Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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– Mit ihr ist Marcel heute den ganzen Tag gewesen, und morgen früh wird sie allein es sein, die ihn zum Zug begleitet. Sie ist sehr erschrocken, als er ihr’s gesagt hat: Ich gehe nach Spanien. Marion, die sonst nur tröstet und hilft, zur Besinnung oder zum Kampf ruft – Marion hat geweint. Ihr Mund hat kindlich gezittert, aus den schönen, schrägen Katzenaugen flossen Tränen: »Tu es nicht! Ich sehe dich niemals wieder! Bleibe hier, es gibt hier genug zu leisten! Bleibe meinetwegen! Ich bin deine Frau!« – Sie hat sogar dies gesagt: »Ich bin deine Frau!« – hat sich nicht geschämt, das riskante, in solchem Zusammenhang fast abgeschmackte Argument zu benutzen. Noch ärger aber war es, als sie plötzlich verlangte: »Wenn du gehen mußt – nimm mich mit! Ich will nicht alleine hier bleiben oder in Mährisch-Ostrau Gedichte aufsagen – und anderswo wird die Entscheidungsschlacht geschlagen, und du bist dabei! Nimm mich mit! Ich kann auch schießen lernen, ich bin sehr begabt fürs Schießen, im Lunapark habe ich immer den ersten Preis gewonnen; oder ich kann Krankenschwester werden, oder den Soldaten nachts Geschichten erzählen, wenn sie wach bleiben müssen – und ich kann bei dir sein; denn ich bin deine Frau!« Marcel streichelte sie erst und bat: »Das ist nicht dein Ernst, Marion! Das kannst du nicht wirklich wollen!« Als sie eigensinnig blieb, mußte er streng und beinah drohend werden. »Es gibt Wege, Marion, die man allein zu gehen hat! Du kannst nicht mit mir kommen. Ich will nicht, daß irgend jemand mit mir kommt.« – Da verstummte sie und hielt das Gesicht lange gesenkt, wie beschämt. Erst viel später war es, daß sie leise sagte: »Wahrscheinlich hast du recht. Es gibt Wege – die muß man alleine gehen.« Und – wieder nach einer Pause; aufseufzend, von ihm weggewendet: »Ach Marcel – mein Marcel … Was ist uns bestimmt? Wohin führt das alles, und wo kommen wir an! – Wie seltsam sind die Dinge, die uns vorbehalten sind …« – Als sie nachts neben ihm lag, sah sie wieder, vor den fassungslos geöffneten Augen, den feuerspeienden Berg, den Vulkan. Rauchmassen, lodernder Brand, und die Felsbrocken, die tödlich treffen. Wehe – was ist uns bestimmt?

      Marion, Martin und Kikjou fehlten auf dem Fest der Schwalbe; hingegen gab es mehrere neue Gesichter, wie auch altvertraute: Helmut Kündinger war da – fast arriviert nun; ein angesehener Journalist, von würdevoll selbstbewußtem Betragen – Dr. Mathes samt seiner schönen Frau, die, mit leuchtendem Haar und blanker Stirn, einem militanten Erzengel glich; Nathan-Morelli, dessen Gesichtsfarbe unheimlich gelblich war und der leidend wirkte – was ihn übrigens keineswegs dazu veranlaßte, etwas weniger Zigaretten zu rauchen; Fräulein Sirowitsch, seine Lebensgefährtin, Leiterin der großen Presseagentur – ihrerseits stattlich erblühend, ganz entschieden üppiger und attraktiver geworden, seit wir ihr, im fernen Jahre 1933, erstmals begegnen durften; Dora Proskauer – die schräge Nackenlinie belastet von den Sorgen um ihre jüdischen Schützlinge, von denen sich einige ängstlich um sie gruppierten; Theo Hummler – eben aus Straßburg, Prag oder Stockholm zurückkehrend, eingeweiht in mancherlei politische Machenschaften und geheime Aktionen, leicht zerstreut und sehr in Anspruch genommen, aber doch jovial, munter trotz allem, ein lustiger Geselle, guter Trinkkumpan, obwohl so wichtig beschäftigt; Germaine Rubinstein, die ernsten Augen voll Heimweh nach dem unbekannten Rußland; die gefeierte Ilse Ill, fast nur noch Französisch sprechend, höchst extravagant und schaurig hergerichtet, mit grünem Haar und violetten Wangen. Sie erzählte allen, die es hören wollten: »Ich bin wirklich froh darüber, daß ich Erfolg habe – wirklich froh. Denn es ist doch ein gutes Zeichen, wenn ein begabter Mensch sich durchsetzt, ganz ohne Protektion. Mit dem Talent, und mit gar nichts anderem, habe ich es geschafft.«

      Übrigens war sie eher noch mißtrauischer, fast verfolgungswahnsinnig geworden, seitdem sie reüssiert hatte. Es geschah, daß sie irgendeinen von den alten deutschen Bekannten mit heftigen Vorwürfen plötzlich überschüttete. »Du grüßt mich nicht mehr – oder nur noch kühl – weil ich Erfolg habe: das ist der ganze Grund. Du verachtest mich wohl, weil ich Geld verdiene? Pfui, wie kann man nur so borniert und eifersüchtig sein! Dabei verdanke ich doch alles einzig und allein meinem großen Talent!« – Sie erbot sich, Marcel zu Ehren ein Lied zu singen, und trug gleich eine gräßlich unanständige Ballade vor – »pour faire plaisir à notre ami Poiret!«

      David Deutsch aber – das schwarze Haar über dem wachsbleichen Gesicht wie in ständigem Entsetzen starr aufgerichtet – sprach mit schiefen Bücklingen: »Ich bin etwas neidisch, Marcel! Wie gerne möchte ich mitkommen. Meine soziologischen Arbeiten freuen mich fast nicht mehr, seitdem in Spanien der Entscheidungskampf begonnen hat: denn es ist ein Entscheidungskampf, das spüren wir alle. Ich fürchte nur, man könnte mich kaum gebrauchen; ich wäre kein guter Soldat …« Dazu ein kummervoller Blick auf seine empfindlichen, bleichen Hände. – »Aber vielleicht komme ich nach!« fügte er hinzu und hob, mit einem kleinen Ruck, stolzer das schmale Haupt.

