Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
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um weitere Mutanten einzusammeln. Dann müssen wir sehen, dass wir vor ihr dort sind. Machen wir uns also auf den Weg."

      "Ich möchte ja nicht unhöflich sein, Ältester, aber wie haben Sie überhaupt vor die Hexe zu stoppen?", mischte sich einer der Alten in das Gespräch ein. "Ihnen ist schon klar, dass ihre Macht immer weiter zugenommen hat. Sie könnte der Mutant sein, vor dem uns die alte Vorhersehung gewarnt hat."

      "Vorhersehung", schnaubte der Älteste. "Nur ein lächerliches Ammenmärchen. Selbst wenn es sie wirklich gibt, heißt das noch lange nicht, dass die Behauptungen darin zukünftigen Tatsachen entsprechen."

      "Und doch ist es gerade diese Vorhersehung, weswegen die Sturmredner gegründet und die bekannten Mutanten in unseren Basislagern zusammengeführt wurden."

      "Wer sagt das?", fragte der Älteste angriffslustig.

      "Das weiß ein jeder, der in den Rang eines Alten erhoben wird."

      "Blödsinn", fauchte der Älteste und drehte sich drohend zu dem Mann um, der sich so ungefragt eingemischt hatte. "Unsere einzige Aufgabe war und ist es, die jungen Menschen vor der Regierung zu retten beziehungsweise davor, dass diese sie zu ihren Werkzeugen macht."

      "Ältester", hob der Mann nun an. "Sollten Sie den wahren Grund unserer Organisation wirklich nicht kennen oder verheimlichen Sie uns gar etwas ganz anderes?"

      "Sie wagen es mich und meine Position infrage zu stellen", brüllte der Älteste nun los, während er auf den Mann zustürmte. "Ich werde Ihnen schon noch deutlich machen, was Respekt bedeutet."

      Bevor der Älteste jedoch den Mann erreichen konnte, traten einige andere Sturmredner ihm in den Weg. Der Älteste blieb abrupt stehen und schaute die kleine Gruppe, die ihn hinderte, erstaunt an. Hastig blickte er von einem Gesicht in das nächste. Erst jetzt bemerkte der Älteste, dass keiner von ihnen mehr seine Maske trug, welche die jeweilige Identität der Person vor anderen schützen sollte. Diese Maske war ein Gesetz, das seit Anbeginn der Sturmredner galt. Niemand sollte wissen, wer oder was der andere ist oder wie er aussieht, damit er es keinem außenstehenden verraten konnte. Schließlich fiel ihm auf, dass auch die Roben verschwunden waren.

      "Was geht hier vor?", fragte der Älteste ungläubig. "Wo sind die Masken und Roben?"

      "In unserem Kloster waren wir geschützt", erklärte eine Frau mittleren Alters, die in der Mitte der Gruppe stand und jetzt hervortrat.

      "Sie? Eine Frau? Wieso konnten Sie zu den Sturmrednern gelangen?", unterbrach er, während sein Weltbild langsam, anfing in sich zusammenzufallen.

      "Ja. Ich bin eine Frau. Und zwar eine von vielen. Nur dank der Masken und Roben hat uns niemand erkannt. Doch wir wurden von der Hüterin des Sturms zu den einzelnen Standorten geschickt, um eine bessere Ansprechperson für die weiblichen Kutten und Adepten zu sein. Sie sehen, die Zeiten haben sich geändert, ohne dass ein bornierter Mann wie Sie es sind, etwas davon gemerkt hat." Der Älteste hörte den letzten Satz der Frau schon gar nicht mehr und reagierte daher auch nicht auf ihre Beleidigung. In nur Sekunden wurde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles, für das er gelebt hatte, die Tradition und Basis der Sturmredner löste sich plötzlich in Luft auf. Dem Ältesten wurde schwindelig. Sein Gehirn wurde von unzähligen Gedanken, Fragen und Zweifeln überflutet, bis es endlich aufgab, sich zu wehren.

      "Also gut", erwiderte der Älteste tonlos und erschöpft. "Wenn wir schon mit allen Traditionen brechen, dann kann ich ihnen auch sagen, was ich gehört habe. Genaugenommen wurden die Sturmredner gegründet, um die Mutanten zu sammeln und sie als Waffe einzusetzen. Daher auch die Aufspaltung in Sturmredner und Sturmbringer. Die Hüterin des Sturms soll wohl früher die rechte Hand des Gründers gewesen sein. Als sie jedoch herausfand, was dieser vorhatte, nahm sie so viele Gleichgesinnte und Kutten mit sich wie sie nur finden konnte und versteckte sie über das gesamte Land verteilt. All dies nur aus einem Grund. Sollte der Gründer seinen Plan umsetzen, würden die Sturmredner sich ihm in den Weg stellen."

      "Und wer ist der Gründer?", erkundigte sich eine weitere Person aus der Gruppe.

