Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
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sollten uns jetzt auf die Suche nach einer Unterkunft machen, um dann nach den Renegaten Ausschau zu halten", forderte Jikav die Gruppe auf. "Das wird noch schwierig genug, denke ich."

      Die vier waren noch keine zehn Meter weit gekommen, als eine plötzliche Aufregung die Menge um sie herum erstarren ließ. Tandra prallte überrascht auf den Mann vor ihr, der abrupt stehen geblieben war und ein deutliches 'Verdammte Scheiße' ausstieß. Sie versuchte über die Schulter der Person nach Vorne zu sehen, was ihn denn so erregte, als die Frau neben ihm anfing ihn zu beruhigen. Endlich hatte sie freie Sicht auf das Geschehen oder zumindest auf den Ort, wo dieses wohl stattfand. Doch sehen konnte sie nicht wirklich etwas. Mit sanfter Gewalt bahnte sie sich einen Weg voran. Jikav und die beiden Jugendlichen folgten ihr.

      Auf dem Boden lag ein Mann. Er regte sich nicht und alle hielten einen möglichst großen Abstand zu ihm. Tandra wollte sich weiter vorarbeiten, doch die Umstehenden hielten sie mit aller Kraft davon ab. Zwei Frauen drehten sich zu ihr um, blickten Tandra ins Gesicht und schüttelten leicht die Köpfe. Die Renegatin konnte das Verhalten nicht verstehen. Die Person am Boden brauchte vielleicht Hilfe. Aber niemand tat etwas.

      "Ich muss hier sofort verschwinden", hörte sie jemanden hinter sich sagen.

      "Vergiss es. Wir haben damit nichts zu tun. Und schau dich doch mal um."

      Jikav, an den die Worte zwar nicht gerichtet war, der aber aus Neugier der Aufforderung folgte, begriff sofort, was gemeint war. Als wäre sie aus dem Boden gewachsen standen ein gutes Dutzend Männer und Frauen mit Waffen in der Hand um sie herum.

      "Wo kommen die Bewaffneten so plötzlich her?", flüsterte Jikav Tandra zu.

      "Das sind Wächter. Beamte der ProTeq. Sie sorgen für die Sicherheit hier im Staat", erklärte ihm ein Mann rechts von ihm. "Sie kommen nicht von hier, richtig?"

      "Nein. Wir kommen aus Nuhåven."

      "Stimmt es, dass die Biosphäre vollständig zerstört wurde?", wollte der Mann nun aufgeregt wissen.

      "Das ist richtig", antwortete ihm Tandra.

      "Wie konnte das passieren?"

      "Sie wurde gesprengt", entgegnete diesmal Jikav völlig nüchtern.

      "Von wem?", kam jetzt die Frage von der anderen Seite, durch eine Frau, die sich in das Gespräch einmischte.

      "Das werden Sie mir nicht glauben", erwiderte Jikav. "Von der ProTeq."

      "Nein!", stießen die beiden Personen etwas lauter hervor, als sie wollten. Sofort zogen sie sich einige Schritte zurück, um nicht entdeckt zu werden.

      Eine Person löste sich aus der Menge und ging auf den am Boden liegenden zu. Sie holte ein Gerät aus der Tasche, um es dem Mann auf den Bauch zu drücken. Dann las sie die Daten auf dem Display aus, überprüfte diese ein zweites Mal, um dann wieder aufzustehen.

      "Alles in Ordnung", sage sie. "Kein Gift oder ähnliches. Organisieren Sie einen Leichentransport. Sie können die Leute weitergehen lassen."

      "So funktioniert also die Sicherheit in Deusakem", murmelte Thevog ein wenig beeindruckt.

      "Scheinbar sind hier in den Straßen ebenso viele Proteqtoren wie Bewohner unterwegs. Ist schon ein bisschen beeindruckend. Nicht so wie unter Mår-quell, wo jeder jedem am helllichten Tag etwas antun kann, ohne dabei gesehen zu werden." Der junge Renegat nickte anerkennend und löste sich dann von der Szene, die sich jetzt vor ihren Augen abspielte.

      "Dann werden die Renegaten es hier wohl um einiges schwerer haben, als in Nuhåven", konsternierte Tandra etwas entmutigt.

      "Die Renegaten?", kam plötzlich die Frage von hinter ihnen. "Überhaupt nicht. Die arbeiten doch auch für den Gottkaiser Jachwey."

      Tandra und Jikav schauten sich erstaunt an, bevor sie sich nach der unbekannten Stimme umdrehten. Es war ein kleiner, vielleicht siebzigjähriger Mann, der sie von Unten angrinste. Er war sogar noch kleiner, als Thevog und Misuk. Sein breites Grinsen machte ihn überaus sympathisch, sodass Tandra ihn direkt fragte, ob er den wüsste, wo sie die Renegaten finden könnten.

