Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
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großes Dach. Wenn es nur ein großes Dach war, dann mussten sie doch einen Teil des Waldes gerodet haben. Wie hatte sie das angestellt? Und wie konnten sie überhaupt diese Platten vom Hover in den Wald transportieren? Und selbst wenn all das zutreffen würde, was er sagte, müsste man das Metalldach von Oben aus sehen. Da bereits ein Hover dort in der Nähe abgestürzt war, würden dann nicht weitere das Gebiet abfliegen? Zum Beispiel die Patrouillenhover der ProTeq, die doch ständig in den Dædlænds auf der Suche waren.

      Tenju hatte gar nicht bemerkt, dass sich während seines Gedankenganges seine Schritte beschleunigt hatte. Unvermittelt stand er neben Ysana, die sofort bemerkte, dass etwas den Telepathen beschäftigte. Sie schaute ihn lange und erwartungsvoll von der Seite an. Doch ihr Nachrichtenoffizier war so in seine Gedanken vertieft, dass er dies gar nicht bemerkte. Schließlich sprach sie ihn an und er berichtete seiner Anführerin alles, was Neyton ihm erzählt und welche Bedenken dies in ihm ausgelöst hatte. Ysana schwieg eine Weile. Dann drehte sie sich um und betrachtete Neytons Schäfchen, wie er sie immer wieder nannte. Allmählich zweifelte auch sie an dem Mann. Doch, was wollte er von ihr? War er einer dieser neuartigen Religionsspinner? Ein Anhänger dieses allgegenwärtigen, nicht wirklich existierenden Wesens, das immer denjenigen half, die an es glaubten. Einer dieser unselbständigen, die nur dann etwas erreichten, wenn ihnen jemand half. Sei dieses Etwas auch noch so unrealistisch und unwirklich. Hörte er vielleicht auch Stimmen?

      "Wir werden dieser Gruppe erst einmal nicht im geringsten trauen. Sag den Ligisten Bescheid, sie sollen auf einen jeden dieser Mutanten achten und sofort Bericht erstatten, wenn sie glauben, etwas Ungewöhnliches zu beobachten. Schlimm genug, sollten sie von der Regierung sein. Noch schlimmer, wenn sie Fanatiker von irgendetwas sind." Tenju nickte und gab die Botschaft sofort an die anderen neun Mitglieder der Liga weiter.

      Kapitel 9

      "Die Renegaten finden Sie überall in der Stadt", antwortete der kleine Mann auf Tandras Frage. "Am besten schaut Ihr mal bei den freien Essensausgaben vorbei. Da werdet ihr mit Sicherheit einige von ihnen sehen." Jikav und Tandra kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Während sich in Nuhåven die Renegaten verstecken mussten, um nicht getötet zu werden, konnten sie sich hier in Deusakem frei bewegen und arbeiteten auch noch für den Gottkaiser.

      "Darf ich Sie noch etwas fragen?", wendete sich jetzt Jikav an den kleinen Siebzigjährigen, der ihn erwartungsvoll anschaute.

      "Immer heraus mit der Sprache. Sie scheinen hier neu zu sein. Heute erst angekommen?"

      "Ja, richtig! Genau", stotterte Jikav. "Wie kommt es, dass die Renegaten hier nicht verfolgt werden?"

      "Das ist doch ganz einfach, mein unwissender Freund. Wir in Deusakem sind alle keine Freunde der Mår-quell. Diese kleine, dicke Fettel. Die tut doch nichts mehr für ihr Volk. Sitzt nur herum und schaut sich an, wie sie sich in ihrer eigenen und der Schwesterpartei um die fettesten Posten prügeln." Er zog die Nase hoch und spuckte dann angewidert aus. "Ekelhaft, diese Frau. Zu meiner Zeit hat es so etwas nicht gegeben."

      "Verstehe ich das richtig,...", vergewisserte sich jetzt Tandra, "...dass sich der Widerstand hier sammelt und Jachwey eines Tages zum Gegenschlag ausholen wird?"

      "Ob er zum Gegenschlag, wie Sie das bezeichnen, ausholen wird, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall macht er das genaue Gegenteil von dem, was diese Mår-quell macht. Deswegen platzt die Stadt auch so gut wie aus allen Nähten. Der Gottkaiser ist immer darum bemüht, weitere Städte oder Stadtstaaten für sich zugewinnen, die ihn als Lenker des Schicksals anerkennen." Der alte Mann redete sich förmlich in Rage vor Begeisterung. Die beiden jungen Renegaten hatten schon die Befürchtung, er könne sich so ereifern, dass er einen Herzinfarkt bekommt.

      "Ach, wisst Ihr was? Ich bringe euch jetzt zu einer dieser Essensausgaben. Wenn dort Renegaten sind, dann stelle ich euch vor." Der alte Mann hakte sich bei Tandra und Jikav unter und schlurfte los.

