Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
Скачать книгу
es das nie und wir reden es uns immer bloß ein, damit wir inneren Frieden finden können.

      Er ließ Julie allein zurück und machte sich auf den Heimweg. Er wollte fort, weg von dieser trostlosen, einsamen Siedlung in einem Gebiet, das ihnen noch immer nicht zustand und das es vielleicht nie tun würde, weil die Indianer es nicht hergeben wollten. Und dann wird es wieder einen Krieg geben, dachte Hugh. Wieder wird die Kavallerie gegen die eigentlichen Besitzer dieses Landes ausziehen und sie vernichten...immer mehr und mehr, bis keiner von ihnen mehr übrig ist.

      Er schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken abzuschütteln. Wie konnte er nur? Die Rothäute hatten seinen Bruder getötet! Er musste sie dafür hassen und verachten, aber er brachte es nicht so recht fertig. Er konnte es ihnen nicht einmal übelnehmen, dass sie ihren Ort überfallen hatten. Wir besitzen kein Recht hier zu sein, schrie es in ihm. Wir haben uns dieses Gebiet geraubt, genau wie Hardy es immer formuliert hat, geraubt!

      Hardy – der junge, österreichische Arzt mit den strohblonden Haaren erschien vor Hughs Augen. Jetzt lag er dort hinten, auf dem Friedhof, neben der Kirche. Er konnte niemandem mehr helfen. Aber ich kann, schoss es Hugh durch den Kopf und ein heftiger Schauer der Erkenntnis durchzuckte ihn. Sein Herz begann zu rasen. Ich kann noch jemandem helfen!

      Zwei Tage später war Samstag und Julie konnte sich nicht entschließen, welches Kleid sie anziehen sollte. Sie mochte die Farbe des einen nicht und bei dem anderen missfiel ihr der Schnitt. Und dann war da natürlich die Sache mit ihren Haaren, die selbstverständlich in eine entsprechende Hochsteckfrisur gebracht werden mussten.

      Verständnislos schüttelte Luise den Kopf, während sie vor dem Spiegel mit den Haarnadeln und dem Kamm hantierte. „Ich verstehe dich nicht, Juliane. Wie kannst du so kurz nach all diesen schrecklichen Dingen wieder ein farbiges Kleid tragen und dann auch noch zum Tanzen gehen?“

      „Mutter, bitte!“ Aufgeregt zupfte Julie an den Rüschen des dunkelgrünen Kleides, das an die Tannen des Waldes nach einem langen Herbstregen erinnerte. Es war das einzig wirklich schicke Kleid, das sie überhaupt besaß. „Ich bin eingeladen worden! Es wäre doch unanständig gewesen, wenn ich das ausgeschlagen hätte, oder nicht?“

      Luise seufzte. Ihre hellbraunen Augen waren mit einem roten Rand umgeben. Sie hatte die letzten Nächte weder viel geschlafen, noch Ruhe gefunden. Sie weinte beinahe andauernd und saß apathisch in ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin, die Strickarbeit auf dem Schoß, ohne jedoch daran zu arbeiten. Luise betrachtete ihre Tochter lange. Sollte sie doch gehen! Weshalb sollte sie jetzt auch noch mit ihr streiten, wo sie kaum die Kraft aufbrachte, überhaupt am Morgen aufzustehen? Julie war ein junges Mädchen, das allmählich zu einer Frau heranwuchs und das sich ruhig unter die anderen jungen Leute aus der Siedlung mischen konnte. Weshalb auch nicht? Es gab keinen Grund, es ihr zu verbieten. Sie war Nikolaus‘ Schwester gewesen, nicht seine Mutter und sie trug immerhin eine dezente Farbe, nichts Helles und Auffälliges. Luise schluckte. Ihre einzige Tochter würde heute Abend zum ersten Mal mit einem Mann zum Tanzen gehen. Vielleicht bedeutete das noch nichts, vielleicht war es lediglich eine unschuldige Verliebtheit, aber irgendwann würde Juliane von ihnen fort gehen, um mit einem Mann zu leben, eine eigene Familie zu gründen. Sie konnte nur beten, dass es noch eine Weile dauern und sie ihre einzige Tochter nicht auch noch verlieren würde.

      Aufgeregt drehte das junge Mädchen sich von rechts nach links, um ihre Frisur in dem kleinen Spiegel zu beobachten.