      Kapitel 7

      Völlig erschöpft betraten der Älteste und seine Gruppe die Stadt. Sie waren den gesamten Tag durch im Eilschritt unterwegs gewesen, um Akeḿ noch vor der Nacht zu erreichen. Dem Video in der Willkommenszone hörten sie kaum zu. So sehr waren sie von der Reise ausgelaugt. Nachdem sie sich endlich frei in der Stadt bewegen konnten, suchten sie zunächst nach einer Gaststätte oder etwas, das dem glich. Auf mehrfache Nachfragen in der Bevölkerung erreichten sie eine der staatlichen Essensausgaben, die es in großer Vielzahl hier gab. Eine weitere Institution, welche die Bevölkerung ihrem Gottkaiser zu verdanken hatte und die sie sehr schätzen. Auch die Sturmredner waren jetzt mehr als dankbar für diese Einrichtung. Jeder von ihnen nahm eines der unterschiedlichen Essen entgegen und verspeiste es an den bereitgestellten Tischen. Während dessen besprachen sie das weitere Vorgehen, was darin gipfelte, zunächst einen Plan der Stadt zu finden, um darin nach möglichen, geeigneten Gebäuden zu suchen, in denen sich die Sturmredner aufhalten könnten.

      "Optimal wäre wohl ein Gelände am Rande der Stadt, welches kaum Beachtung erlangt. Eine stillgelegte Fabrik oder eine alte militärische Anlage."

      "Das ist richtig", kommentierte der Älteste. "So wie es allerdings aussieht, gibt es weder das Eine noch das Andere hier." Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er sich den überaus detaillierten, öffentlichen Stadtplan. Sein Finger fuhr bestimmte Bereiche ab, während er immer wieder den Kopf schüttelte.

      "Wenn es hier wirklich eine Basis von uns gibt, weiß ich nicht, wo diese sein könnte. Jede Ecke dieser Stadt wird ausgiebig genutzt. Kein verlassener oder vergessener Ort, den wir wahrnehmen könnten", murmelte er vor sich hin.

      "Vielleicht hat es hier auch nie einen Ort der Sturmredner gegeben", unterbrach eine Frau aus der Gruppe den Ältesten.

      "Sie mögen da recht haben, meine Liebe. Trotzdem kann und will ich mir nicht vorstellen, dass wir uns hier nicht niedergelassen haben. Akeḿ ist durch seine Industrie derart dreckig und unwirtlich, dass sich kaum einer von der Regierung hierher verirren würde."

      "Wenn man sich verstecken will, ist man dort am sichersten, wo einen jeder sehen kann", philosophierte eine weitere Frau leise vor sich hin.

      "Was sagten Sie?", fragte der Ältest nach.

      "Wo würden sie am ehesten nach jemanden such? Natürlich überall dort, wo sich die Person verstecken kann. Und wo würden Sie am wenigsten suchen?"

      "Überall, wo man ihn sehen kann", antwortete der Älteste leise und beeindruckt.

      "Und wo soll das sein?", wollte jetzt ein Mann aus der Gruppe etwas provozierend wissen, da er von dem Gedanken der Frau nichts hielt.

      Die Philosophin hielt einen Augenblick inne, während sie den Plan betrachtete. Dann hob sie langsam den Arm und tippte mit dem Finger auf etwas, das in der Mitte der Stadt lag. Das Schloss. Der Älteste sah sie überrascht an und ärgerte sich sogleich, dass er nicht selbst auf den Gedanken gekommen war. Weit oben auf einem Berg. Nur ein Zugangsweg. Bester Ausblick auf alles, was um das Bauwerk herum lag. Das ideale Versteck.

      "Wo sind die Obersten?", fragte er in die Runde. Ohne ihre Roben hatte der Älteste schon lange den Überblick über die Ränge und die damit verbundenen Personen verloren. Langsam musste er anfangen sich ihre Namen zu merken. Sechs Männer und Frauen traten hervor und reihten sich vor ihm auf. Der Älteste betrachtete sie lange, bevor er sich dann für eine Frau und einen Mann entschied.

      "Die anderen können die Stadt erkunden und Informationen sammeln. Wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier." Dann wandte er sich dem ungleichen Paar zu. "Wir begeben uns jetzt zum Schloss. Keine Ahnung, was uns dort erwartet. Wir können recht haben oder aber ganz falsch liegen. Daher müssen wir mit äußerster Vorsicht vorgehen."

      Das einer Festung ähnelnde Gemäuer zu erreichen dauerte weit mehr als eine halbe Stunde. Somit würden die anderen Mitglieder der Organisation vermutlich viel früher wieder am Sammelpunkt ankommen, als die Dreiergruppe.