Das Hortensien-Grab. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190648
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      Dagmar dachte nicht daran, ihren Beobachtungsposten aufzugeben.

      „Hey super, ein Trampolin! Das bringt den Hiermaier auf die Palme! Mal sehen, wie lange es dauert, bis er die Kinder zurechtweist.“ Dagmar holte sich einen Stuhl, denn jetzt wurde es erst so richtig interessant! „Ich glaube, es sind drei Kinder. Jetzt haben sie einen Ball. Oh, oh, das geht nicht gut aus.“ Unwillkürlich zog sie den Kopf ein. „Es ist passiert, der Ball ist in Hiermaiers Garten gelandet.“

      „Geh doch vom Fenster weg! Du bist echt genauso schlimm wie der Alte!“ Sabine saß am Küchentisch und hatte den Laptop vor sich. Sie musste sich konzentrieren, aber Dagmar blieb unerbittlich. Sie hatte heute frei und somit alle Zeit der Welt. „Warum gehst du nicht in dein Zimmer und lässt mich hier in Ruhe arbeiten?“

      „Das geht nicht, Sabine, von hier habe ich eine viel bessere Sicht.“

      Sabine Thomas verdrehte die Augen. So sehr sie Dagmar auch liebte, so sehr ging sie ihr aber auch manchmal auf die Nerven. War das normal? Sie hatte nie eigene Kinder gehabt und wunderte sich oft über die Reaktionen von Eltern, wenn es Probleme mit den Kindern gab – jetzt konnte sie einiges besser verstehen! Dagmar war ab morgen für fünf Tage am Chiemsee, um dort ein Praktikum zu absolvieren. Ab morgen konnte sie endlich in Ruhe arbeiten. Während sich Sabine Thomas auf den morgigen Tag freute und versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, kommentierte Dagmar das Geschehen auf den Nachbargrundstücken.

      „Der alte Hiermaier rastet aus. Er hat den Ball an sich genommen und die Kinder angeschrien. Das musst du sehen, Sabine! Der kleine Kerl verspottet den Alten!“ Dagmar lachte laut, was Sabine zum Schmunzeln brachte. Es war schön, das einst verängstigte Mädchen so glücklich zu sehen.

      Dagmar hatte sich am nächsten Tag verabschiedet, aber aus der Ruhe wurde nichts, denn die neuen Nachbarn hatten sich fest vorgenommen, das alte Haus zu renovieren. Ein riesiger Bagger fuhr auf das Grundstück, riss kurzerhand den Zaun ein und bahnte sich den Weg durch den Garten. Stundenlang wurde gearbeitet, was einen Höllenlärm in der sonst so ruhigen Rosenstraße verursachte. Sabine versuchte, irgendwo im Haus ein ruhiges Plätzchen zu finden, aber es war überall viel zu laut. Nicht nur der Lärm drang bis in alle Zimmer, sondern auch die Vibrationen, die der Bagger verursachte. Manchmal hatte sie sogar Sorge, dass Risse in ihrem alten Elternhaus entstehen könnten.

      Diese Sorge teilte auch Josef Hiermaier. Mit offenem Mund beobachtete er das Treiben auf dem Nachbargrundstück. Was hatten die Leute vor? Wofür brauchten sie diesen riesigen Bagger? Noch hoffte er, dass diese Arbeiten, die er nicht verhindern konnte, bis zum Nachmittag erledigt wären. Aber das war nicht so, denn nach und nach rückten mehrere Arbeiter mitsamt großer Maschinen an. Dazu wurde Material geliefert, das Hiermaier nicht zuordnen konnte. Irgendwann verstand er: Die Nachbarn bauten einen Pool, der die Hälfte des Gartens einnahm. Als wären die Arbeiten nicht genug, tollten viele Kinder durchs Grundstück, wobei sie vor allem das Trampolin in Beschlag nahmen. Das Geschrei war für Hiermaier fast schlimmer als der Maschinenlärm. Irgendwann hatte er genug. Er ging an den Zaun und schrie: Ruhe, verdammt nochmal!

      Die Kinder hatten den Nachbarn gesehen und gehört, aber sie lachten nur. Hiermaier wurde wütend. Was waren das nur für verzogene Bälger? Er zog die Tür hinter sich zu und ging schnurstracks zu den Nachbarn. Dort hielt er Ausschau nach der Frau, die jetzt offenbar hier wohnte. Ob einer dieser vielen Männer zu ihr gehörte, hatte er noch nicht herausgefunden.

      „Geht das alles nicht etwas leiser? Vor allem die Kinder machen einen Lärm, der kaum auszuhalten ist!“, schnauzte Hiermaier die Frau an, die gerade im Gespräch mit einem Mann war, den Hiermaier nicht beachtete.

