Laniki starrte ins Leere und Tränen rollten über ihre Wangen. „Aber das ist ja furchtbar! Wir müssen ihn da wegholen. Sie töten sein Herz!“
Bahan trat hinter sie und strich ihr übers Haar. „Das wird nicht möglich sein. Er will es so. Er ist jetzt ein Mann und trifft seine eigenen Entscheidungen.“
Lanikis Miene gab zu erkennen, dass sie ganz anderer Meinung war. Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf.
„Erzähl uns doch erst einmal, wie es dir so ergangen ist“, bat Uma jetzt schnell, um das Thema vorerst zu beenden.
Laniki kam ihrer Bitte zögerlich nach und erzählte in groben Zügen das, was Tana ihr zu erzählen erlaubt hatte. Niemand sollte das ganze Ausmaß von ihren Kräften kennen.
Nach zwei Stunden voller gegenseitiger Fragen und Antworten, begannen Lanikis Augen schwer zu werden.
„Bei den Göttern! Du musst ja völlig müde sein von der langen Reise und wir lassen dir keine Zeit, dich auszuruhen. Leg dich jetzt schlafen! Wir können morgen weitersprechen.“ Mit diesen Worten schob Uma sie zum Bett und das Mädchen ließ es sich gern gefallen. Ihre letzten Gedanken bevor sie einschlief, kreisten um Luka und wie sie ihn wieder auf den rechten Weg bringen sollte. Sie konnte ihn doch unmöglich in den Fängen dieser Kriegstreiber lassen. Sollte er sich so verändert haben? Laniki beschloss, sich am nächsten Tag weiter darüber Sorgen zu machen. Jetzt konnte sie es ja doch nicht ändern.
In dieser Nacht hatte sie wieder diesen Traum. Heftiger als je zuvor durchfuhr sie die Angst und sie schreckte hoch. Es war inzwischen hell und ihre Mutter stand am Feuer und bereitete den Haferbrei fürs Frühstück zu. Laniki atmete den Duft ihrer Kindheit ein und fühlte sich sofort besser
„Guten Morgen, Liebes! Hast du gut geschlafen?“
Laniki sammelte sich kurz und erhob sich dann mit einem herzhaften Gähnen. „Danke! Und ihr?“ Freundlich lächelnd ging sie auf ihre Mutter zu und ließ sich in deren schützende Arme schließen.
„Oh, so gut wie lange nicht mehr“, antwortete Bahan, der kurz zuvor zur Tür hereingekommen war. Gemeinsam nahmen sie das Frühstück ein und alle hatten das Gefühl, dass noch nie ein Haferbrei so gut geschmeckt hatte.
Am folgenden Abend wurde im Dorf Lanikis Rückkehr gefeiert. Man schlachtete ein Schwein und traf sich am Feuer. Sie hatte Mühe, die ganzen Fragen zu beantworten und fühlte sich schlecht dabei, die alten Freunde zu belügen. Denn jede ihrer Aussagen war frei erfunden, genau wie die Anstellung als Magd in der Ferne. Alle gaben ihrer Verwunderung Ausdruck, dass ein so schönes Mädchen in der langen Zeit noch keinen Mann gefunden hatte. Laniki schaffte es aber schnell, das Gespräch auf andere Dinge zu lenken, indem sie ihr Leben in der Ferne sehr eintönig und uninteressant schilderte. Bald erzählten alle bunt durcheinander und sie konnte sich entspannen. Interessiert ließ sie den Blick durch die Runde gleiten. Ihre Freunde aus der Kindheit waren inzwischen ebenfalls erwachsen geworden. Einige hatten schon Familien gegründet. Doch viele der Jungen von einst fehlten. Sie hatten den gleichen Weg gewählt wie Luka. Bei dem Gedanken an den Bruder zog sich Lanikis Herz erneut schmerzlich zusammen. Nach ein paar Tagen hatte sich die größte Aufregung gelegt und der normale Alltag kehrte ein.
