Das Hortensien-Grab. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190648
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er auch arbeitete. Neben seiner Werkstatt im Keller des bescheidenen Eigenheimes schrieb er an einem Roman, der autobiographische Züge hatte. Ob das jemals auf den Markt kam? Er war skeptisch, denn die Öffentlichkeit war sehr gefährlich für ihn und sein Geheimnis. Auch deshalb ging er nie ohne Schal, Mütze und Sonnenbrille vor die Tür – bei jedem Wetter. Die Maskenpflicht kam ihm sehr entgegen, denn damit konnte er sich in der Öffentlichkeit gut verstecken. Er war noch nie kontaktfreudig gewesen und mochte kein Geschwafel mit langweiligen Menschen, weshalb er keine Probleme mit der Pandemie und deren Verbote und Einschränkungen hatte. Auf die Lockerungen, die seit Wochen galten, hätte er gerne verzichtet. In der Nachbarschaft musterte man ihn argwöhnisch, denn niemand wusste, was er eigentlich tat. Dass Braun sein Geld pünktlich jeden Monat überwiesen bekam und er dafür nicht viel tun musste, durfte niemand wissen. Es gab einige Telefonate, deren Inhalt er direkt nach München weitergab. Von dort bekam er Anweisungen und gab auch diese weiter. Jetzt stand er hier in der Rosenstraße und war neugierig. Noch hatte er nicht verstanden, worum es eigentlich ging. Er hätte fragen können, aber dann müsste er mit jemandem sprechen und das wollte er nicht. Die Anweisung war – keinen Kontakt zu Fremden, und daran hielt er sich. Also stand er einfach nur da und beobachtete. Gerüchte gingen durch die Reihen, die er nicht ernst nahm. Er kannte Menschen und konnte beobachten, wie die erwarteten Mechanismen um sich griffen. Mutmaßungen reihten sich an dumme Geschichten, bis sogar Namen genannt wurden. Eine alte Frau meinte sogar, den Täter des vermeintlichen Mordopfers zu kennen. Sie lebte schon immer in Tüßling und kannte die Vorbesitzer des Grundstückes, das erst in den Nachkriegsjahren zum Baugebiet wurde. Alle hingen an den Lippen der Alten, die das sichtlich genoss.

      „Das war der Gröbner-Bauer, ein richtiger Lump. Der hatte es faustdick hinter den Ohren, das könnt ihr mir glauben“, erzählte die Frau, die alle nur Annemirl nannten. „Der Gröbner wusste, wie er zu Geld kommt. Der hat sogar noch aus Scheiße Gold gemacht!“ Gelächter machte sich breit. Da sich von Seiten der Polizei nichts rührte, waren die Anekdoten der Annemirl eine willkommene Abwechslung. Sie schmückte ihre Geschichten aus und kam dann zum Schluss. „Mit dem Gröbner hat es kein gutes Ende genommen. Frau und Kinder hatte er vertrieben, selbst seine Brüder sprachen kein Wort mehr mit ihm. Er hatte einen Schlaganfall und ist hilflos und einsam auf dem Küchenboden verreckt. Als man ihn fand, war seine Leiche schon verwest.“ Dass das nur Gerüchte waren, behielt die Annemirl natürlich für sich, schließlich konnte das heute niemand mehr überprüfen. Die Familie war längst ausgestorben und niemand scherte sich um ihre Geschichten.

      „Und dieser Gröbner soll ein Mörder gewesen sein?“ Sabine Thomas hatte zugehört und verstand den Zusammenhang nicht.

      „Sicher! Dem Mann war alles zuzutrauen!“

      Sabine lächelte, sie glaubte der Alten kein Wort. Sie kannte die Annemirl und machte lieber einen Bogen um die gehässige Frau, die an niemandem ein gutes Haar ließ. Ja, sie war alt und hatte außer dem Pflegedienst niemanden, der sich um sie kümmerte – aber das rechtfertigte noch lange nicht ihre Boshaftigkeit. Auch Sabine war schon Thema bei der Frau, die sich sehr hässlich darüber ausließ, dass sie keinen Mann und keine eigenen Kinder hatte. Die Betitelung alte Jungfer zog seine Kreise - einige zeigten mit dem Finger und tratschten hinter vorgehaltener Hand über sie und Dagmar. Sabine machte das nichts aus, denn ihr Privatleben ging niemanden etwas an. Sie liebte ihr Leben und war mit sich im Reinen. Allerdings konnte Dagmar richtig sauer werden, wenn sie die alte Bissgurn1 Annemirl sah. Zu allem Überfluss erzählte sie nämlich überall herum, dass Sabine sich das Haus unter den Nagel gerissen hätte und der Bruder mit einem Butterbrot abgespeist wurde. Keiner wusste, wie das mit dem Haus wirklich ablief, denn Sabine hatte mit niemandem darüber gesprochen. Das ärgerte Dagmar, ließ Sabine aber völlig kalt. Sollte die Alte doch ihr Gift versprühen, das berührte sie nicht weiter. Die Frau war verbittert und konnte sich und ihr Leben nur ertragen, wenn sie über andere sprach und sie schlecht machte. Sabine hatte Mitleid mit der Annemirl, während Dagmar ihr liebend gerne den Hals umdrehen würde.