      "Darüber gibt es nur Gerüchte", antwortete der Älteste.

      "Was für Gerüchte?", hakte eine andere die Person nach.

      "Angeblich soll Mår-quell der Gründer sein. Sie hat die Mutanten in den staatlichen Heilanstalten unter dem Vorwand gesammelt, das Volk vor ihnen schützen zu wollen, damit die Sturmbringer dann mit ihnen verschwinden konnten, um sie an geheimen Standorten auszubilden. Alles Freiwillige natürlich. Damit sie ihr, ohne Fragen zu stellen, folgen. Ich war in einem ihrer Ausbildungslager. Alle marschierten sie im Gleichschritt, hatten einen speziellen Salut, die rechte Faust an die rechte Brust gepresst, mit dem sie sich jederzeit begrüßten. Die jungen Menschen wurden in einer Ideologie unterrichtet, die einfach ekelhaft war." Die Stimme des Ältesten wurde immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummte. Er ließ sich zu Boden fallen und blieb dort einige Zeit wortlos sitzen, während er das Gesicht in den Händen vergrub. Es dauerte mehrere Minuten, bevor jemand wieder sprach.

      "Sie waren einer der Ausbilder", vermutete ein junger Mann der Gruppe. "Doch Sie haben es nicht ertragen und sind zu den Sturmrednern übergelaufen."

      "Nicht ganz", erklärte der Älteste darauf hin. "Die Hüterin des Sturms hatte mich bei den Sturmbringern eingeschleust, um Informationen zu erhalten. Aber ich konnte es nicht lang genug dort aushalten. Eigentlich sollte ich ihre Pläne in Erfahrung bringen, doch es war fast unmöglich in die obersten Reihen vorzudringen. Dazu dieser ideologische Missbrauch. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich verließ die Basis unter einem Vorwand und löste mich in Luft auf." Die letzten Worte wurden von Tränen erstickt. "Ich konnte keinem von den jungen Menschen helfen. Sie wurden alle verdorben."

      Erneut entstand ein langes Schweigen. Ein jeder dachte über das Gehörte nach. Niemand konnte begreifen, wie nach der Geschichte dieses Landes sich so etwas wiederholen konnte. Auf der anderen Seite wusste jeder von ihnen, wie leicht Jugendliche ohne Perspektive oder mit Wut im Bauch zu beeinflussen waren, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Die etwas älteren der Bevölkerung, die mehr Verstand hatten, wog man mit angeblich positiver Politik in Sicherheit. Man tat gerade soviel gegen die Kriminalität, dass immer noch Luft nach oben war, es noch besser zu machen. Und das versprach man den Menschen dann auch nach jedem Vorfall. Obwohl dies jedoch nie geschah, glaubte das Volk der Regierung. Man biedert sich Zusammenschlüssen an wie etwa der Nationalen Abwehr und Territorial Organisation, um der Bevölkerung weiß zu machen, die Regierung habe starke Verbündete und schütze sie dadurch vor Kriegen. Stattdessen führte man in fremden Ländern die Kriege anderer Nationen. Und zu guter Letzt ließ man massenhaft Asylaken einwandern und sich von der Eternal Union zuteilen, damit die hypersensiblen Bewohner des Landes sich um diese kümmern konnten statt gegen die unzulänglichen Klimabeschlüsse auf die Straße zu gehen. Diese und ähnlich Gedanken hatte ein jeder, der jetzt um den am Boden sitzenden Ältesten standen. Einige von ihnen äußerten diese sogar im Gespräch mit der neben ihnen stehenden Person.

      Nachdem sich der Älteste wieder beruhigt hatte stand er langsam auf. Eine Frau und ein Mann halfen ihm dabei. Immer noch sprach kaum jemand ein Wort. Aber eine Sache hatte sich verändert. Plötzlich verstanden die Menschen um ihn herum den Ältesten besser, als je zuvor. Sie erkannte, warum er so war und sich so verhalten hatte. Nachdem der Älteste wieder auf seinen Füßen stand, wurde er von einigen Händen fürsorglich vorwärts geschoben. Schritt für Schritt bewegten sich die Sturmredner langsam auf dem Weg, den eine gute Stunde zuvor Ysana eingeschlagen hatte.

      Kapitel 6

      "Ich denke, wir sind angekommen", meinte Jikav, als sie den Scheitelpunkt des kleinen Bergkamps erreicht hatten und sich die Stadt in dem dahinter liegenden Tal offenbarte.

      "Das ist Akeḿ?", fragte Tandra ungläubig zurück.

      "Laut deiner Landkarte auf dem Comtab ist es das. Warum fragst du?"

      "Sieht irgendwie anders aus, als ich es in Erinnerung habe."

      "Du warst schon einmal hier?" Jikav war ein wenig erstaunt, da Tandra nichts dergleichen zuvor gesagt hatte.

      "Nein. Aber irgendwie erinner ich mich an die Stadt."