      »Vielleicht komme ich nach!« Auch Dr. Mathes sagte es, das schöne Meisje, Theo Hummler, selbst die Schwalbe ließen dergleichen hören. – »Vielleicht komme ich nach!« – Sogar Martin verhieß es; Marcel hatte ihn nach Schluß der Schwalben-Gesellschaft aufgesucht. Von Martins üppigen und fahl gewordenen Lippen indessen klang es nicht so ganz überzeugend. Er bekam lügnerische Augen und behauptete mit koketter Pedanterie: »Ich nehme jetzt fast gar nichts mehr – weißt du. Nur noch ab und zu eine Kleinigkeit – man kann sagen: ich bin vollständig frei. In ein paar Wochen werde ich ganz gesund – und dann fahre ich wohl nach Spanien …« Während Marcel noch bei ihm saß, rief Pépé, der Drogenhändler, an, und Martin mußte sich ausführlich bei ihm entschuldigen wegen der hohen Schulden. »Ich erwarte eine größere Überweisung von meinen Eltern, aus Deutschland!« rief er beschwörend durchs Telefon. »Sei doch noch ein bißchen geduldig, mein süßer Pépé! Und vor allem, vergiß nicht: morgen muß ich ein neues Päckchen haben!« – Neben seinem Bett lagen allerlei rot verfärbte Lappen und Wattebäusche. »Die sind vollgesogen mit meinem Blut«, erklärte Martin geheimnisvoll, als verrate er etwas Reizendes, Pikantes. »Bei den intravenösen Injektionen gibt es Blutverluste – weißt du …« Dabei waren seine Augen verhangen, lüstern und trostlos traurig. Ehe Marcel ihn zum Abschied küßte, fragte Martin ihn noch: »Hast du eine Ahnung, wo Kikjou steckt? Ich glaube, er ist immer noch in Lausanne; aber ich habe schon seit langem keinen Brief bekommen. Er beschäftigt mich nicht mehr so sehr – Gott sei Dank. Aber wenn du seine Adresse zufällig wüßtest, könntest du sie mir doch geben …« Marcel sagte, er habe keine Ahnung, wo Kikjou sei.

      Er ging zu ihm, noch in dieser Nacht, es war seine letzte Visite, ehe Marion ihn zum Bahnhof brachte. Kikjou wohnte in einem kleinen Hotel nah der Madeleine. Dort versteckte er sich vor Martin. Er wollte Martin nicht sehen – um keinen Preis, unter keinen Umständen; er hatte Angst vor ihm und vor der chose infernale. In seinem Zimmer hing das Kruzifix; auch die Bücher, auf dem Tisch gehäuft, waren wohl fromme Werke. In dieser Nacht aber unterließ es Marcel, sich mit Kikjou über Gott und die allein seligmachende Kirche zu streiten. Er sagte nur: »In Spanien kämpfen die Priester auf der anderen Seite – auf der Seite des Feindes. Sie haben das Volk in der Finsternis halten, unterjochen und ausnutzen wollen. Das Volk haßt sie.« Dabei ruhte der Blick der tragisch aufgerissenen Sternenaugen auf dem Bild des Gekreuzigten. – »Es gibt schlechte Priester«, gab Kikjou zu. Marcel, anstatt darauf einzugehen, erwiderte: »Lebe wohl!« – Sie umarmten sich, Marcel et son petit frère, Marcel und Kikjou, einander so ähnlich, voneinander so verschieden, wie Brüder es sind; beide begnadet mit Reiz, beide verführend mit weitgeöffneten, schillernd vielfarbigen Augen unter den hohen, kühn geschwungenen Bögen der Brauen. »Mon petit singe!« sagte Marcel, und Kikjou nahm seine Wange nicht von Marcels Gesicht. Sie wußten, es war ein Abschied für lange Zeit, der Abschied für immer vielleicht. – »Ich werde für dich beten«, versprach Kikjou, und Marcel widersprach nicht, lachte nicht, schimpfte nicht, sondern nickte ernst: »Das kann nichts schaden. Bete für mich. Bete für mich, mon petit singe, mon petit frère.« – Es war nicht davon die Rede, daß Kikjou nachkommen wollte; beinah alle, von denen Marcel Abschied nahm, stellten dergleichen in Aussicht; nicht aber Kikjou. Nur daß er beten würde, versprach er. – »Und sei wieder gut zu Martin!« bat Marcel, ehe er ging. »Er braucht dich. Er ist sehr traurig.« – Kikjou darauf, das perlmutterne Affengesichtchen unbewegt: »Er braucht mich nicht, obwohl er traurig scheint. Er hat sich anders entschieden. Nun muß er seinen Weg allein zu Ende gehen.« – Marcel dachte plötzlich an die blutgetränkten Lappen und Wattebäusche neben Martins Bett. ›Auch er verströmt sein Blut – auch er. Sinnlos fließt es hin;