Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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fortzufahren. „Ich glaube, die Zeit ist jetzt gekommen, da ich bei Ihrem Vater um Ihre Hand anhalte, Julie-Mädchen...natürlich nur, wenn Sie das auch möchten!“ Er lächelte und wartete auf eine Erwiderung ihrerseits. Als diese nicht kam, holte er tief Luft und stieß feierlich hervor: „Juliane Kleinfeld, möchten Sie meine Frau werden?“

      Endlich brachte Julie es fertig, den Mund aufzumachen. Sie konnte einfach nicht glauben, was hier vor soeben passierte! Er wollte sie heiraten!

      „Frau?“, erwiderte sie gedehnt.

      „Ja, natürlich!“ Enthusiastisch schlang Hardy seine Arme um ihre Taille und zog sie fest an sich. „Spürst du das denn nicht? Merkst du denn dieses gewisse Gefühl nicht, wenn ich dich berühre, so wie jetzt?“

      Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie stürmisch. Seine feuchten Lippen pressten sich auf die ihren. Mit aller Kraft wollte Julie sich von ihm freimachen. Sie wollte ihn nicht küssen und sie wollte auch nicht seine Frau werden! Doch die Leidenschaft, die Hardy überkommen hatte, schien ihn alles vergessen zu lassen. Er küsste und küsste sie, während seine Hände ihre Taille beinahe schmerzhaft umklammerten. Endlich ließ er atemlos von ihr ab.

      „Sag“, raunte er heiser und keuchend. „Spürst du das nicht?“

      Julie zögerte einen Moment. Sie wollte ihn nicht anlügen, sie war immer ehrlich zu ihm gewesen und so schüttelte sie langsam den Kopf. „Nein, ich fühle überhaupt nichts.“

      Sie machte sich von ihm frei. Ihr entging die Veränderung auf seinem Gesicht nicht und es tat ihr entsetzlich leid, dass sie ihn irgendwie enttäuscht haben musste, aber es war besser, als ihn zu belügen und falsche Hoffnungen in ihm zu wecken. Niemals würde sie seine Frau werden und wenn er der letzte Mann auf Erden wäre. Sie mochte ihn sehr, er war ihr ein guter und teurer Freund geworden, aber doch kein Mann, den sie heiraten, mit dem sie Kinder haben wollte!

      „Bitte...“, begann sie, doch Doktor Retzners Hand, die er hastig nach oben riss, ließ sie abbrechen.

      „Sei ruhig, Julie!“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Sei ruhig, ja? Das, was ich gehört habe, genügt.“

      Mit klopfendem, schmerzendem Herzen senkte Julie den Kopf. Sie hatte ihn nicht verletzten wollen! Sie hatte ihn doch gern! Allerdings nicht auf die Art, wie er es sich gewünscht hätte. Dafür konnte sie aber doch nichts! Mit scheuem Blick beobachtete sie, wie er an seinen Schreibtisch trat, sich dahinter setzte und nach einem Heft griff. Sie wollte ihn nicht als Freund verlieren und spürte doch, dass genau dies jetzt geschehen war.

      Vielleicht, dachte sie, ist eine Lüge manchmal doch besser, als die Wahrheit.

      Ächzend streckte Hugh die Beine unter dem Tisch aus und schob den Weltaltlas beiseite.

      „Fertig?“, fragte Friedrich, kaum von der Wochenzeitung aufsehend, die aus der Town of Kansas stammte und schon fast einen Monat alt war.

      „Ja“, antwortete sein ältester Sohn und begann, die Schulunterlagen zusammenzupacken. „Jetzt kann ich ihnen morgen wieder etwas Neues erzählen!“

      „Dieser Sturm!“, entfuhr es Friedrich und er horchte nach draußen. „Morgen kommen wir nicht mehr von hier raus, wenn es weiterhin so tut!“

      „Sitzen wir dann im Schnee fest?“, fragte Luise mit ängstlichen Augen.

      „Und wenn schon, wir müssen ja nirgendwohin“, erwiderte ihr Mann und lächelte.

      „Ich glaube nicht, dass es hier so viel Schnee gibt“, warf Hugh ein und erhob sich. „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht!“, erklang es gleichzeitig aus den Mündern seiner Eltern. Hugh betrat das winzige Schlafzimmer, das er sich mit seinem kleinen Bruder teilte und schloss die Türe leise hinter sich. Es war finster und kalt. Hugh suchte nach Streichhölzern in seiner Hosentasche, damit er die Lampe neben der Tür anzünden konnte. Verblüfft hielt er inne: Nikolaus stand am Fenster und versuchte, nach draußen zu schauen.