      Leo und Hans kämpften sich durch die Massen der Schaulustigen, die sogar aus Teising und Altötting angereist waren – der Informationsfluss funktionierte. Als Leo die Personalien derjenigen aufnahm, musste er den Kopf schütteln. Hans lächelte nur. Er kannte die Neugier der Menschen, die durch die Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen noch viel größer geworden war.

      „Ätzend“, sagte Leo zu Hans.

      „Ich kann die Leute verstehen. Denen ist langweilig. Wer weiß, wie es uns ergehen würde, wenn wir tagtäglich zuhause eingesperrt wären.“

      „Trotzdem muss dieser Sensationstourismus nicht sein. Außerdem ist die Pandemie fast vorbei, das ist keine Entschuldigung für diesen Wahnsinn.“

      Dann stand Leo vor Sabine Thomas und musterte sie.

      „Wir kennen uns doch!“

      „Ja. Der Fall mit den Amanns.“

      „Richtig. Was machen Sie in Tüßling?“

      „Ich wohne hier.“

      „Was ist mit dem Mädchen? Wie ist noch der Name?“

      „Dagmar Steinke.“

      „Stimmt! Mir war der Name entfallen. Wie geht es Dagmar?“

      „Sehr gut. Sie wohnt bei mir.“

      Leo lächelte. Er hatte Frau Thomas richtig eingeschätzt. Wer weiß, was aus dem armen Mädchen geworden wäre, wenn sie sich nicht um sie gekümmert hätte.

      Alle waren sprachlos. Die Thomas kannte den Polizisten, der hier offenbar etwas zu Sagen hatte. Wie war das möglich?

      „Die ist ein Polizeispitzl“, sprach Annemirl das aus, was viele dachten. Auch Sabine bekam Wind davon und musste schmunzeln. Dass sie jetzt wieder Dorfgespräch sein würde, lag auf der Hand. Sie hätte alles richtigstellen können, wobei sie aber über Dagmar sprechen müsste, und das wollte sie nicht. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Sie entschied, allen ihren Spaß zu lassen.

      Leo stand jetzt vor Annemirl. Dass sie geschwätzig war und eine der Haupt- Rädelsführer, hatte er schon mitbekommen. Er notierte Name und Adresse.

      „Sie wohnen nicht in dieser Straße?“

      „Nein. Ich bin zufällig vorbeigekommen.“

      „Aha.“ Mehr sagte Leo nicht.

      „Woher kennen Sie die Frau Thomas? Arbeitet sie für die Polizei?“

      „Das ist streng geheim!“, flüsterte er ihr zu. „Frau Thomas ist eine unserer Undercover-Agentinnen, sie ist sogar eine 00-Agentin.“

      „Eine was?“

      „Sie müssen vorsichtig sein, sie hat die Lizenz zum Töten.“

      Leo zwinkerte der Frau zu und grinste.

      „Verarschen kann ich mich selber!“, schimpfte Annemirl und alle lachten. Eigentlich wäre sie wegen dieser Unverschämtheit am liebsten nach Hause gegangen, aber dann würde sie vielleicht etwas verpassen. Also verschränkte sie nur die Arme, blickte beleidigt zur Seite und blieb an ihrem Platz, von dem aus sie einen hervorragenden Blick hatte.

      Jetzt hatte auch Hans Hiebler Sabine Thomas erkannt. Mit einem freudigen Lächeln ging er auf sie zu. Sie tauschten Erinnerungen aus und lachten. Auch Hans war zufrieden, dass die schüchterne Dagmar ein gutes Zuhause gefunden hatte.

      „Sie sind eine tolle Frau! Solche Menschen wie Sie gibt es viel zu selten“, sagte er laut. Niemand hier würde Sabine Thomas als Polizeispitzel bezeichnen. „Was wissen Sie von den Vorbesitzern dieses Hauses?“

      „Nicht viel. Ein ruhiges Ehepaar ohne Kinder. Der Mann starb vor etwa fünfzehn Jahren, die Frau vor acht Jahren. Seitdem stand es leer.“

      „Ich vermute wegen den Erben?“

      „Es gab zwei entfernte Neffen, die sich nicht einig wurden. Ob das stimmt, weiß ich nicht sicher.“

      „Das finden wir heraus. Vielen Dank!“

      Endlich