Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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gerade kennen.

      Lange blickte Luise den beiden nach, während sie langsam in der Dunkelheit, die nur von einzelnen Lichtern vor Häusern durchbrochen wurde, die Straße hinab schlenderten und leise miteinander redeten.

      „Komm“, sagte Friedrich schließlich sanft und schob sie zurück, um die Türe zu schließen. „Es wird kalt. Ich sollte nochmal Holz nachlegen, damit das Feuer nicht ausgeht über Nacht.“

      „Ja“, erwiderte Luise gedankenverloren. „Tu’ das.“

      Sie setzte sich in ihren Schaukelstuhl neben dem Kamin und griff, ganz selbstverständlich und ohne überhaupt darüber nachzudenken, nach ihrer Strickarbeit. Der Pullover, den sie für Nikolaus hatte stricken wollen, war überflüssig geworden. Jetzt würde Hubert ihn bekommen, er konnte ihn gebrauchen, denn wenn er das Schulhaus jeden Morgen als Erster betrat, war es eisig und bis der Ofen eine anständige Wärme abgab, dauerte es mindestens eine halbe Stunde. Meistens saß er dann dort alleine in der Kälte und kontrollierte die letzten Arbeiten der Schüler oder traf die letzten Vorbereitungen für den Unterricht.

      Luises Hände ruhten auf ihrer Strickarbeit und sie beobachtete mit starrem Blick das knisternde Spiel der Flammen. Der Weg, ihr Weg, hatte weiß Gott ungeahnte Richtungen eingeschlagen.

      „Ein gutaussehender und sympathischer junger Herr, dieser Sergeant“, sagte Friedrich leise in ihre Gedanken hinein.

      „Ja“, flüsterte Luise, denn jedes laute Wort hätte sie in Tränen ausbrechen lassen. „Er passt zu ihr.“

      Friedrich zündete seine Pfeife an und schmunzelte in sich hinein. „Hast du bemerkt, wie sie einander angesehen haben? Ich hoffe, unser Mädchen verbringt einen schönen Abend!“

      „Das wird sie“, erwiderte Luise leise. „Das wird sie ganz bestimmt...sie liebt ihn.“

      Langsam und in seine Überlegungen versunken schlenderte Hugh die Hauptstraße hinab. In wenigen Tagen war Weihnachten. Wie eigenartig. Das erste Weihnachten, das sie hier, in ihrer Stadt verbrachten, dabei kam es ihm viel länger vor, dass sie Deutschland verlassen hatten, wie Jahre und nicht nur einige Monate. St. Louis erschien vor seinem inneren Auge...die Erinnerung daran ließ ihn lächeln. Das Bild einer jungen, hübschen Frau erschien vor seinem geistigen Auge und die Gefühle, die sie in ihm ausgelöst hatte. Er schüttelte den Kopf, kurz und heftig. Nein, daran wollte er sich nicht erinnern. Es kam ihm vor, als läge dies schon zehn Jahre oder noch länger zurück. Alles kam ihm unendlich vor.

      Die Tage waren schrecklich kurz und es herrschte mehr Nacht und Dunkelheit als Tag. Hugh seufzte und wickelte sich den Schal fester um den Hals. Er hasste den Winter mit all seiner Kälte und Trübsinnigkeit. Die Praxis von Doktor Retzner, die nun Julie nach bestem Wissen und Gewissen führte, erschien zu seiner Linken. Licht erhellte die dünnen Vorhänge von innen, die bis zur Hälfte des Fensters hinauf reichten. Hugh stoppte abrupt. Er blickte sich um. Niemand ließ sich bei diesem Wetter auf der Straße blicken, wenn es nicht unbedingt sein musste. Auch jetzt war niemand zu sehen und nach kurzem Zögern und der Frage der Richtigkeit seines Tuns, huschte er an das Fenster. Behutsam schob er sein Gesicht vor die Scheibe und blinzelte hinein. Julie stand vor ihrem Medizinschrank und sortierte irgendwelche Fläschchen und Gefäße ein, vermutlich neue Medikamente. Daneben, am Behandlungstisch, lehnte Sergeant McVeagh und beobachtete sie, während sie sich miteinander unterhielten. Hugh konnte ihre Worte nicht verstehen, das brauchte er auch gar nicht. Es war offensichtlich, jedenfalls für ihn. Da standen zwei Menschen, die einander sehr viel bedeuteten.

      Seufzend richtete er sich auf und ging weiter, in Richtung ihres Blockhauses. Er hatte schon von Anfang an gespürt, dass seine Schwester niemals Hardy Retzner heiraten würde. Selbst, wenn ihm nicht dieses entsetzliche Schicksal widerfahren wäre, sie hätte ihn nicht genommen. Jetzt erst recht nicht mehr, nachdem sie diesen Sergeant getroffen hatte. Hugh musste lächeln. Etwas Eigenartiges, das er nicht beschreiben konnte, ging zwischen Julie und Ron McVeagh vor sich. Immer, wenn er die beiden miteinander sah, wusste er, dass sie zusammengehörten. Es schien ohne jeglichen Zweifel – sie liebten einander.

