Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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ver­su­chen, was ich kann, doch ich ma­che mir we­nig Hoff­nung, dass die­ser Mann den mor­gi­gen Tag über­lebt. Selbst wenn ich so­fort zu Stel­le ge­we­sen wäre, hät­te er ver­mut­lich nicht über­lebt, denn es sind in­ne­re Or­ga­ne ver­letzt.‹

      Ich sah hi­n­un­ter auf die frei­ge­leg­te Wun­de und er­schrak über de­ren Aus­se­hen. Die Wun­drän­der wa­ren zwar ver­klebt, doch es war al­les ge­rö­tet, und die gan­ze Haut des Ver­letz­ten hat­te eine un­ge­sun­de gel­be Far­be. Es sah aus, als wür­de je­den Au­gen­blick Ei­ter aus der Wun­de her­vor­bre­chen. Auch der all­ge­mei­ne Zu­stand des Man­nes schi­en sich von Mi­nu­te zu Mi­nu­te zu ver­schlech­tern. Ich mach­te mir im­mer mehr Vor­wür­fe, dass wir nicht zu­erst die­sem Mann ge­hol­fen hat­ten. Viel­leicht hät­te un­se­re Kraft aus­ge­reicht, um ihn zu ret­ten.

      Der Mönch hat­te mich die gan­ze Zeit be­ob­ach­te­te, be­merk­te mei­nen See­len­kampf, konn­te sich aber nicht er­klä­ren, warum ich so be­drückt war.

      ›Wie­so be­drückt dich der Zu­stand die­ses Man­nes so sehr? Als wel­chem Grund bist du so nie­der­ge­schla­gen?‹

      Aus mei­nen Ge­dan­ken hoch­ge­schreckt, sah ich ihn an.

      ›Ich ma­che mir Vor­wür­fe, dass ich viel­leicht einen Feh­ler be­gan­gen habe.‹

      Er schüt­tel­te den Kopf und stand auf.

      ›Die Wun­de hät­tet ihr mit dem Wis­sen und den Mit­teln, die ihr habt, nicht bes­ser ver­sor­gen kön­nen. Selbst ich kann nichts an den in­ne­ren Ver­let­zun­gen ma­chen. Wenn der Kör­per sie nicht selbst hei­len kann, sind auch mir die Hän­de ge­bun­den.‹

      ›Ja, und ge­ra­de des­halb hät­ten wir erst die­sem hier hel­fen müs­sen, um ihm ge­nü­gend Kraft zur Selbst­hei­lung zu ge­ben!‹, sag­te ich trau­rig.

      Rat­los sah er mich an und er­kun­dig­te sich dann nach dem, was wir ge­tan hat­ten, und warum ich so dach­te. Ich führ­te ihn zu dem Mann mit der Hals­ver­let­zung und schil­der­te ihm un­ser Vor­ge­hen. Mit je­dem Wort, das ich sag­te, wur­den sei­ne Au­gen grö­ßer. Er mus­ter­te mich und Wang Lee mit ei­ner Mi­schung aus Er­stau­nen und Hoch­ach­tung.

      ›Ich wuss­te nicht, dass Han Li­ang Tian sein Wis­sen um die­se Kräf­te wei­ter­ge­ge­ben hat und dass es ihm ge­lun­gen ist, je­mand zu fin­den, der die­se Kräf­te auch nut­zen kann. Ich selbst hat­te es ver­sucht, doch mir fehlt die in­ne­re Kraft, um das zu be­wir­ken, was ihr be­herrscht.‹

      Er schau­te sich den Mann mit der Hals­ver­let­zung nä­her an und ließ sich den Ver­lauf noch ein­mal ge­nau schil­dern.

      ›Ich den­ke, ohne die Hil­fe, die ihr ihm ge­ge­ben habt, hät­te er nicht über­lebt. Das Blut, das er he­r­aus­würg­te, wäre nach und nach in die Lun­gen ge­ra­ten und hät­te ihm ein qual­vol­les Ende be­rei­tet. Ihr habt mit eu­rer Kraft et­was be­wirkt, was kein Hei­ler mit nor­ma­len Mit­teln er­rei­chen kann. Und ich bin si­cher, wenn ihr das erst bei dem an­de­ren ge­tan hät­tet, dann wäre Hil­fe bei die­sem hier nicht mehr mög­lich ge­we­sen.‹

      Er schau­te noch ein­mal von ei­nem zum an­de­ren und schüt­tel­te wie­der mit dem Kopf.

      ›Nein, so grau­sam es klingt, ihr habt un­be­wusst die rich­ti­ge Ent­schei­dung ge­trof­fen, denn so hat we­nigs­tens ei­ner die Mög­lich­keit zu über­le­ben!‹

      Ich spür­te, dass es ihm ernst war mit dem, was er sag­te, doch es be­ru­hig­te mich nur we­nig. Noch lan­ge mach­te ich mir Vor­wür­fe, dass ich zu die­sem Zeit­punkt eine falsche Ent­schei­dung ge­trof­fen hat­te.

