KISHOU II. Michael Kornas-Danisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kornas-Danisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754146002
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      Die Jagd beginnt

      Rahon ließ halten. Nach dem Besteigen des nächsten Hügels würden sie in der Ferne Zargo sehen können, und das galt es auf jeden Fall zu vermeiden. Nicht wegen der Langen Schatten – die kannten wie er selbst jedem Ort in diesem Drom, in dem eine Oase zu finden war. Es war wegen der Korks. Er wollte sie nicht unnötig auf Zargo aufmerksam machen, wenngleich die Korks keinerlei Plan hatten, und sicherlich nicht in der Lage wären, sich den Ort zu merken. Sie konnten ja nicht einmal auf die Idee kommen, sich an einen Ort zu erinnern – Korks konnten auf überhaupt keine Ideen kommen. Es waren ,Besondere Apparate’ – und sehr einfache dazu. Dennoch wollte Rahon es auf jeden Fall vermeiden, dass sie Zargo zu Nahe kamen. Es war nur so ein Gefühl, und das reichte aus, ihn vorsichtig sein zu lassen.

      Die Korks behielten ihre Distanz zu den Afetiten, die Rahon ihnen aufgetragen hatte, und stoppten entsprechend, als das Heer der Stämme zur Ruhe kam. Er lief im Laufschritt nach Hinten, an seinem Gefolge vorbei, zu den Langen Schatten, um Linsilf aufzusuchen. Dies war, wie er inzwischen wusste, der Name des Anführers der Langen Schatten. Er war identisch mit dem, der ihm bereits von ihrem ersten Zusammentreffen her bekannt war, und der offenbar die Führung auch der anderen seiner Stämme übernommen hatte.

      Rahons ausgestreckter Arm wies auf zwei kleine Hügel zur Rechten, nicht weit von ihrem Standort. „Sein Pfad war zwischen diesen beiden Hügeln entschieden – dies haben wir bereits vom Allsein getrennt, bevor wir zur verbotenen Stätte aufbrachen, um deine Stämme zu treffen. Bemesst dort den weiteren Verlauf seiner Fährte!“

      „Fürchtest du, dass wir deinem Revier zu nahe kommen?“, spöttelte Linsilf, der wohl bemerkte, dass Rahon es vermied, bis vor die Tore Zargos zu marschieren – und er lachte in die Reihen seiner Gefolgsleute hinein.

      Rahon wendete sich ruhig zu ihm. „Nein, ich fürchte um euch!“, konterte er. „Die noch sehr jungen Grabenmacher, die in Zargo zurückbleiben mussten, und voller Sehnsucht der Zeit harren, da sie gegen euch kämpfen dürfen, könnten bei dem Anblick deiner Leute ihren Gehorsam verlieren und deine Stämme dem Allsein zuführen. Doch Suäl Graal braucht euch noch!“

      Die Beleidigung saß. Linsilf riss sein Schwert aus dem Gürtel und setzte dessen Spitze an die Kehle Rahons. „Wie alles eine Zeit hat, im Zweiten Drom, so ist auch in diesem Pakt eine Zeit bemessen – sei dessen Gewiss! Und wenn sein Maß erfüllt ist, und die darauf folgende Zeit das Allsein verdrängt, dann wird mein Eisen erneut diesen Ort deines Reviers bemessen, doch wird es dann nicht mehr dort verharren!“, zischte Linsilf. Seine Hand zitterte, und es war ihm anzusehen, wie sehr er sich beherrschen musste, nicht schon jetzt seinen Wunsch in die Tat umzusetzen.

      Rahon tat unbeeindruckt. „Du bist unbeherrscht, Linsilf!“, sagte er mit übertriebener Ruhe, und schaute ihm mit fast schon sanften Blick direkt in die Augen. „Ein Afetit ist nicht unbeherrscht. Suäl Graal könnte meinen, in dir keinen Afetiten vom Allsein zu verdrängen. Wieviel Zeit wäre in dir dann wohl noch bemessen, um deine kleinen Begehrlichkeiten zu erfüllen? Geh' jetzt, und bemiss deine Sache gut!“ Ohne dem zitternden Schwert an seiner Kehle eines Blickes zu würdigen, wendete sich Rahon ab, und ging ruhig zu seinen Mannen zurück. Linsilf schäumte innerlich, aber er war eben doch ein Afetit, und die Beherrschung behielt letztlich die Oberhand.

      ~

      Vermeintlicher Verrat

      Die Stämme der Langen Schatten und ihre Fährtensucher übernahmen nun die Führung des Heeres. Rahon hielt mit seinen Stämmen einen guten Abstand zu ihnen, denn von nun an war nicht vorhersehbar, wann sie auf Tek, und damit auf Kishou und ihr Gefolge treffen würden. Die Korks folgten krächzend und gehorsam im geforderten Abstand.