      „Glaubst du“, wollte sie von ihrer Mutter wissen, „dass er mich hübsch finden wird?“

      Luise musste trotz des Schmerzes und der Trauer, die sie nicht eine Sekunde des Tages verließen, kurz lächeln. „Natürlich wird er das! Du bist das bezauberndste Mädchen in der ganzen Siedlung!“

      „Oh, Mutter!“ In Julies Augen war dies eine maßlose Übertreibung; doch sie spürte, wie sie bei den Worten leicht errötete. „Das stimmt doch gar nicht!“

      Luise tätschelte ihre Wangen. „Nun komm! Zieh dir noch dein Cape über. Es ist kalt draußen.“

      Sie beobachtete ihre Tochter bei ihrem hektischen, aufgeregten Tun und Erinnerungen stiegen in ihr hoch. Wie war es damals doch gleich gewesen, als sie mit Friedrich zum Dorffest gegangen war und zur Einweihung des neuen Pfarrhauses? Als er ihr erklärt hatte, dass er dort eines Tages einziehen würde, sobald er sei Studium zu Ende gebracht hatte? Luise erschrak und presste sich die Hände gegen die Wangen. Damals war sie ganze sechzehn gewesen und Friedrich auch nur drei Jahre älter! Beide waren sie voller Träume und Zukunftsvisionen gewesen – und das, obwohl die Ehe längst durch ihre Eltern beschlossen worden war. Sie hätte sich überhaupt keinen anderen mehr suchen dürfen, ohne, dass es zum Skandal gekommen wäre, aber sie hatte Friedrich sofort gern gehabt, von der ersten Sekunde an und deshalb war ihr das ‚Ja‘ nicht schwer gefallen.

      Und jetzt, dachte Luise, jetzt ist meine eigene Tochter schon älter als ich damals. Als ich siebzehn war, hatte ich bereits Hubert auf dem Schoß sitzen und ich trug das nächste Kind unter meinem Herzen.

      Wehmut überkam sie und sie musste sich abwenden. Sie tat, als würde sie den Dutt, der ihr eigenes, rotblondes Haar zusammenhielt, kontrollieren und trat an den Spiegel. Alt war sie geworden, fand sie, alt über den Strapazen, über den Sorgen und dem Leid. Jeden Moment konnte dieser junge Mann auftauchen und Juliane mit sich fortnehmen. Vorerst zwar nur zum Tanz, wer konnte ihr jedoch versprechen, dass es ihr nicht jetzt genauso ergehen würde, wie ihrer eigenen Mutter damals? Luise seufzte. Sie hatte die Sorgen ihrer Mutter nicht verstanden. Das tat sie erst jetzt, da sie ihr eigenes Kind freigeben musste, da das Leben von ihr verlangte, sich dem Schicksal zu beugen – dem Schicksal des Altwerdens und der Gleichgültigkeit, denn es erwartete sie nichts mehr, außer der Hoffnung auf Enkelkinder und darauf, dass Hubert eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Das verhaltene Klopfen an der Haustür ließ Luise zusammenzucken. Nervös kam Julie zu ihr gelaufen und fasste ihre rauen, von der Arbeit mitgenommenen Hände.

      „Oh, bitte, Mutter! Mach’ du ihm auf und lass ihn herein! Bitte!“

      Um Luises schmale Lippen spielte ein verständnisvolles Lächeln. „Schon gut! Ich gehe!“

      Sie schritt hinüber in den Wohnraum, wo Friedrich den jungen Sergeant soeben hereinbat. Er trug – wie immer – seine Uniform und hielt seinen Hut in den Händen, während er zuerst Friedrich, dann Luise höflich und zurückhaltend die Hand reichte.

      „Guten Abend, Mr. Kleinfeld – Mrs. Kleinfeld.“

      „Es freut uns sehr, Sie kennenzulernen!“, versicherte Friedrich und musterte den jungen Mann eindringlich von oben bis unten.

      Luise spürte, wie ihr schwer ums Herz wurde. Es war das erste Mal, dass sie ihn bewusst wahrnahm. Sie hatte zwar längst mitbekommen, dass ein paar Soldaten vom Fort hier untergebracht waren, als Wachposten, doch sie hatte noch keinem von ihnen wirklich ins Gesicht gesehen, denn im Grunde gab sie ihnen die Schuld. Schuld, weil sie das wichtigste, das bedeutendste und das liebste ihrer Kinder verloren hatte, weil der Sonnenschein, für den sie so hart hatte kämpfen müssen, ihr nun doch viel zu früh genommen worden war. Luise biss sich auf die Lippen. Wieder wollten sich Tränen in ihre hellbraunen Augen drängen, doch sie lächelte.

      „Meine Tochter ist jeden Moment soweit!“ Sie trat zur Schlafzimmertür des Mädchens und öffnete sie einen Spalt. „Kommst du?“, fragte sie hinein und stieß die Tür ganz auf. Es schien ihr wie endgültig und nicht mehr rückgängig zu machen, als sie nun beiseite trat und den Weg freigab.

      Strahlend und hinreißend wie nie zuvor, betrat Julie den Wohnraum. Drei Schritte vor Ron McVeagh blieb sie stehen. „Guten Abend, Sergeant!“

      Es dauerte einen Moment, ehe er ihr antworten konnte. Seine hellblauen Augen hingen an ihrer bezaubernden Erscheinung und er musste schlucken. „Guten Abend, Miss Kleinfeld.“

      Und wieder war es da – dieses warme, herzliche Lächeln, das sie so sehr zu faszinieren vermochte. Er bot ihr galant seinen Arm und sie hakte sich bei ihm unter. Die Berührung seines Körpers durch die Jacke hindurch jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Da war plötzlich ein Gefühl, das sie nicht kannte, eine Sehnsucht nach etwas, das sie