie ein paar Irre in einer Gummizelle. Was ist das bloß für eine lahme Mission?
Im Gegensatz zu Boone war Condara Tyys Latein noch nicht am Ende. »Dass wir etwas vergessen haben zu überprüfen ist Euch bewusst, nicht wahr? Werft einen Blick nach oben. An der Decke haben wir noch nicht nachgesehen. Dort oben könnte alles Mögliche sein.«
Wops blickte hoch. »Es ist nichts zu erkennen. Das Licht reicht nicht aus, um etwas auszumachen. Außerdem müsst Ihr mir erklären, wie Ihr dort hinaufgelangen wollt? Die Decke ist viel zu hoch.« Für den kleinen Tospari mehr als für die anderen.
Dran ging zum Tunnel und brach ein beachtliches Stück leuchtenden Gesteins heraus. Er drückte dem Tospari den Brocken wortlos in die Hand. Wops hatte die Befürchtung, dass der Stein heiß war. Unbegründet. Er wusste nicht, was Dran vorhatte und warum er ihm diesen Stein gab. Plötzlich spürte er einen festen Griff an den Hüften und verlor den Boden unter den Füssen. Schlagartig war ihm klar, was er vorhatte.
Er hob Wops wie ein Kind auf seine Schultern, nahe an die Decke. Jetzt konnte er alles genau untersuchen. In den Ecken fand er eine Art Lichtschranken mit einem darunter liegenden Vorbau, der aussah wie eine Ablage. Als Carsi Wops den Stein an diese Schranken hielt, begann der darin eingebaute Chip zu arbeiten. Seltsame, ächzende Geräusche wurden laut, es blinkte gelegentlich. Was auch immer sich dort oben tat, es tat sich hörbar schwer. Nahm er den Stein wieder weg, schwieg das elektronische Ding. Diese Apparaturen befanden sich in allen vier Ecken.
»Gefunden hätten wir etwas. Gilt es nur noch herauszufinden, wie uns die Dinger aus diesem Raum helfen können, falls sie das können«, überlegte Quinn mit dem Kopf im Nacken.
Sie bat den langen Gidaner, sie anstelle des Tospari zur Decke zu hieven, um sich die Teile genauer ansehen zu können.
Quinn konnte recht schnell erahnen, wie die Apparaturen funktionierten, was sie bewirkten jedoch nicht. »Ich brauche noch drei Steine in etwa derselben Größe.«
Anúa Sora, das Pendant zu ihrem hitzigen Kollegen Celáhr Dran, kümmerte sich um die Steine