Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara McKay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189543
Скачать книгу
Er blickt sich im Gras um, doch meine High Heels liegen bekanntermaßen irgendwo am Straßenrand.

      „Eine Waldelfe braucht doch keine Schuhe“, antworte ich trocken, dann mache ich mich daran, den Hügel weiter zu erklimmen.

      Mein neuer Bekannter folgt mir und schließt schließlich zu mir auf.

      „Sheemore, der Name ist schon ein wenig irritierend. Man stellt sich einen richtigen Berg vor. Ich kann kein Gälisch, aber mhòr bedeutet doch ‚groß‘, wenn ich nicht irre?“

      „Der Name Sheemore soll nur darauf hinweisen, dass hier Feen leben“, antworte ich knapp. „Mit ‚groß‘ ist nicht unbedingt der Hügel gemeint, sondern das hier.“

      Wir haben den langgezogenen Hügelkamm erreicht und ich atme tief durch, während ich auf das Tal zeige, das sich wie ein verwunschener Ort vor uns ausbreitet. So steil der Anstieg auf der einen Seite ist, so sanft wellt sich der Hügel auf der anderen, mit vielen begrünten Terrassen, uralten Bäumen und Tümpeln. Von der Straße aus ist dieser Teil nicht einsehbar und die Schönheit des Feenhügels von Sheemore bleibt daher vielen Menschen verborgen.

      So wohl auch Nicholas Lyle, der nun neben mir stehenbleibt, einen Laut des Erstaunens von sich gibt und mit offenem Mund auf das Tal der Feen blickt. Denn eigentlich sind es genau diese sattgrünen bewachsenen Terrassen, die Bäume und die kleinen Tümpel, von denen man seit Generationen hier in Sheemore behauptet, dass dort das kleine Volk lebt.

      „Ich habe noch nie so etwas gesehen“, staunt mein Begleiter, die Augen auf die Landschaft geheftet, die sich ihm darbietet.

      „Du stammst nicht von hier“, stelle ich fest, es ist keine Frage.

      In Sheemore kennt jeder jeden. Ich hätte ihn erkannt, wenn er mit mir hier aufgewachsen wäre. Die Auswahl der Jungs in unserem Alter war für Jo und mich äußerst begrenzt, weswegen wir als Teenager förmlich danach lechzten, auf die Highschool nach Kirkcaldy gehen zu können.

      „Nein.“ Er schüttelt den blonden Schopf. Sein teurer Haarschnitt ist sicher nicht von Scissor Sisters. „Ich bin in Ayr geboren und bis zu meinem fünften Lebensjahr dort aufgewachsen, danach habe ich immer nur in Manchester gelebt. Und wie vielleicht manche wissen, ist Manchester nicht gerade für seine landschaftliche Schönheit berühmt. Zudem bin ich kein Wanderfreund.“

      Ich betrachte verstohlen seinen muskulösen Körper, der sich unter dem engen gestreiften Shirt und der figurbetonten Jeans ziemlich gut abzeichnet.

      „Du bist dann eher der Typ, der ins Fitnessstudio geht, um sich solche Muskeln zu erarbeiten?“, entfährt es mir und mein Blick bleibt an dem beachtlichen Bizeps hängen, der aus dem Ärmel seines T-Shirts hervorlugt.

      „Ertappt.“ Er hebt lachend die Hände. „Aber da es in Sheemore und Umgebung keins zu geben scheint, habe ich den Rat der netten älteren Dame aus dem Teegeschäft angenommen und es doch einmal mit einer Wanderung versucht. Tatsächlich bin ich prompt mit einer tollen Aussicht belohnt worden.“

      Er sieht mich an. Lange. Intensiv. Und ich weiß absolut nicht, ob er mir gerade ein Kompliment gemacht hat.

      „Wollen wir?“, frage ich, um die peinliche Situation irgendwie zu entschärfen und setze vorsichtig einen Fuß auf den Pfad, der sich ganz natürlich in den Hügel einfügt.

      Also ehrlich, dieser Nicholas Lyle aus Manchester – wer auch immer er ist und was ihn in ein verschlafenes Nest wie Sheemore geführt hat – geht ganz schön ran. Aber was ich gerade nicht brauchen kann, ist ein Flirt. Ich meine, wie lange ist es her, seit ich mich von Matteo getrennt habe? Es sind keine drei Tage vergangen, seit ich ihm gesagt habe, dass ich mit den Kindern fortgehe, obwohl wir natürlich schon früher über eine Trennung geredet haben.

      „Darf man das denn?“, fragt Nicholas unsicher.