      Hugh fasste seine Bücher fester und presste sie enger unter seinen Arm. Auch für ihn war es allmählich an der Zeit, die Wahrheit in den Mund zu nehmen. Allerdings wollte er das nicht tun, ehe er den Brief aus New York nicht in seinen Händen hielt – die Antwort auf seine Anfrage. Vorher wollte er seine Eltern nicht vor vollendete Tatsachen stellen und schockieren. Er atmete tief durch. Sie rechneten beide so fest damit, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Pfarrer werden würde, aber das konnte er nicht. Beim besten Willen, er brachte es nicht fertig. Das Predigen von Gutem und Schönem erschien ihm bisweilen so sinnlos! Nein, er wollte etwas lernen, wovon er wusste, dass er tatsächlich helfen konnte – handfest und mit erkennbaren Ergebnissen. Sollte sich für ihn die Möglichkeit auftun, würde er mit dem nächsten Zug, der wenige Meilen unterhalb von Fort Gibson hielt, in Richtung Osten abreisen. Nicht für immer – er würde zurückkehren, eines Tages, um sich hier nützlich zu machen, wo er mehr gebraucht wurde als dort, aber nicht, um Pfarrer zu sein.

      Julie lachte und auf Ron McVeaghs gutaussehendem Gesicht bildete sich ein breites Grinsen. „Du bist eine ganz schön verrückte, junge Lady! So einen Unfug anzustellen!“

      Sie kicherte und hob das nächste Fläschchen aus dem Karton, um es auf der Liste zu vermerken und dann in den Schrank zu stellen – genau, wie sie es von Hardy gelernt hatte.

      „Was sollte ich denn tun? Entweder, ich hätte am Bach übernachtet oder ich bin eben vor dem Hengst hindurchgewatet! Das hat er noch nie getan! Ich glaube, er hat protestiert, weil wir so lange geritten sind!“

      Der Sergeant schmunzelte. „Kaum zu glauben, wie weit sich die Siedler schon überall verteilt haben.“

      „Wenn sich Washington und die Indianer erst einmal geeinigt haben, wird es noch viel schlimmer werden! Dann werden alle nur noch hierher wollen! Neues, freies Land! Es wird von Siedlern und Heimstättern, Gesetzlosen und Herumtreibern nur so wimmeln.“

      „Das befürchte ich auch.“ Nachdenklich legte Ron den Kopf schief. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Fältchen. „Dann wird es genauso zugehen wie in Oregon damals, als der große Run anfing und tausende von Menschen das Land stürmten!“

      „Hmm“, machte Julie und hob die Schultern. „Ich bin froh, dass wir uns nicht an so etwas beteiligt haben.“

      Ron hob die Brauen. „Dafür habt ihr etwas anderes getan.“ Es klang scharf und er verbesserte sich hastig, als er ihr betroffenes Gesicht bemerkte. „Ich meine, es war ja in erster Linie die Schuld von diesem Halunken und nicht eure und...“

      „Nein“, fiel Julie ihm ins Wort. „Es war auch teils unsere. Wir hätten nur auf einen Mann hören sollen, der sich erkundigt hat und der eine Ahnung hatte, aber wir wollten alle nur schnellstmöglich irgendwo ankommen.“

      „Julie...“ Seine langen, schlanken Finger fassten sie an der Taille. Er richtete sich auf. Jetzt, da er direkt vor ihr stand, fiel ihr Größenunterschied umso deutlicher auf. Julie musste ihren Kopf weit in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können. Er lächelte sanft zu ihr herab. Die Wärme und Güte, die dabei von ihm ausgingen, übermannten sie. Er vermochte Gefühle in ihr auszulösen, die sie nicht kontrollieren konnte und die sie noch nie zuvor für einen Menschen empfunden hatte. Würde jetzt ein Cherokee zur Tür hereinkommen – sie würde sich zwischen ihn und den Sergeant stellen.

      „Oh, Ron!“ Hastig schlang sie ihre Arme um seinen muskulösen, sehnigen Körper und presste ihr Gesicht an sein Hemd. Sie fühlte, wie seine Lippen ihr einen Kuss aufs Haar drückten und schlagartig wurde ihr bewusst, wie ungehörig sie sich benahm. Ein Mädchen warf sich doch nicht einem Mann um den Hals! Was sollte er jetzt von ihr denken? Sie fuhr zurück.

      Seine blauen Augen betrachteten sie zärtlich und voller Wärme. Er lächelte. Einen Augenblick schien er zu zögern, dann beugte er sich zu ihr hinab. Seine Lippen drückten sich sacht auf die ihren. Er wartete einen Moment ab, was geschehen würde.

      Julie schloss die Augen. Abgesehen von Hardy war sie noch nie von einem Mann geküsst worden und das hier war völlig anders.