Das Zeichen
Einige Monate geschah nichts Außergewöhnliches um das Mädchen herum. Sie half ihren Eltern bei der anfallenden Arbeit und gewöhnte sich wieder ein. Es tat gut, den alltäglichen Aufgaben nachzukommen und sich wie ein normaler Mensch zu fühlen. Den ganzen Winter über hatte Bahan alle Hände voll zu tun, um eine große Waffenbestellung des Königs anzufertigen. Es wurde gemunkelt, dass es in wenigen Monaten einen großen Angriff auf Tosman geben sollte. Im Frühjahr bepackte der Vater das Fuhrwerk, um die Bestellung auszuliefern. Laniki ging ihm dabei zur Hand. Mit jedem Schwert, das sie auf den Wagen lud, hatte sie das Gefühl, selbst zu Sauls Gehilfin zu werden. Doch sie wusste, dass ihre Eltern davon lebten und dass Bahan nur so einer Teilnahme an den Feldzügen entging. Wenn er die Waffen nicht schmiedete, würde es ein anderer tun. Es war eben, wie es war und sie hatte nicht das Recht, ein Urteil zu fällen.
Plötzlich begann das Medaillon an ihrer Brust heiß zu werden und Laniki zog es schnell heraus. Sie konnte nichts Auffälliges erkennen, außer der Hitze, die es ausstrahlte.
War dies das erwartete Zeichen? Begann jetzt ihre Reise? Nun, da sie darüber nachdachte, wurde das Schmuckstück in ihrer Hand wieder angenehm kühl. Sie traf eine Entscheidung.
„Ich werde dich begleiten, Vater!“, sagte sie entschlossen und packte ihr Bündel zusammen.
„Nein, tu das nicht!“, rief Uma hinter ihr. „Dein Vater muss durch unsichere Gegenden. Die Leute sind verbittert und voller Hass. Sie denken nur an sich und wenden schnell Gewalt an.“
Laniki ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken.
„Deine Mutter hat recht, Kindchen! Du glaubst nicht, was für Elend ich auf diesen Reisen schon gesehen habe“, sagte Bahan streng. Damit wähnte er die Sache für erledigt und schaute später überrascht drein, als Laniki ihr Bündel dennoch auf den Wagen legte.
„Wir haben dir doch gesagt ...!“
„Ich muss gehen. Ihr wisst, dass ich die letzten Jahre nicht fort war, um mich dann hier zu verstecken. Ich fühle - ich weiß, dass heute der Tag ist, an dem meine Aufgabe beginnt.“ Sie sagte das mit einer solchen Überzeugungskraft, dass weder Uma noch Bahan an ihr zweifeln mochten. Bald schon gaben sie ihren Widerstand auf.
„Aber du bist doch gerade erst zurückgekehrt“, seufzte die Mutter beim Abschied.
Laniki antwortete ihr mit einer innigen Umarmung.
„Pass auf dich auf, mein Kind!“, flüsterte Uma.
„Das werde ich! Und vergiss nicht, Era beschützt mich! Ich bin nicht allein.“
Mit diesen Worten stieg sie zu ihrem Vater auf das Fuhrwerk und sie rollten vom Hof.
Nach zwei Tagen näherten sie sich der Festung von König Saul. Viele Menschen lebten im Umkreis des gigantischen Gemäuers. Als sie eine größere Ansiedlung durchquerten, begegnete ihnen ein Trupp Gefangener, die von Soldaten getrieben wurden. Sofort fielen Laniki die Bilder von einst wieder ein, als sie im Wald auf Luka und seine Mutter getroffen waren. Der Vater hielt an, um die Geschundenen vorbeizulassen. Die Menschen an den Straßenrändern riefen den abgemagerten kranken Gestalten wüste Beschimpfungen zu und feuerten die Bewacher an, wenn sie sie mit ihren Peitschen zur Eile trieben. Kein Funken Mitgefühl war in ihren Gesichtern zu erkennen.
„Eine Schande ist das!“, flüsterte Bahan ihr zu. Laniki versuchte sich zurückzuhalten, denn sie hatte noch immer Tanas mahnende Worte im Ohr. Doch als ein alter Mann zu Boden ging und um Wasser flehte, war sie nicht mehr aufzuhalten. Sie griff nach ihrem Wasserschlauch und sprang vom Wagen.
„Niki, nein!“, rief ihr entsetzter Vater, doch sie achtete nicht darauf. Als sie neben dem Mann niederkniete und ihm das ersehnte Nass an die Lippen hielt, wurde sie derb zur Seite gestoßen.
„Was