      Es dauerte einiges an Zeit, bis sie eine der erwähnten Ausgaben erreichten. Während sie die Stadt mit dem Siebzigjährigen an ihrem Arm durchquerten, erzählte dieser unentwegt weiter über die früheren Zeiten. Zwischendurch erklärte er ihnen dann auch mal, in welchem Teil der Stadt sie sich befanden und wie es dazu kam, dass aus dem ehemaligen, hoch technisierten Akeḿ das neu industrielle Deusakem wurde. Eigentlich war die Erklärung dafür ganz einfach. Jachwey hatte die Stadt vollkommen autark von der Regierung gemacht, indem er sie sogar vom Stromnetz nahm, damit die Hauptstadt Ͼapitis sie nicht unter Druck setzen konnte. Leider hatte die Lebensqualität etwas darunter gelitten, wie die kleine Gruppe aus Nuhåven feststellen konnte. Die Straßen waren nicht so sauber, wie sie hätten sein können. Doch Reinigungssysteme brauchten viel Strom. Und den konnten die Kohlekraftwerke nicht in dem Maße produzieren. Also wurde dieser für die wirklich wichtigen Dinge verwendet, während anderes auf der Strecke blieb. Trotz dieser Tatsache bemühte sich der Gottkaiser darum, dass es seiner Bevölkerung an möglichst wenigen Dingen fehlte.

      "Wie Ihr also erkennen könnt, haben wir keinen Grund uns über irgendetwas zu beschweren. Der Gottkaiser bemüht sich wirklich mit allen Mitteln", endete der alte Mann, als sie bei der Essensausgabe ankamen. "Geht. Holt euch was. Ihr müsst hungrig sein. Ich setze mich hier hin und warte auf euch."

      "Hast du Geld dabei?", fragte Jikav Tandra. Die schüttelte verneinend den Kopf. "Wie sieht es mit euch aus?", wendete er sich jetzt an Misuk und Thevog, die daraufhin in ihren Taschen wühlten.

      "Worauf wartet Ihr?", fragte der alte Mann verwundert.

      "Wir haben kein Geld bei uns."

      "Das macht doch nichts. Das Essen gibt es umsonst. So will es der Gottkaiser. Essen und Obdach ohne das auch nur ein einziger, der es sich nicht leisten kann, darauf verzichten muss." Die vier schauten sich verwundert an.

      "Wie finanziert der Gottkaiser diese Sozialleistungen?", fragte Thevog verwirrt.

      "Der Junge ist patent", freute sich der Siebzigjährige. "Willst du später mal in die Politik gehen?" Thevog schaute ihn überrascht an.

      "Der Junge ist ziemlich clever", bestätigte Jikav. "Und sehr interessiert."

      "Das merkt man", erwiderte der Mann und schlug Thevog von Begeisterung auf die Schulter, dass dieser ein wenig zusammensackte. "Ich kann dir leider nicht sagen, wie Jachwey es schafft, all diese Dinge zu bezahlen. Aber eins kann ich dir sagen. Es wird niemand ausgebeutet, damit wir alle diesen Luxus wahrnehmen können. Ich denke, es ist das Prinzip, du tust etwas für mich und ich tue etwas für dich. Wenn man sich gegenseitig unterstützt, braucht man kein Geld. Jetzt aber genug des Redens. Holt euch endlich was zu essen. Wir können uns gleich weiter unterhalten. Das geht mit vollem Bauch auch besser." Der alte Mann wendete sich ab und ging auf eine Bank an einem der langen Tische zu, auf die er sich setzte. Als er sah, dass sich die Gruppe noch immer nicht bewegt hatte, gab er ihnen mit einer Handbewegung zu verstehen, endlich zu verschwinden.

      Am Tresen der Essensausgabe standen etwa zwanzig bis dreißig Menschen in mehreren Reihen. Im Gegensatz zu ihren Erwartungen, gab es nicht nur ein Gericht zur Auswahl, sondern fünf verschieden. Mit großer Neugier betrachteten sie die verschiedenen Essen, bis sie an der Reihe waren und von einer jungen Frau angesprochen wurden.

      "Hallo. Ich bin Shilané. Was darf ich euch bringen?" Fleißig zählte sie alle Mahlzeiten auf, wies auf deren Besonderheiten und Verträglichkeit hin, dann schaute sie auf und wartet ab. Plötzlich verdunkelte sich ihr Gesicht, nur um dann gleich wieder voller Freude sich aufzuhellen. "Tandra?", fragte sie vorsichtig. Die Renegatin erschreckte sich und blieb einige Zeit stumm. Dann endlich antwortete sie dem Mädchen in dem grauen Kleid mit der Schürze und dem Häubchen auf dem Kopf.

      "Ja?", sagte sie unsicher. "Ich bin Tandra. Kennen wir uns?"

      "Ja, wir kennen uns. Ist zwar schon über ein Jahr her, aber dein Gesicht würde ich nie vergessen." Tandra war verwirrt und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht an das Mädchen erinnern.

      "Entschuldige bitte", sage sie schließlich. "Ich habe einen partiellen Gedächtnisverlust erlitten", log sie, um nicht noch tiefer in diese peinliche Situation gezogen zu werden. "Wie war nochmal dein Name?"

      "Shilané.