      „Was?“

      „Da runter gehen.“

      „Warum denn nicht?“

      „Ich dachte immer, dass man Feen nicht stören darf.“

      „In Manchester vielleicht nicht“, spöttele ich.

      „Ich glaube kaum, dass es in Manchester irgendwelche Feen gibt.“

      „Du musst leise sein, vorsichtig laufen und genau darauf achten, wohin du trittst“, gebe ich die nötigen Instruktionen, ganz so, wie ich es von meinem Großvater gelernt habe, der mich gerne mit auf ausgiebige Wanderungen nahm.

      „Muss ich auch irgendwelche Zaubersprüche vor mich hin sagen?“

      Ich erkenne Spott, wenn ich ihn höre.

      „Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht an den Zauber der Feen glaubst.“

      „Vielleicht glaube ich nicht an Feen, aber ich möchte mir diesen geheimnisvollen Ort gerne genauer ansehen.“

      „Meinetwegen“, gebe ich nach, dann folgt ein eindringliches: „Aber jetzt leise.“

      Es duftet flüchtig nach Rosmarin und wildem Thymian. Das ist der Ort, der mich seit je her geerdet hat, der neben dem Restaurant meiner Mutter immer meine Zuflucht war, wenn ich Kummer hatte. Und plötzlich wird mir auch klar, warum ich hier bin. Ganz unbewusst habe ich Ruhe gesucht, einen Ort, der mich wieder ins Gleichgewicht bringt und das Karussell meines Lebens für einen Moment zum Anhalten zwingt.

      Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass mich jemand dabei begleiten würde – und dass meine Füße plötzlich höllisch schmerzen, da ich jedes kleine Steinchen auf dem Pfad unter meiner Fußsohle spüre.

      „Autsch!“ Ein besonders spitzer Stein bohrt sich in meine große Zehe und ich hüpfe erschrocken beiseite.

      „Ich dachte, wir müssen leise sein“, meint Nicholas naseweis und sieht mich triumphierend an.

      „Na vielen Dank auch, das weiß ich selbst“, gebe ich ihm eine kühle Antwort, dann versuche ich so würdevoll wie möglich weiterzulaufen.

      Meine High Heels wären mir hier auch nicht nützlich. Barfuß läuft es sich tatsächlich besser. Aber zugegeben, mit Turnschuhen wäre es natürlich tausend Mal angenehmer. Wenn man nie barfuß läuft, dann spürt man jedes kleine Kieselchen, jeden verdorrten Grashalm unter den weichen Fußsohlen.

      „Wir sollten vielleicht nicht weiterlaufen“ Nicholas wirft einen bedeutungsvollen Blick auf meine Füße. „Mag ja sein, dass Waldelfen keine Schuhe brauchen, aber du schon.“

      Ich werfe einen Blick ins Tal, wo man die kreisförmig angeordneten uralten Eichen sehen kann, ganz ähnlich einem Steinkreis. Dorthin hat mich mein Großvater immer gebracht und gemeint, dass dies der Versammlungsort der Feen sei, wo sie die Wünsche der Menschen am besten hören können. Für einen kurzen Augenblick zögere ich.

      „Nun, jetzt hast du mich aber ertappt“, sage ich schließlich mit einem schiefen Grinsen. „Wie dumm, dass du mich als völlig normale Frau enttarnt hast.“

      „Von ‚normal‘ habe ich nichts gesagt.“

      Das ist der Moment, in dem ich wirklich, wirklich gerne eine Augenbraue hochziehen möchte. Nur eine. Das hat einfach eine ganz andere Wirkung. Stattdessen bekommt dieser Nicholas einen warnenden Blick, den ich eigentlich für meine Kinder reserviert habe, wenn sie dabei sind etwas anzustellen. Er bemerkt ihn, quittiert ihn aber nur mit einem leisen Lachen.

      Wir sind noch nicht weit gelaufen, deswegen haben wir den Hügelkamm schnell wieder erreicht. Auch der Ausblick auf dieser Seite raubt einem den Atem. Die unendliche Weite des Meeres, unser Cottage auf der Klippe und darunter irgendwo einige spielzeugkleine Häuser der Stadt.

      Ich bin wieder hier. Und es fühlt sich so richtig an. Hier gehöre ich hin, auch wenn ich noch nicht weiß, wie es weitergehen soll. Alles wird sich fügen.

      „Nachdem ich nun weiß, dass du keine Waldelfe bist und nicht in diesem verwunschenen Tal wohnst, darf ich dich nach Hause bringen?“ Nicholas sieht mich neugierig von der Seite an.

      „Nein,