Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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Ha­fen an­ka­men, wur­de dem Ka­pi­tän so­fort das Ein­tref­fen des Fürs­ten ge­mel­det und er emp­fing den Dai­myo, noch be­vor die­ser das Schiff be­trat. Die sich an­schlie­ßen­de Un­ter­hal­tung konn­te ich, da sie ja­pa­nisch ge­führt wur­de, nicht ver­ste­hen, und weil Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga nicht dol­metsch­te, hat­te ich Muße, mir das Schiff ge­nau­er zu be­trach­ten.

      Ich hat­te noch nie ein Se­gel­schiff aus der Nähe ge­se­hen, und die, die ich von Bil­dern her kann­te, wa­ren mit die­sem hier nicht ver­gleich­bar. An­schei­nend misch­ten sich in die­ser Schiffs­kon­struk­ti­on meh­re­re Bau­wei­sen. Der Rumpf hat­te ein sehr ho­hes Heck und einen we­sent­lich nied­ri­ge­ren Bug. Das Heck mit den Auf­bau­ten er­in­ner­te mich an spa­ni­sche und por­tu­gie­si­sche Se­gel­schif­fe, die ich auf Bil­dern ge­se­hen hat­te. Den Bug aber konn­te ich gar nicht zu­ord­nen, denn un­ter­halb des ei­gent­li­chen Decks war noch ein­mal so eine Art Vor­bau oder Ga­le­rie, die um den Bug he­r­um­führ­te. Dort wur­de der An­ker ab­ge­legt, wenn das Schiff auf See war, und ei­ni­ge Taue, die zur Spit­ze des Bugs­priets und dem dort be­fes­tig­ten Se­gel führ­ten, deu­te­ten dar­auf hin, dass die­ses von hier aus be­dient wur­de. Des Wei­te­ren hat­te das Schiff drei Mas­ten. Einen im vor­de­ren Teil des Schif­fes, fast am Bug, die­ser war an­nä­hernd so hoch wie der Haupt­mast, der sich un­ge­fähr in der Mit­te des Schif­fes be­fand. Der drit­te Mast hat­te höchs­tens die hal­be Höhe des Haupt­mas­tes und be­fand sich im Heck­be­reich des Schif­fes.

      Die Be­se­ge­lung schi­en wie­der eine Mi­schung aus ver­schie­de­nen Schiffs­bau­wei­sen zu sein. Ob­wohl sie gerefft wa­ren, konn­te man er­ken­nen, dass die Se­gel am Bugs­priet und am Heck­mast nor­ma­le Lei­nen­se­gel wa­ren, wäh­rend die an den großen Mas­ten mit Bam­bus­lat­ten durch­zo­gen wa­ren. Das Steu­er­ru­der schi­en wie der ge­sam­te Heckauf­bau ei­nem por­tu­gie­si­schen Schiff ent­lehnt zu sein, und drei Lu­ken, die sich auf je­der Sei­te des Auf­baus be­fan­den, deu­te­ten auf eine Be­waff­nung mit sechs Ka­no­nen hin.

      Ich war ge­ra­de da­bei, die De­tails in mich auf­zu­neh­men, als ich durch den Auf­marsch ei­ner Grup­pe chi­ne­si­scher Sol­da­ten aus mei­nen Be­trach­tun­gen ge­ris­sen wur­de. Eine Ein­heit von zwan­zig Sol­da­ten, ge­führt von ei­nem Of­fi­zier, mar­schier­te im Gleich­schritt auf uns zu.

      Der Fürst und der Ka­pi­tän un­ter­bra­chen ihr Ge­spräch und blick­ten der Trup­pe ent­ge­gen. Als sie uns er­reicht hat­ten, fuhr der Of­fi­zier die Ja­pa­ner barsch an.

      ›Sie ha­ben kein Recht, sich hier an Land auf­zu­hal­ten! Be­ge­ben Sie sich so­fort wie­der auf Ihr Schiff, sonst sehe ich mich ge­zwun­gen, Sie in Ge­wahr­sam zu neh­men!‹

      Die Ja­pa­ner schie­nen nach dem Ge­spräch, das der Fürst mit dem Ka­pi­tän ge­führt hat­te, in we­nig gu­ter Stim­mung zu sein und hat­ten die Hän­de schon am Schwert­heft, doch Wang Lee be­hielt die Ruhe, trat vor den Of­fi­zier und frag­te:

      ›Darf ich er­fah­ren, warum Sie die­se Gäs­te Chinas so un­höf­lich be­han­deln?‹

      ›Gäs­te Chinas? Es müss­te doch je­dem be­kannt sein, das nach ei­nem Kai­ser­li­chen Er­lass kei­ne ja­pa­ni­schen See­leu­te das chi­ne­si­sche Fest­land be­tre­ten dür­fen, und die­ses Schiff hier durf­te den Ha­fen nur mit ei­ner Son­der­ge­neh­mi­gung an­lau­fen! Doch bein­hal­tet sie nicht die Ge­neh­mi­gung des Land­gangs! Also, ge­hen Sie uns aus dem Weg, und las­sen Sie uns un­se­re Pflicht tun!‹

      Wang Lee wich nicht von der Stel­le, lä­chel­te freund­lich und er­wi­der­te:

      ›Es tut mir leid, doch ich muss Ih­nen wi­der­spre­chen. Die­se Leu­te hier sind Teil ei­ner ja­pa­ni­schen Ge­sandt­schaft, die am Kai­ser­hof weil­te. Der Fürst, Date Ma­sa­mu­ne, hat­te die Ge­neh­mi­gung des Kai­sers, dass Shao­lin-Klos­ter zu be­su­chen, und wir Mön­che ha­ben die Ge­sandt­schaft zu ih­rem Schiff ge­lei­tet. Es ist also kei­nes­falls un­be­rech­tigt, dass sich die­se Ja­pa­ner an Land auf­hal­ten.‹

      Der Of­fi­zier war sicht­lich ver­un­si­chert und be­trach­te­te die Kampf­mön­che, die zwi­schen ihm und den Ja­pa­nern stan­den. Doch so ganz ohne Wi­der­re­de woll­te er sich nicht ge­schla­gen ge­ben.

      ›Das müs­sen Sie mir erst ein­mal be­wei­sen! Von ei­ner sol­chen Ge­neh­mi­gung habe ich kei­ne Kennt­nis, und ich er­fül­le hier auch nur mei­ne Pflicht!‹

      ›Der Fürst hat ein Do­ku­ment vom Kai­ser­hof, das die­se Rei­se ge­neh­migt. Er wird es Ih­nen auf Wunsch be­stimmt zei­gen. Au­ßer­dem müss­te Ih­nen die Son­der­ge­neh­mi­gung des Schif­fes dies auch be­stä­ti­gen, denn es ist hier, um die Ge­sandt­schaft an Bord zu neh­men.‹

      In die­sem Au­gen­blick misch­te sich Date Ma­sa­mu­ne ein. Der dol­met­schen­de Sa­mu­rai, hat­te das bis­he­ri­ge Ge­spräch über­setzt und kam mit der Rei­se­ge­neh­mi­gung, die ihm der Fürst ge­ge­ben hat­te, nach vorn. Er hielt sie dem Of­fi­zier hin und sag­te:

      ›Der Fürst Date Ma­sa­mu­ne ver­steht die Un­ru­he nicht und möch­te das Miss­ver­ständ­nis mit der Vor­la­ge die­ses Do­ku­men­tes be­en­den.‹

      Nach­dem der Of­fi­zier einen kur­zen Blick auf das Kai­ser­li­che Sie­gel ge­wor­fen hat­te, setz­te er eine an­de­re Mie­ne auf und ant­wor­te­te, ohne den In­halt der Ge­neh­mi­gung über­haupt zu le­sen:

      ›Ent­schul­di­gen Sie! Ich tue nur mei­ne Pflicht, und mir war die­se Ge­neh­mi­gung nicht be­kannt. Dürf­te ich noch er­fah­ren, wie lan­ge Sie sich in Lia­nyun­gang auf­hal­ten wer­den?‹

      Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga dreh­te sich zum Dai­myo um und lei­te­te die Fra­ge wei­ter. Der mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung und gab eine ge­reiz­te Ant­wort, doch ich hat­te das Ge­fühl, dass der Sa­mu­rai sie nicht wort­wört­lich über­setz­te.

      ›So­bald das Schiff zum Aus­lau­fen be­reit ist, wer­den wir den Ha­fen ver­las­sen. Da sich der Tag aber be­reits dem Ende zu­neigt, wird es ver­mut­lich erst mor­gen früh ge­sche­hen.‹

      Der Of­fi­zier be­dank­te sich für die Aus­kunft und mach­te mit sei­ner Trup­pe kehrt.

      Der Zwi­schen­fall zeig­te, wie ge­spannt das Ver­hält­nis zwi­schen Ja­pan und Chi­na im­mer noch war. Kei­ne der bei­den Sei­ten trau­te der an­de­ren über den Weg, und der kleins­te Zwi­schen­fall konn­te zu ei­ner blu­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung füh­ren.

      Date Ma­sa­mu­ne war im­mer noch sehr ver­stimmt, vor al­lem weil ihm der Ka­pi­tän be­rich­tet hat­te, dass sie das Schiff nicht ver­las­sen durf­ten. Der Han­del war des­halb nur über Mit­tels­män­ner und mit zu­sätz­li­chen fi­nan­zi­el­len Auf­wen­dun­gen mög­lich ge­we­sen.

      Miss­mu­tig dreh­te er sich um und woll­te aufs Schiff ge­hen. Da­bei fiel sein Blick auf mich, und er ließ mich durch Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga fra­gen, ob ich mich ent­schie­den hät­te.

      ›Ja!‹, sag­te ich. ›Ich habe lan­ge über­legt, al­les ab­ge­wo­gen und bin zu dem Schluss ge­kom­men, Ihr An­ge­bot an­zu­neh­men.‹

      Das Ge­sicht des Fürs­ten hell­te sich auf, doch Wang Lee und Chen Shi Mal be­gehr­ten auf:

      ›Xu Shen Po, das kannst du nicht ma­chen. Du ge­hörst hier­her, und es ist schon schlimm ge­nug, dass du nach Wu­dang ge­hen willst. Dort ha­ben