Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara McKay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189543
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einkaufen, den Dad erwähnt hat.

      Stattdessen halte ich auf das schmiedeeiserne Schild zu, auf dem in schnörkeligen Lettern Scissor Sisters steht.

      Am Empfang erwartet mich bereits Eves Schwester Carol, die mich erwartungsgemäß nicht erkennt. Carol Smithers ist wortkarg und mürrisch, außerdem kann sie sich viele Dinge nicht merken, darunter Gesichter. Menschen, die sie nicht regelmäßig sieht, erkennt sie meist nicht wieder – vielleicht tut sie aber auch nur so, weil sie wirklich nur ungern mit anderen spricht. Ein Verdacht, den nicht nur ich hege.

      Als Kind hatte ich immer ein wenig Angst davor, von ihr mit Haut und Haaren gefressen zu werden, was sicher an den Erzählungen über die bösen Feen liegt, die mir mein Großvater abends am Feuer vorlas. Eine Illustration einer besonders bösartigen Fee, die auch niemals mit den Menschen sprach, sah Carol leider auch noch so ähnlich, dass diese Vorstellung von ihr sich lange in meine Teenagerjahre gehalten hat.

      Am Empfang eines Friseurgeschäftes ist sie sicher nicht besonders gut platziert mit ihrer abweisenden Art, aber ich muss eingestehen, dass es dennoch rührend ist, wie Eve ihre Schwester miteinbezieht. Carol ist ein wenig langsam, dazu ihre eigenbrötlerische Art… Sagen wir einfach, es ist ein Segen, dass sie ihre große Schwester hat.

      Jetzt betrachtet sie mich finster von oben bis unten.

      Sie ist alt geworden in den letzten vierzehn Jahren, schießt es mir durch den Kopf.

      Aber das ist ja auch völlig normal, schließlich muss sie ungefähr im selben Alter sein wie mein Dad. Allerdings wirkt sie wesentlich älter. Ganz anders ihre quirlige Schwester Eve, die jetzt förmlich auf mich zugestürzt kommt. Eingehüllt in eine Wolke Chanel Nr.5 – ein Klassiker unter den Parfüms, wie meine Mum stets zu sagen pflegte. Miss Smithers betrachtet mich von oben bis unten, legt die perfekt manikürten Finger theatralisch an die Wangen und sieht mich mit großen Augen an, als wäre ich eine Erscheinung.

      „Anna McDonald?“

      „De Luca“, korrigiere ich sie automatisch.

      „Ach ja.“ Sie winkt ab, als wäre das nebensächlich. Was es tatsächlich gerade ist. „Was kann ich für dich tun, Schätzchen?“

       Schätzchen…

      Ja, das ist Eve Smithers, wie sie leibt und lebt. Sie sieht aus wie eine in die Jahre gekommene Marilyn Monroe und alle Menschen heißen bei ihr nur ‚Schätzchen‘, gerade so, als sei sie einem alten Hollywoodstreifen entstiegen.

      „Hätten Sie heute Zeit mir die Haare zu färben?“, frage ich verlegen.

      „Der Ansatz sieht aus, als hättest du ihn seit Monaten vernachlässigt“, schimpft sie, zwinkert mir jedoch gutmütig zu.

      Ich lasse mich von ihr zu einem Stuhl bugsieren und genieße es, wie sie vor sich hin schnattert, ohne zu erwarten, dass ich antworte. Stattdessen lehne ich mich in dem Friseurstuhl zurück und hoffe, dass Eve Smithers meinen Haaren zu neuem Glanz verhilft.

      Carol beobachtet uns argwöhnisch von ihrem Posten am Empfangstresen aus, dabei scheint sie immer wieder vor sich hin zu murmeln. Kein Wunder, dass ich sie als Kind immer etwas merkwürdig fand.

      Es ist seltsam wieder hier zu sein, wo ich mit gerade mal siebzehn Jahren meine erste Dauerwelle bekam – nach der ich mich in mein Zimmer einsperrte und heulte wie ein Schlosshund, weil ich wie ein Königspudel aussah.

      Während meine Haare mit Blondierungscreme behandelt werden, quasselt Eve fröhlich über Klatsch und Tratsch aus Sheemore. So erfahre ich, dass Jo mit ihrem langjährigen Freund, einem hiesigen Fischer, über der Bäckerei wohnt.

      „Gordon Jameson?“ Ich schiebe den Namen eine wenig in meinem Kopf hin und her, doch es ist niemand, den ich kenne.

