Dich habe ich mir nicht gewünscht. Tara McKay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara McKay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189543
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wenn ich es dann wider Erwarten doch schaffe, herrscht sie mich ungehalten an.

      Ich schwinge die Beine weit dynamischer aus dem Bett als ich mich fühle, schlüpfe in meinen alten pinken Plüschmorgenmantel den ich zu meinem siebzehnten Geburtstag bekommen habe, und trete in den Flur hinaus, wo ich fast mit meiner Tochter zusammenstoße, die gerade aus dem Badezimmer kommt. Gewaschen, angezogen und dem Summen nach bester Laune, die dunklen Locken noch feucht vom Duschen.

      „Oh!“ Mehr fällt mir beim besten Willen nicht ein.

      „Was?“ Ihre gute Laune ist wie weggeblasen, als sie mich sieht.

      „Nichts“, sage ich wohlweislich, dann kann ich es mir doch nicht verbeißen, noch hinzuzusetzen: „Zuhause würdest du niemals um diese Uhrzeit aufstehen.“

      „Tja, leider sind wir ja nicht zu Hause.“

      „Naja, wenn du hier morgens schon bester Laune bist und vor sieben Uhr sogar duschen gehst, dann gefällt es mir hier besser.“

      „Mir nicht.“

      Emma verschränkt die Arme und sieht mich herausfordernd an. Und ich würde mich am liebsten ohrfeigen. Manchmal nervt es sogar mich selbst, dass ich mich so biestig an einem Thema festbeißen kann.

      „Was verschafft uns dann die Ehre deiner morgendlichen Anwesenheit?“

      „Ich bin nur so früh aufgestanden, weil Grandpa mit mir und Nathan zum Strand fahren will.“

      „Mit Nathan und mir“, verbessere ich automatisch.

      Belohnt werde ich mit einem Augenrollen. Ich kann es ja irgendwie verstehen, mich hat das bei meinem Dad früher auch aufgeregt, wenn er mich verbessert hat. Jetzt mache ich es genauso. Ich habe wohl mehr von ihm, als mir lieb ist.

      Emma flüchtet vor mir die Treppe hinunter und ich ziehe mich ins Badezimmer zurück, wo ich erstmal in den Spiegel blicke und die müde aussehende Frau anstarre, die ich kaum wiedererkenne.

       Bin das wirklich ich?

      Ich sah wirklich schon mal besser aus. Meine Haut ist blass, die Augen liegen tief in ihren Höhlen und mein Gesicht sieht ausgezehrt aus. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr richtig gegessen (der Scone gestern war die Ausnahme und ich schreibe meinen Appetit der Meerluft zu). Meine Mahlzeiten bestanden in letzter Zeit aus Kaffee, Wasser und kleinen Bröckchen, die ich vom Teller meiner Kinder naschte, nur um zu merken, dass ich keinen Hunger hatte.

      Wenn Nathan und Emma im Bett waren, habe ich mich mit einer Flasche Wein aus unserem gut bestückten Weinregal ins Schlafzimmer zurückgezogen, um nicht mit Matteo im Wohnzimmer sein zu müssen - und um zu vergessen, was er getan hat.

      Seit Wochen fühlt sich mein Leben unwirklich an - das Karussell dreht sich viel zu schnell für mich, hat mich abgeworfen und ich weiß nicht, ob ich den Mut habe, nochmal aufzusteigen.

      Mit kräftigen Strichen ziehe ich die Bürste durch die nackenlangen, blondgefärbten Haare, bei denen der dunkle Ansatz schon viel zu deutlich zu sehen ist. Ein Friseurbesuch ist dringend nötig.

       Können wir uns das überhaupt noch leisten?

      Ich schüttle den Kopf, weil ich nicht darüber nachdenken möchte und mache mich daran, mein Make-up sorgfältig aufzutragen, damit niemand sehen kann, wie schrecklich ich wirklich aussehe – ich könnte Frankensteins Braut geben, wenn schon Halloween wäre. Wegen den Haaren wird mir schon etwas einfallen. Vielleicht gehe ich heute in die Stadt, wenn Dad mit den Kindern an den Strand fährt, und sehe nach was Färben im lokalen Friseursalon kostet.

      Unten sitzt die Familie bereits einträchtig am Esstisch. Nathan löffelt ganz selbstverständlich eine Schüssel Porridge, obwohl er das in seinem Leben noch nie gegessen hat. Zu meinem Erstaunen isst Emma ebenfalls den von ihrem Großvater zubereiteten Haferbrei, sie hat sich zusätzlich ein paar Blaubeeren in die Schüssel geworfen und fragt Dad gerade darüber aus, ob Porridge gut für ihre Figur ist. Armer Dad. Ich glaube nicht, dass er darauf eine Antwort hat. Dementsprechend eiert er auch um die Frage herum.