      „Grüß Gott, so viel Zeit muss sein. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

      „Hiermaier, ich wohne nebenan. Der Lärm ist…“

      „Nadine Olschewski, das ist mein Mann Tobias.“

      Hiermaier ignorierte die ihm gereichte Hand. Er war hier, um sich zu beschweren, und nicht, um Freundschaften zu schließen.

      „Wenn Sie dafür sorgen würden, dass der Lärm reduziert wird, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie wohnen ja schließlich nicht allein hier. Ich möchte meine Ruhe haben. Da Sie sicher Wert auf eine angenehme Nachbarschaft legen, werden Sie meiner Bitte nachkommen.“

      „Das tut mir leid, aber leiser geht das nicht“, sagte Nadine Olschewski. „Die Maschinen sind so laut, wie sie eben sind. Wir sehen zu, dass wir morgen mit dem Gröbsten fertig sind, dann wird es ruhiger werden. Allerdings muss ich Sie vorwarnen: Ganz werden wir den Lärm in nächster Zeit nicht einstellen können.“

      „Aber die Kinder könnten ruhiger sein!“ Hiermaier schnaubte vor Wut, denn die Frau grinste dämlich und schien sich über ihn zu amüsieren. War sie nicht an einer angenehmen Nachbarschaft interessiert? „Sind das alles Ihre Kinder?“

      „Nein. Mein Sohn hat Freunde eingeladen, was er vor den Nachbarn nicht rechtfertigen muss. Jetzt regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Hiermaier. Ich finde nicht, dass die Kinder übermäßig laut sind. Sie lachen und toben, was völlig normal ist.“

      „Nein, das ist nicht normal, die Kinder stören mich!“

      „Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Ich habe nicht vor, meinen Kindern vorzuschreiben, wie und mit wem sie spielen dürfen.“

      „Kinder? Sie sagten eben, dass nur ein Bub zu Ihnen gehört.“

      „Wir haben noch einen siebzehnjährigen, aber der ist in der Schule.“

      „Einen Halbwüchsigen haben Sie auch noch?“ Hiermaier stöhnte, das konnte ja lustig werden. Laute Musik, Partys und jede Menge Motorenlärm – mit der Ruhe war es dahin. Aber so leicht wollte er sich noch nicht geschlagen geben, er durfte diese vorlaute Frau nicht bei der ersten Auseinandersetzung gewinnen lassen.

      „Sie sind die Mutter und müssen dafür sorgen, dass…“

      „Jetzt hören Sie mir mal zu, Herr Hiermaier. Kinder machen nun mal Lärm und der ist in Deutschland zu vernünftigen Zeiten nicht verboten, auch in Tüßling nicht. Kinder toben und lachen, was in dem Alter völlig normal ist. Sie waren doch auch mal jung.“

      Wieder dieses überhebliche Grinsen, das Hiermaier auf den Tod nicht ausstehen konnte.

      „Jetzt sagen Sie doch auch mal was!“, wandte er sich an den Mann der ätzenden Frau.

      „Ich kann meiner Exfrau nur beipflichten“, sagte er und legte demonstrativ seinen Arm um Nadine.

      „Exfrau? Das hätte ich mir ja denken können. Geschieden mit zwei Kindern!“

      „Unsere Familienverhältnisse gehen Sie überhaupt nichts an“, maulte Tobias.

      „Wenn mein Haus durch diese brachialen Gerätschaften Schaden nimmt, werden Sie mich von einer anderen Seite kennenlernen! Ich muss sagen, dass ich mit Ihnen als direkter Nachbar nicht einverstanden bin.“

      „Dito, Herr Hiermaier, dito!“

      „Ich werde mich über Sie beschweren!“

      „Das dürfen Sie gerne machen, viel Spaß dabei! Sollte an Ihrem Haus ein Schaden entstanden sein, melden Sie sich gerne schriftlich, auf einen weiteren Besuch Ihrerseits kann ich gerne verzichten“, sagte Nadine. „Und jetzt möchte ich Sie bitten, das Grundstück zu verlassen, schließlich hat Sie niemand eingeladen. Wenn ich es recht betrachte, ist das Hausfriedensbruch. Was meinst du, Tobias?“

      „Ja, das sehe ich auch so. Gehen Sie, und zwar schnell. Wenn meine Frau sauer wird, kann ich für nichts garantieren!“ Tobias lachte.

      Hiermaier kochte innerlich. Diese vorlaute, freche Nachbarin war die Pest, aber der Exmann war auch nicht besser. Wenn nicht so viele Menschen hier wären, würde er ganz anders mit den beiden umgehen. Aber sie waren nicht allein.

      Dann gab es einen lauten Schrei, der direkt aus der Grube kam. Einer der Arbeiter war auf das Skelett einer Leiche gestoßen!

      Hilde Hiermaier hatte kein Wort der Auseinandersetzung verstanden,