Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
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meinst du, Tandra?"

      "Ich weiß nicht", ertönte die leise Stimme von Tandra neben ihm.

      "Das ist doch nicht dein Ernst?", fragte Jikav sie in einem liebevollen Ton.

      "Ich bin unschlüssig, was ich davon halten soll. Auch, wenn ich es für unwahrscheinlich halte. Was, wenn sie recht hat?", erwiderte die Renegatin schlaftrunken. Jikav betrachtete sie nachdenklich. Obwohl er dem Mädchen nicht glaubte, dachte er darüber nach, was wäre, sollte Misuk eine Art sechsten Sinn haben, der sie Dinge spüren ließ?

      Das Mädchen hatte mittlerweile ihre Sachen gepackt und war auf dem Weg, den Raum zu verlassen. Alle schauten ihr hinterher. Dann, als sie den Flur zur Haustür entlang ging, blickte jeder jeden an und wartete auf eine Reaktion der anderen.

      "Noch zwölf Minuten", erklang es von der Haustür, die kurz darauf ins Schloss fiel.

      "Also gut. Spielen wir das Spiel mit", sagte Jikav und fing ebenfalls an seine Sachen zu packen. Die anderen taten es ihm gleich. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken über das Mädchen und die Situation beschäftigt. Nach zirka drei Minuten hatte alle das Haus verlassen und entfernten sich von ihm.

      "Wir postieren uns da drüben an der Ecke und beobachten, was passiert", entschied Tandra, während sie mit der Hand auf eine gegenüberliegende Querstraße zeigte. Jikav nickte zustimmend. Thevog folgte ihnen.

      Es dauerte nur kurze Zeit, da hörten die drei eine Art Summen, das stetig lauter wurde. Dann sahen sie eine Prozession mit Fackeln die Straßen entlang kommen, in der das Haus stand, das sie zuvor bewohnt hatten. Das stetige Summen verstummte. Die Fackeln wurden sorgsam abgestellt. Die Gestalten betraten einer nach dem anderen das Haus. Wenige Minuten später ertönte ein bestialischer Schrei, der fast nach Verzweiflung klang. Die Gestalten verließen in aller Eile das Haus wieder und fingen hektisch an die Umgebung zu durchsuchen.

      "Ich glaube, es wird Zeit von hier zu verschwinden", bemerkte Tandra tonlos. Leise drehten sie sich um und schlichen die Querstraße etwa einen Kilometer entlang, bevor sie sich in Richtung der Dædlænds aufmachten. Dabei gingen sie zwischen den Häusern durch die Gärten, um die Straße zu vermeiden, auf der man sie hätte entdecken können. Keiner von ihnen wusste, wie viele dieser Gestalten noch in diesem Dorf hausten. Endlich erreichten sie den Rand der Ansiedlung, wo wenige Meter weiter auf einem Stein Misuk hockte und sie erwartete.

      "Sag ich doch", war ihr einziger Kommentar. Dann stand sie auf und ging in das verseuchte Land.

      "Morgen, direkt nach dem Aufstehen, werde ich mir die Göre schnappen und …", weiter kam er nicht, da Tandra ihm die Hand beruhigend auf den Arm legte.

      "Wir werden schon noch herausfinden, was mit dem Kind los ist. Ich denke, es gibt dafür eine ganz plausible Erklärung. Eventuell tun wir ihr auch Unrecht mit unserem Misstrauen. Lass uns erst einmal weiter gehen. Es ist kurz vor Sonnenaufgang. Wir werden über Tag eine Rast machen und den verlorenen Schlaf nachholen."

      "Wahrscheinlich hast du recht. Es wird wohl mehr bringen, wenn wir sie nicht provozieren. Außerdem, wer weiß schon, was sie noch alles kann. Die ist nicht nur unheimlich, die macht mir sogar ein wenig Angst."

      "Ernsthaft jetzt?", fragte Tandra ungläubig und erheitert zugleich.

      "Ich stimme da Jikav voll und ganz zu", schaltete sich Thevog in das Gespräch ein. "Besser nicht ärgern. Ich weiß nicht, was dann passiert."

      "Ich bin mir sicher, ihr übertreibt. Ich habe da eine Theorie entwickelt. Was, wenn sie ein erwachsener Geist in einem kindlichen Körper ist?"

      "Du meinst ein Experiment?", hakte Jikav nach.

      "Nein. Einfach nur kleinwüchsig. Möglicherweise ist sie aus dieser Gegend. Kennt sich hier aus. Wusste von diesen komischen Gestalten und ihren Ritualen. Hat Erfahrungen, was das Überleben hier angeht. Wäre doch möglich. Und es würde ein wenig das erklären, was wir für so gespenstig an ihr halten."