      Der Hei­ler ging wie­der zu dem mit der Bauch­ver­let­zung. Zu­sam­men mit ei­nem an­de­ren Mönch, der sich in der Zwi­schen­zeit schon um den Mann ge­küm­mert hat­te, rei­nig­ten und ver­ban­den sie die Wun­de noch ein­mal. Dann flöß­ten sie dem Mann einen stär­ken­den Trunk ein, doch fast un­mit­tel­bar da­nach wand er sich in Krämp­fen, bis er zit­ternd und schwach at­mend in eine tie­fe Ohn­macht fiel.

      Da ich die Ver­letz­ten in gu­ten Hän­den wuss­te, ging ich zu Liu Shi Meng. Ihn hat­te ich seit sei­ner An­kunft noch nicht ge­spro­chen, und ich woll­te ger­ne wis­sen, wie sei­ne Su­che ver­lau­fen war.

      Er stand bei Chen Shi Mal, und sie un­ter­hiel­ten sich ge­ra­de über die letz­ten Er­eig­nis­se.

      ›Warst du er­folg­reich Liu Shi Meng?‹, frag­te ich, als ich bei ih­nen an­kam.

      ›Ja, ich hat­te doch noch sehr gut in Er­in­ne­rung, wie Han Li­ang Tian mir da­mals den Weg in das Dorf be­schrie­ben hat­te. Als ich den Dorf­be­woh­nern von den letz­ten Er­eig­nis­sen be­rich­te­te und sie frag­te, ob sie uns hel­fen wür­den, ver­spra­chen sie es so­fort. Sie be­rei­ten al­les für un­se­re An­kunft vor, und Män­ner des Dor­fes wer­den mor­gen früh hier sein, um uns beim Trans­port zu hel­fen.‹

      ›Das ist wirk­lich eine gute Nach­richt! Nun müs­sen wir nur noch se­hen, dass wir auch be­reit sind, mor­gen früh auf­zu­bre­chen.‹

      ›Wie­so soll­ten wir nicht?‹, warf Chen Shi Mal ein.

      ›Nun, wir müs­sen uns ja noch um die To­ten küm­mern! Oder willst du sie ein­fach so lie­gen las­sen?‹

      Chen Shi Mal sah sich er­staunt um, denn er hat­te die Lei­chen nir­gend­wo ge­se­hen. Das konn­te er auch nicht, denn die Ja­pa­ner hat­ten alle To­ten am Vor­tag in die Sei­ten­schlucht ge­tra­gen, aus der der klei­ne Fluss kam.

      Wir mach­ten uns auf den Weg, um uns vor Ort einen Über­blick zu ver­schaf­fen, und kurz vor dem Ziel er­hiel­ten wir Ge­sell­schaft. Wang Lee, Date Ma­sa­mu­ne und der Dol­met­scher schlos­sen sich uns an.

      Der Blick in die Sei­ten­schlucht öff­ne­te sich, und wir sa­hen die to­ten Ja­pa­ner, die, so gut das mit den vor­han­de­nen Mit­teln ging, eh­ren­voll auf­ge­bart wa­ren. Da­vor stand ei­ner der nur leicht ver­letz­ten Sol­da­ten und hielt Wa­che. In ei­ni­ger Ent­fer­nung an der Fels­wand wa­ren die to­ten Chi­ne­sen lieb­los auf einen Hau­fen ge­wor­fen. Es war ein trau­ri­ger An­blick, und ich stock­te kurz, um das zu ver­ar­bei­ten.

      Der Fürst sah mich fra­gend an, und der Sa­mu­rai sprach aus, was die­ser dach­te:

      ›Fin­den Sie die Be­hand­lung der to­ten An­grei­fer un­ge­recht­fer­tigt?‹

      Ihm in die Au­gen bli­ckend, ant­wor­te­te ich:

      ›So wür­de ich das nicht aus­drücken. Ich fin­de den sinn­lo­sen Tod so vie­ler Men­schen be­drückend und be­dau­re, dass Ih­nen und Ih­ren Män­nern so viel Leid zu­ge­fügt wur­de.‹

      Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga nick­te und über­setz­te dem Fürs­ten mei­ne Ant­wort, um mir gleich dar­auf des­sen Wor­te zu über­mit­teln.

      ›Date Ma­sa­mu­ne be­dankt sich für Ihre freund­li­chen Wor­te und möch­te wis­sen, wie es wei­ter­geht.‹

      Ich er­klär­te ihm, dass wir am nächs­ten Mor­gen in das Dorf auf­bre­chen woll­ten, uns aber vor­her noch um die To­ten küm­mern müss­ten. Der Fürst stimm­te zu und frag­te, ob es uns mög­lich wäre, sei­ne Lands­män­ner mit bud­dhis­ti­schen Bräu­chen zu be­stat­ten.

      Ich be­riet mich kurz mit mei­nen Freun­den, und wir ka­men über­ein, dass Chen Shi Mal mit zwei wei­te­ren Mön­chen die Su­tren, also die Re­den des Bud­dha, vor­le­sen wür­de. Au­ßer­dem