      „Was treibst du denn da? Ich denke, du schläfst schon lange!“

      „Ich will die Schneeflocken beobachten“, erläuterte der Junge. „Es schneit doch, nicht wahr?“

      Hugh musste grinsen. „Es ist viel zu dunkel, als dass du irgendetwas erkennen könntest und außerdem solltest du längst schlafen!“

      Nikolaus seufzte betrübt. „So ein Mist! Warum muss es auch ausgerechnet immer in der Nacht schneien? Liest du mir wenigstens noch eine Geschichte vor?“

      Hugh nickte. „Klar, aber erst, wenn du brav im Bett liegst!“

      Nikolaus reagierte nicht. Angestrengt horchte er in die Nacht hinein.

      „Was ist?“, wollte Hugh ungeduldig wissen. „Los, los! Steh hier nicht herum! Wir gehen heut nicht mehr raus, vergiss es! Und du wirst höchstens noch krank, wenn du noch länger hier Löcher in die Luft starrst“

      „Hörst du das denn nicht?“, wisperte sein kleiner Bruder mit weit aufgerissenen Augen. „Und spürst du das nicht, dieses Trommeln?“

      Verständnislos starrte Hugh ihn an. „Nein“, gab er zu. „Ich höre nichts und ich spüre auch nichts.“

      „Pferde!“, stieß Nikolaus hervor und fuhr zu ihm herum. „Schnell galoppierende Pferde! Sie müssen ganz in der Nähe sein!“

      Besorgt trat Hugh zu ihm und legte ihm die Hand auf die Stirn. „Hast du Fieber? Bist du krank? Was fantasierst du denn da? Wieso sollten mitten in der Nacht irgendwelche Pferde herumgaloppieren?“

      Die Scheibe ihres einzigen Fensters zersplitterte laut und berstend und nun hörte es auch Hugh: Das Trommeln von unbeschlagenen Hufen auf dem gefrorenen Boden, begleitet von wüstem, markerschütterndem Kriegsgeschrei.

      Schweigend arbeiteten Julie und Hardy nebeneinander her. Als sie die Kiste schließlich geleert und alle Medikamente in den dafür vorgesehenen Schrank einsortiert hatte, war es bereits finsterste Nacht.

      „Es...es wird Zeit, dass ich nach Hause gehe“, brachte Julie zaghaft hervor und starrte auf ihre Hände. „Meine Eltern machen sich sonst noch Sorgen.“

      „Natürlich!“, erwiderte Doktor Retzner geschäftig und trat an die Garderobe, um ihr in den Mantel zu helfen. „Wir sehen uns morgen?“

      Ein wenig erstaunt über diese Frage hob Julie den Kopf. Sie nickte. „Natürlich!“

      Ein melancholisches Lächeln bildetet sich um Hardys schmale Lippen. „Natürlich. Soll ich Sie nicht doch nach Hause begleiten, Julie-Mädchen?“

      „Nein“, versicherte sie. „Wirklich nicht! Die paar Meter schaffe ich schon alleine und so hoch wird der Schnee wohl kaum liegen!“

      Das Splittern von Glas erklang irgendwo von draußen und laute, gellende Schreie mischten sich beinahe gleichzeitg darunter. Alarmiert wechselten Julie und Hardy einen Blick. Gleich darauf fielen Schüsse.

      „Was ist denn da los?“ Er schob den Vorhang hinter dem einzigen Fenster zur Straße beiseite und fuhr entsetzt zurück. „Die Cherokees! Ganz viele! Mindestens zwanzig, dreißig an der Zahl! Nein, noch mehr!“

      Julie schnappte nach Luft. „Um Gottes Willen! Ich muss sofort nach Hause!“

      „Sie müssen überhaupt nichts!“ Unsanft packte Doktor Retzner sie an den Armen und drückte sie gegen die Wand neben dem Medikamentenschrank. „Sie bleiben hier, verdammt nochmal und wenn ich Sie festbinden muss! Ich schaue raus und sehe, ob ich irgendwie helfen kann! Aber ich warne Sie, wenn Sie es wagen, Ihre Nase nach draußen zu strecken, lege ich Sie über’s Knie!“

      In dem Hinterzimmer, das er bewohnte, lag immer ein geladenes Gewehr bereit, nach dem er jetzt rannte und das er fest in seiner rechten Hand hielt, als er zur Eingangstür eilte.

      „Bleiben Sie hier!“, schärfte er Julie noch einmal ein. „Ich bin bald zurück!“

      Ihre großen, bernsteinfarbenen Augen spiegelten ihre Angst