      Tek hatte sich nicht bemüht, seine Spuren zu verwischen, oder sonst irgendwie Vorsicht walten zu lassen auf seiner Flucht. Er hatte wohl zu keiner Zeit damit gerechnet, dass man ihm folgen würde, und so war es für die erfahrenen Fährtensucher der Langen Schatten keine besondere Aufgabe, seinen Weg zu finden. Afetiten brauchten ebensowenig wie das Volk der Ky im ersten Drom den Schlaf, oder regelmäßige Ruhepausen. So waren sie an diesem Morgen, als sie das Umland Zargos erreichten, bereits auf der Fährte Teks, und kamen schnell voran.

      Ab und an lief Rahon an die Spitze des Heeres zu den Langen Schatten, um sich von dem Erfolg der Fährtensuche zu vergewissern – und um möglichst den Zeitpunkt nicht zu verpassen, wenn sie auf ihr Ziel stoßen würden. Er brauchte auf jeden Fall einen Spielraum, um reagieren zu können, wenn sie Kishou vernichtet hatten, und der Pakt damit aufgehoben sein würde.

      Er ließ seinen Blick über den Horizont wandern. Immerhin gab es nun eine Erklärung für den Verrat Teks. Er hatte sich offenbar ohne die Kenntnis der Grabenmacher mit diesem Wesen, dass Suäl Graal mit Kishou bezeichnete, verbündet, um mit ihr das Volk der Afetiten dem Allsein zuzuführen. Er dachte nach, woher wohl Tek Kenntnis von diesem Wesen bekommen haben könnte. Nicht einmal seine engsten Vertrauten hatten offenbar etwas von seinem Erscheinen bemerkt. Wie hatte er unbemerkt Kontakt aufnehmen können? – Woher wusste er von von diesem Wesen? Niemand hatte jemals den Namen vernommen, noch überhaupt von etwas Fremden gehört, das in die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms eingedrungen war.

      Das Untere Squatsch! – schoss es ihm endlich durch den Kopf ... Das Untere Squatsch war zuweilen in Zargo. Seit dem letzten Mal waren schon unzählige Zeiten vergangen. Aber Tek hatte schon eine Zeit – und er war bereits ein Dompteur. Ein Dompteur ist ein Dompteur bereits dann, wenn er sich vom Allsein trennt – ging es ihm durch den Kopf. Niemand kann mehr genau sagen, welche Fähigkeiten ein Dompteur außer den allgemein bekannten hat. Der Verrat musste von sehr langer Hand vorbereitet gewesen sein – und es hatte niemand jemals etwas bemerkt ... Er schüttelte mit dem Kopf bei dieser Feststellung. Niemand hat es über die ganze Zeit bemerkt. Auch dem Unteren Squatsch hatte man niemals etwas angesehen – dieses kleine, dickliche Wesen, das immer schimpfte und immer darauf bestand, er sei der Herr dieses Droms ...

      Rahon schüttelte zum wiederholten Male sein Haupt. Er schien immer so harmlos. Niemand nahm ihn ernst, und man lachte gern über ihn. Seine Stirn zog sich in Falten. Tatsächlich weisen die Legenden das Untere Squatsch als den Herrscher über die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms aus – aber es sind eben doch nur Legenden, fiel im sogleich ein. Die Erscheinung und die tatsächliche Machtlosigkeit des kleinen schwitzenden Männleins gaben nun vielleicht eine andere Auskunft über ihn, als eine, die ihn als Herrscher auswies. ... Oder sollte man ihn unterschätzt haben, und er versucht sich nun zu rächen ...

      Aber hoch über allen Fragwürdigkeiten stand das Rätsel: Was mochte es für ein Wesen sein, das eine allmächtige Suäl Graal veranlasste ein ganzes Heer gegen sie aufzustellen. Wer oder was war Kishou?

      ~*~

      Fragen

      „Au ...!“ Kishou war mit dem Fuß gegen die fast versteinerte Wulst einer alten Wurzel gestoßen, die unter einem Teppich, hohen, trockenen Grases aus dem Boden ragte. Auf einem Bein hüpfend massierte sie ihre schmerzenden Zehen.

      „Nichts passiert! Nichts passiert!“, winkte das Untere Squatsch gestikulierend ab, während er eilig zu Kishou aufschloss. „Nur eine kleine Revierverletzung in der Vollkommenheit eurer Verdrängung. Nichts passiert! – Aber wenn ihr so entscheidet werde ich ...!“

      „Danke, ist schon gut!“, wehrte Kishou ab, als das Untere Squatsch sich an ihrem Bein zu schaffen machen wollte. Mit dem Versuch eines Lächelns stellte sie den Fuß wieder auf den Boden. „Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt!“ Es war tatsächlich nicht weiter schlimm, und nach einigen etwas gehumpelten Schritten war die Sache schon wieder vergessen.

      Durch die ausgedehnte, zundertrockene Graslandschaft, war das Fortkommen etwas mühselig. Immer musste man seine Beine über die dicken und festen Grasnaben heben. Das Untere Squatsch, dass nun wieder einige Schritte hinter Kishou lief, nahm die Gelegenheit des Vorfalls zum willkommenen Anlass, guten Gewissens und in ,angemessenen Verdrängungen vom Allsein’, über die beschwerlichen Umstände des Marsches die ganze Zeit über leise vor sich her zu schimpfen.