      „Ihr fahrt zum Strand?“, frage ich zur Ablenkung vom Thema und setze mich zu Tisch, wo bereits eine Schüssel für mich wartet.

      Es ist nicht so, dass ich Porridge nicht mag, aber momentan fühlt sich mein Magen so an, als würde ein Matrose Knoten üben. Ständig ist mir übel und ich habe auch jetzt keinen Appetit, weswegen ich auch nur so tue, als würde ich essen. Dad bemerkt, dass ich nur den Löffel ab und zu eintauche, runzelt die Stirn, sagt aber nichts dazu – wofür ich außerordentlich dankbar bin.

      Ob ich esse oder nicht, ich habe die schlanke Linie der McDonalds geerbt, denn obwohl mein Vater groß und massiv wirkt, ist kein Gramm Fett an ihm und ebenso ist es bei mir. Was jetzt den Nachteil hat, dass meine unfreiwillige Hungerkur mich schneller wie ein rappeldünnes Skelett aussehen lässt.

      „Sicher kann man nicht ins Wasser gehen, aber vielleicht bauen wir ja eine Sandburg“, meint Dad.

      Emma lächelt Nathan an, der sich laut jubelnd freut und seinen Großvater mit Fragen nach Schaufeln und Sandförmchen bestürmt.

      „Bei Nonno und Nonna in Rimini haben wir ganz viel davon“, erzählt er.

      „Grandma hatte immer einen Eimer mit einer kleinen Schaufel in der Garage“, erinnert sich Emma.

      Ihr Gedächtnis ist phänomenal, schließlich muss es einige Jährchen her sein, dass sie damit gespielt hat. Aber schlau ist sie, deswegen mache ich mir auch keinerlei Sorgen, dass sie hier in Schottland auf der Schule nicht mithalten kann.

      „Ich werde in die Stadt gehen und sehen, was sich in Sheemore alles verändert hat“, werfe ich ein.

      „Das kann ich dir schnell beantworten“, lacht Dad. „Nichts. In Sheemore hat sich seit Jahrzehnten nichts verändert. Etwas außerhalb, Richtung St. Monans, haben sie jedoch einen Supermarkt gebaut.“

      Er verzieht angewidert das Gesicht. Mein Vater ist kein besonders moderner Mann und obwohl ein Supermarkt hier schon immer dringend nötig war, sieht er das wahrscheinlich ganz anders.

      „Hat Eve Smithers immer noch den winzigen Friseurladen am Marktplatz?“

      „Aye. Hat sie. Willst du dir die Haare machen lassen?“

      Ich sehe, wie Dad mich mustert. Ihm fällt nicht so schnell auf, wenn eine Frau dringend zum Friseur muss, aber jetzt, wo ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, sieht er doch ziemlich kritisch drein und selbst er muss den gut zwei Zentimeter großen, dunklen Ansatz sehen.

      „Kann sein. Ich überlege noch“, murmele ich und rücke dann meinen Stuhl zurück, um mich in mein Zimmer im Dachgeschoss zurückzuziehen.

      Als ich schon am Fuße der Treppe bin, kommt Dad mir hinterher. Ohne Worte nimmt er meine Hand und legt einen Geldschein hinein. Vor Verlegenheit schaue ich nicht mal hin und schließe die Finger darum.

      „Danke, Dad.“

      Ich hauche ihm schnell einen Kuss auf die kratzige Wange und verschwinde dann hastig die Treppe hinauf. Als ich meine Hand öffne, sieht mir Lord Archibald Campbell entgegen, der Gründer der Bank of Scotland. Mir treten Tränen in die Augen, als ich die Zahl auf dem Geldschein lese. Ein Haarschnitt plus Färben kostet bei Eve Smithers keine hundert Pfund, das weiß sogar mein etwas weltfremder Vater und dennoch scheint er zu ahnen, dass ich das Geld momentan gut brauchen kann.

      Es ist ein sonniger Tag, der die schönste Seite von Sheemore zum Vorschein bringt. Nur wenige Menschen tummeln sich hier und da, während ich durch die Stadt schlendere. Die kleinen Fischerhäuser, die sich an der Uferpromenade reihen, habe ich bereits hinter mir gelassen und sehe mich nun mit dem Staunen eines Menschen, der erkennt, dass er den einen Ort auf Erden gefunden hat, wo die Zeit für immer still steht, auf dem Marktplatz um. Alles wie immer.

      Das winzige, schmale Häuschen von Eve Smithers und ihrer Schwester Carol schmiegt sich eng an das der Grahams. Ich starre die Bäckerei eine ganze Weile an, traue mich aber nicht, den Laden zu betreten. Was sollte ich auch sagen? „Hallo