      Jikav schürzte die Lippen, während er über das Gesagte nachdachte. Überzeugt war er zwar nicht von dieser Ansicht, aber ganz von der Hand zu weisen war sie auch nicht. Der junge Renegat beschloss weiterhin Misuk unter Beobachtung zu halten und seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Tandra nahm seine Hand und zog ihn langsam fort. Misuk hatte schon wieder nicht auf sie gewartet und war jetzt bereits einen guten halben Kilometer vor ihnen. Thevog warte in kurzer Entfernung auf das Paar. Als er sah, wie die beiden sich ebenfalls auf den Weg machten, ging auch er weiter, in der festen Überzeugung, dass sie ihn bald einholen würden.

      Kapitel 5

      "Ich habe sie gefunden", verkündete einer der Telepathen aus den Reihen der Sturmredner. "Sie kann noch nicht weit sein." Der Älteste drehte sich neugierig zu dem Mann um und schaute ihn fragend an.

      "Wen haben Sie gefunden?"

      "Die Hexe. Ich weiß jetzt ungefähr, wo sie ist und was sie vorhat."

      "Die Hexe lebt?", fragte der Älteste erstaunt. Er hatte gehofft, dass sie bei der Katastrophe endgültig ums Leben gekommen sei. Doch das war dann wohl nur ein Wunschtraum gewesen. Sie lebte und konnte somit ihr Gift weiterhin verbreiten. Das musste verhindert werden.

      "Wo genau ist sie?", fragte er den Telepathen barsch, der ein wenig zusammenzuckte.

      "Das kann ich leider nicht so exakt sagen. Aber vielleicht können die anderen Telepathen mit mir zusammen den Standort triangulieren."

      "Versuchen Sie das. Wir müssen dem Mädchen habhaft werden und sie von ihrem Vorhaben abhalten, die Menschen zu unterjochen."

      "Das sehe ich genauso", erwiderte der Mann und eilte davon die anderen beiden Gedankenleser zu finden. Dabei hielt er dauerhaft Kontakt zu Ysana, die offensichtlich noch nichts davon gemerkt hatte. Hoffentlich würde sie das auch nicht, dachte der Mann ängstlich. Er konnte sich viele Gegenmaßnahmen der Mutantin ausmalen, die vermutlich sehr schmerzhaft oder gar tödlich für ihn sein würden.

      Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die drei Telepathen sich sicher waren, wo Ysana zu finden sei. Sofort teilten sie dem Ältesten ihre Vermutung mit, der daraufhin seine Truppe zusammenrief, um der Hexe zu folgen.

      "Konnten Sie noch etwas in Erfahrung bringen? Zum Beispiel, was sie plant?"

      "Sie hat an eine alte Industrieanlage gedacht, wo sich weitere Mutanten aufhalten sollen."

      "Eine Industrieanlage, sagen Sie", grübelte der Älteste.

      "Ja, sie hat die Informationen aus einigen Akten."

      "Den Akten", wiederholte der Älteste etwas zu laut. "Verdammt. Wie ist sie da nur herangekommen? Nicht einmal ich hatte Einsicht in die Akten des Obersten. Und sie weiß anscheinend alles darüber. Das darf doch wohl nicht wahr sein", fluchte er weiter.

      "Dann wissen Sie nicht, wo sich diese Anlage befindet?", fragte der Telepath ungläubig nach.

      "Nein. Diese Akten sind immer nur für die Obersten bestimmt. gewesen Niemand sonst kennt ihren Inhalt."

      "Dann müssen wir schleunigst zu einer anderen Einheit der Sturmredner und den Obersten dort befragen", regte der Mann an.

      "Das wäre auch mein Plan, wenn ich den wüsste, wo sich der nächste Standort befindet. Denn auch das steht nur in den Akten der Obersten." Der Telepath und seine zwei weiblichen Mitstreiter blickten den Ältesten erwartungsvoll an. Doch der verzog nur schmerzhaft die Miene.

      Einige Zeit später war die Gruppe an dem Ort angekommen, wo die Telepathen den Ausgangspunkt von Ysanas Reise vermutet hatten. Natürlich war von ihr nichts mehr zu sehen. Eben sowenig gab es irgendwelche Hinweise, ob sie erstens an der richtigen Stelle waren und zweitens, in welche Richtung sich die Mutantin bewegt hatte.

      "Was machen wir jetzt?", stellte eine der beiden Frauen die alles entscheidende Frage. Der Älteste überlegte lange. Dann fasste er einen Entschluss.

      "Ich habe zwar nie einen Blick in die Akten werfen können. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass in Akeḿ eventuell eine weitere Niederlassung der Sturmredner zu finden ist. Die Stadt ist groß und eignet