Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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auf den großen Blasen zu verteilen, die den Arm bis über den Ellenbogen zierten. „Da haben Sie nochmal Glück gehabt“, meinte sie mit kritischer Miene.

      „Allerdings“, gab der andere Soldat zu. „Wäre ich nicht rechtzeitig beiseite gesprungen, hätte der Balken nicht bloß meinen Arm getroffen.“

      „Sie dürfen ihn die nächsten Tage mit nichts bedecken oder verbinden“, erklärte Julie ernst. „Auch nicht mit dem Ärmel eines Hemds oder einer Jacke. Es muss Luft ran können.“

      Der junge Soldat starrte sie fassungslos an. „Das wird aber verdammt kalt!“

      „Tut mir leid! Wenn Sie die Brandblasen ersticken, werden sie nicht heilen!“

      „Du solltest auf die junge Dame hören“, schlug Ron McVeagh vor und klopfte seinem Kollegen aufmunternd auf die Schulter. „Auch das geht vorüber!“

      „Ja“, knurrte dieser. „Aber erst, wenn mein Arm abgefroren ist!“

      „Du bist die nächsten Tage ins Warme abkommandiert“, entschied der Sergeant lächelnd. „Dann kann dir nichts passieren!“

      „Das sind natürlich andere Aussichten!“ Er ließ sich von Julie und Ron McVeagh vom Behandlungstisch herabhelfen und schritt zielstrebig zur Tür.

      „Sie schreiben uns eine Rechnung, Miss, ja?“, fragte der Sergeant und nickte ihr zu.

      Unschlüssig hob Julie die Schultern. „Ich...ich weiß nicht! Ich meine, ich war ja immer nur Doktor Retzners Assistentin!“

      „Sieht ganz danach aus, als müssten Sie nun seinen Posten übernehmen!“, erwiderte Ron McVeagh und lächelte noch immer zu ihr hinab. Seine schlanke, durchaus imponierende Gestalt überragte sie um fast zwei Köpfe.

      „Ich werde mein Bestes tun, bis wir wieder einen richtigen Doktor haben“, versicherte Julie und betrachtete ihn lange. Ein eigenartiges Gefühl überkam sie. Es war sehr intensiv und überrollte sie förmlich von ihrer Magengegend aus, ließ sie erröten. Obwohl sie sich schalt, sah sie sich außerstande, ihren Blick von ihm abzuwenden, genauso wie damals, als sie ihn vor Fort Gibson das erste Mal erblickt hatte. Es gehörte sich nicht, wenn eine junge Frau einen fremden Mann anstarrte! Doch auch seine Augen hingen unablässig an ihr und um seine schön geschwungenen Lippen spielte das warme, sanfte Lächeln, das sie vom ersten Augenblick an so sehr beeindruckt hatte. Schließlich tippte er sich mit zwei Fingern an den breitkrempigen Hut.

      „Auf Wiedersehen, Miss!“

      „Auf Wiedersehen, Sergeant!“

      Die beiden Männer verließen die Praxis und zogen die Türe hinter sich ins Schloss. Lange verharrte Julie regungslos am selben Fleck, um ihnen hinterher zu starren. Sie hörte, wie sich die Schritte ihrer schweren Stiefel entfernten. Ron McVeagh, Sergeant Ron McVeagh, hatte er gesagt. Sie atmete tief durch. Was für ein Mann! Sie presste sich die Hände auf die heißen, glühenden Wangen und stellte plötzlich fest, dass sie viel zu stark eingeheizt hatte, aber das machte nichts. Sie würde noch länger in der Praxis bleiben. Der Sergeant hatte Recht – jetzt war sie die einzige, die den Menschen helfen konnte, wenn der Arzt aus dem Fort gerade nicht anwesend war. Sie würde sich auf die Bücher stürzen, die Hardy gehört hatten und alles lesen, was sie über Medizin zwischen die Finger bekam. Sie würde ihn würdig vertreten, bis wieder ein anderer Arzt mit einem Siedlertreck ankommen würde. Das zumindest war sie Hardy schuldig. Er hatte so unendlich viel Zeit in sie investiert und ihr die Chance zur Unabhängigkeit gegeben – ein Geschenk, das sie ihm niemals würde vergessen können, ganz gleich, wie ihr weiteres Leben verlaufen würde. Durch ihn hatte sie sie gekannt – die Freiheit. Vielleicht nur für kurze Zeit, aber sie konnte sie nun auf ganz andere Weise schätzen, denn Julie wusste nun, wie unendlich kostbar Freiheit war.