      „Er ist der Enkel des alten Hamish Jameson. Seine Tochter ist in den 80er-Jahren nach London abgehauen und hat einen unehelichen Sohn bekommen. Vor etwa zehn Jahren stand er plötzlich vor Hamishs Tür und wollte seinen Grandpa kennenlernen. Kannst du dir das vorstellen?“

      Irgendwie schon. Ich bin vor vierzehn Jahren auch einfach abgehauen. Nicht nach London, sondern auf den Kontinent. Ich war schwanger und der Meinung, meine große Liebe gefunden zu haben. Aber das scheint in einem anderen Leben gewesen zu sein. Es ist alles so unwirklich, dass es genauso gut jemand anderem passiert sein könnte.

      „Muss für Hamish ein großer Schreck gewesen sein“, sage ich.

      „Und wie!“ Eve reißt die strahlend blauen Augen weit auf. „Aber irgendwie war`s auch ein Glück für ihn. Gordon ist ein guter Kerl. Er ist nun ebenfalls Fischer, wie sein Grandpa vor ihm. Wem hätte Hamish auch sein Boot vermachen sollen, wenn er nicht aufgetaucht wäre?“

      „Hm“, murmele ich undeutlich.

      „Bist du hier, um das Da Paola zu übernehmen?“, fragt Eve neugierig, während sie die altmodische Trockenhaube hinter meinen Stuhl schiebt und einstellt.

      Ich könnte nicht irritierter sein, wenn sie mich gefragt hätte, ob ich dem chinesischen Staatszirkus beitreten möchte.

      „Das Da Paola?“

      „Das Restaurant deiner Mutter steht seit so langer Zeit leer, es ist eine Schande.“

      „Aber Dad hat es verkauft“, protestiere ich schwach, aber irgendwie ahne ich schon, dass mir Dad in dem Punkt einen Bären aufgebunden hat.

      „Verkauft? Schätzchen, das würde dein Vater niemals übers Herz bringen. In dem Restaurant steckt das Herzblut deiner Mutter.“

      Irgendwie bin ich froh, als in diesem Moment die Glocke klingelt und einen neuen Kunden ankündigt. Ich sehe Eve nach, die auf ihren Pumps zum Eingang stöckelt, mit einer bemerkenswert guten Figur für Mitte Sechzig, wie ich finde. Wie betäubt starre ich ihr hinterher.

      Nur eine Seitenstraße weiter befindet sich das Da Paola, das italienische Restaurant meiner Mutter. Wie selbstverständlich habe ich angenommen, dass mein Vater mir die Wahrheit gesagt hat, als er meinte, er habe es verkauft. Nur um jetzt herauszufinden, dass das nicht stimmt. Aber vielleicht ist Eve auch nicht auf dem Laufenden – was ich mir jedoch kaum vorstellen kann, ist ein Friseursalon doch die Brutstätte des kleinstädtischen Klatsches.

      Ich schüttele entschieden den Kopf, der von der scharfen Blondierungscreme ein wenig brennt und nehme mir fest vor, nach diesem Friseurbesuch die Straße hinauf zu laufen, um nach dem Restaurant zu sehen. Sofern ich an den giftigen Dämpfen der Blondierung nicht vorher sterbe. Das Zeug riecht nicht nur höllisch, sondern sendet Hitze von meiner Kopfhaut in meinen gesamten Körper.

      Kurz denke ich wehmütig an Bruno, einen begnadeten Haarkünstler, der nur mit den exklusivsten Produkten arbeitet und der sein Geschäft im Zentrum von Bologna hat, nahe unserer Wohnung. Aber dann fällt mir ein, dass ich mir seine Dienste sowieso nicht mehr leisten könnte, außerdem lebe ich jetzt hier und so ergebe ich mich meinem Schicksal mit dem Trost, dass Eve Smithers meines Wissens nach noch niemanden umgebracht hat mit ihren Blondierungen. Ihre Dauerwellen stehen selbstverständlich auf einem ganz anderen Blatt, aber zum Glück bin ich aus dem Alter raus, da ich eine Frisur wie Alyssa Milano in den 90er-Jahren haben wollte.

      Auch wenn es im Inneren des Ladens dunkel ist, kann ich erkennen, dass alles wie immer aussieht. Im vorderen Bereich stehen runde, sowie eckige Tische aus Rohr, mit dazu passenden Stühlen mit einer Bespannung aus Wienerstroh, hinten glänzt der Tresen aus dunkler Eiche. Es sieht sauber und ordentlich aus, sogar Tischdecken liegen auf, gerade so, als wenn das Restaurant nur darauf warten würde, dass jemand kommt und es für das Mittagsgeschäft öffnet. Neben mich stellt sich eine Familie, an ihren Wanderrucksäcken identifiziere ich sie als Touristen.

      „Ist das Restaurant offen?“, fragt mich die Frau mit einem unverkennbaren italienischen Akzent.

      „Nein“, antworte ich knapp.

      „Schade.“ Sie sieht enttäuscht aus, genauso wie der Rest ihrer Familie.

      Am liebsten würde ich sie anblaffen, dass sie doch wohl nicht in Schottland