      Hugh eilte die Straße hinab. Es war kalt und eisig und Schnee fiel wie kleine, harte Körner vom Himmel. Die Schule war für heute zu Ende, er hatte es überstanden. Hugh atmete tief durch und schloss für eine Sekunde die Augen. Wie hasste er diesen Beruf seit dem Überfall! Wie hasste er es, jeden Morgen das Schulhaus betreten zu müssen und auf den leeren Platz in der dritten Reihe starren zu müssen, auf den Platz, wo noch vor wenigen Tagen sein kleiner Bruder gesessen und neugierig und wissbegierig seinen Worten gelauscht hatte.

      Aus dem Fenster der Arztpraxis fiel schwaches Licht auf die Straße und Hugh bremste ab. Er überlegte einen Moment, dann trat er unter den Vorbau. Stimmen drangen durch die Tür zu ihm heraus. Das eine war Julie und das andere – nun, er wusste nicht, wer das hätte sein können. Entschlossen schlugen seine Fingerknöchel gegen das Holz. Er wartete nicht ab, bis jemand antwortete. In der Praxis war es warm und es roch nach Medikamenten.

      „Oh! Guten Tag, Hugh!“, hörte er seine Schwester erstaunt sagen und er schob sich ins Innere. Seine braunen Augen erfassten die Situation sofort und er runzelte die Stirn. Julie lehnte am Schreibtisch und neben ihr stand der Sergeant, der seit drei Tagen in der Siedlung stationiert war und zusammen mit ein paar anderen Soldaten aufpassen sollte, dass die Indianer nicht noch einmal zuschlugen. Als er Hugh bemerkte, nickte er ihm kurz und grüßend zu, ehe er sich von Julie verabschiedete und die Praxis verließ. Lächelnd wandte Julie ihre Aufmerksamkeit ihrem großen Bruder zu.

      „Heute schon fertig mit dem Unterricht?“

      „Hmm“, machte Hugh und deutete hinter sich. „Was wollte er?“

      „Ach!“ Julie zuckte die Schultern und lächelte. „Nichts Besonderes, nur ‚Guten Tag‘ sagen.“

      „So, so!“, erwiderte ihr Bruder gedankenverloren und seufzte. „Bist du dir sicher?“

      „Hubert Kleinfeld!“, fuhr Julie ihn entrüstet und verärgert zugleich an. „Ich sage immer die Wahrheit! Er hat sich nur mit mir unterhalten...und mich für Samstagabend zum Tanz eingeladen!“

      „Zum Tanz?“, wiederholte Hugh verwundert. „Die Soldaten gehen so schnell über zur Normalität? Und du schließt dich ihnen an, nach allem, was geschehen ist?“

      „Ja, das tun sie!“ Julie blinzelte ein wenig beschämt. „Und ich möchte diesen Tanz unter keinen Umständen verpassen!“

      Hugh seufzte. „Ich verstehe.“

      „Was gibt es da zu verstehen?“

      „Dass du dich unmöglich benimmst!“ Er schüttelte den Kopf und legte sich die Hand vor die Augen. „Entschuldige. Ich wollte dir keine Vorwürfe machen.“

      „Ist schon in Ordnung.“ Julie trat zu ihm, legte ihr kleinen Hände auf seine Schultern. „Wir...wir sind wohl alle sehr mitgenommen.“

      „Mitgenommen...“ Hugh stieß einen tiefen Seufzer aus. „Das kannst du laut sagen.“

      „Was hast du denn nur?“, wollte Julie besorgt wissen. „Bist du krank?“

      Sie wollte ihre Hand auf seine Stirn legen, doch er stieß sie fort. „Ach, lass das! Mir geht’s prächtig!“

      „Na, ich weiß nicht...“ Abschätzend betrachtete Julie ihn mit schiefgelegtem Kopf.

      „Wie...ich meine, wie läuft es denn, ohne Hardy?“

      Seine kleine Schwester senkte den Kopf und biss sich auf die Lippen. „Offen gestanden bin ich der Ansicht, dass ich hier eigentlich nichts verloren habe. Ich bin kein Doktor! Ich kann den Leuten doch gar nicht wirklich helfen!“ Verzweifelt krampften sich ihre Hände ineinander. „Aber sie haben alle so viel Vertrauen in mich! Ich...ich kann sie doch nicht einfach wieder fortschicken oder sollte ich?“

      „Nein“, bestätigte Hugh und zog sie an sich. „Nein, das kannst du nicht, jedenfalls nicht, solange kein anderer Arzt hier angekommen ist.“

      Es war für sie alle schwer. Julie war jetzt siebzehn, kein Mädchen mehr und doch auch noch keine richtige Frau. Und er? Ihm ging es nicht viel besser. Er übte einen Beruf aus, den er nie gelernt hatte und der ihn überforderte. Er merkte, dass der Punkt gekommen war, da er den größeren Kindern nichts mehr beibringen konnte und es war an der Zeit, dass er sich eingestand,