Die Legende von Assan. Carola Schierz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Schierz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004953
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antwortete nur mit einem schwachen Nicken, das von einem tiefen Schluchzen begleitet wurde. „Aber sie ist doch fast noch ein Kind!“

      „Sie ist fünfzehn! Man muss und wird sie auf ihre Aufgabe vorbereiten. Und dies hier ist wohl eine der größten Herausforderungen, denen sich ein Mensch je stellen musste.“

      Den Rest der Nacht lagen sie wach und überlegten, wie sie es Laniki am besten beibringen sollten.

      Sie entschieden sich für den direkten Weg.

      Eines Abends bat Uma das Mädchen, mit ihr gemeinsam Eras Altar aufzusuchen, um dieser ein paar Blumen zu bringen. Als sie vor dem Stein knieten, begann sie mit ihrer Geschichte. Sie wiederholte für Laniki zunächst die bruchstückhafte Überlieferung der Prophezeiung. Dann erzählte sie ihr von dem lange unerfüllten Kinderwunsch und der Nacht, als ihr Era das erste Mal erschienen war. Langsam und voller Ehrfurcht begriff das Mädchen das wahre Ausmaß von dem, was ihre Mutter ihr zu sagen versuchte.

      Als Uma alles offenbart hatte, was sie wusste, blieben sie schweigend nebeneinander hocken.

      „Ich soll das Kind aus der Prophezeiung sein? Aber das ist doch nicht möglich?“, unterbrach Laniki nach einer Weile die Stille.

      Die Mutter griff nach ihrer Hand. „Doch, das ist es! Und wenn du darüber nachdenkst, erkennst du auch die Zeichen dafür. Ist dir nie aufgefallen, dass du es oft geschafft hast Schmerzen zu lindern oder Streit zu schlichten, ohne dass du etwas Besonderes dafür getan hast? Und Luka? Du hast - wie auch immer - seiner Mutter damals die Gewissheit gegeben, dass es ihm bei uns gut gehen würde. Ich bin mir sicher, dass die Göttin auch dabei ihre Hand im Spiel hatte.“

      Laniki erinnerte sich zurück. Nie hatte sie dieses verzweifelte Gefühl vergessen, das sie befiel, als sie der Fremden damals in die Augen sah. Mit ihren vier Jahren konnte sie es noch nicht deuten. Jetzt war sie fünfzehn, fast schon eine Frau, und wusste, dass sie in diesem Moment das Leid einer Mutter gefühlt hatte. Nein! Es war das Leid dieser Mutter, dieser fremden, gefangenen Frau, welches sie gespürt hatte. Es war eine Art Magie gewesen, die sie beide in diesem Moment verband. Sie hatten einander in die Herzen gesehen. Ein Vorzeichen Eras? Ihre Gedanken kreisten in der Vergangenheit und Laniki stieß auf immer mehr merkwürdige Ereignisse, die sie erlebt, aber Dank ihrer kindlichen Naivität nie überdacht hatte. Sie bekam furchtbare Angst, als ihr die Größe und das Gewicht des ihr auferlegten Schicksals bewusst wurde. Doch dann legte sich die Angst wieder und eine angenehme Wärme in ihrem Inneren verschaffte ihr die Erkenntnis, dass sie nicht allein war. Sie hörte tief in sich hinein und nahm die Gegenwart von etwas wahr, das sie nicht beschreiben konnte.

      „Era ist hier! Ich kann ihre Nähe spüren“, flüsterte sie ihrer Mutter zu. Sie gab sich noch eine Weile diesem seltsam angenehmen Gefühl hin und sammelte Kraft daraus.

      Entschlossen stand das Mädchen auf. „Ich werde es versuchen, Mutter. Es hat keinen Zweck sich dagegen zu wehren, da es mir sowieso vorbestimmt ist.“ Sie hielt Uma die Hände entgegen und half ihr beim Aufstehen.

      Langsam gingen sie zum Dorf zurück. Laniki musste an Luka denken. Er war auf sie geprägt und suchte noch immer ihre Nähe, wann immer es ging. Er war inzwischen zwölf und würde in nicht allzu langer Zeit seinen dreizehnten Geburtstag feiern. Laniki war nicht viel älter als er, aber er sah zu ihr auf. Sie hatte immer versucht, ihn von den Gesprächen der anderen Jungen fernzuhalten, die schon früh begannen, ihren Hass gegen Tosman zu entwickeln. Sie drangen früher oder später alle darauf, in Sauls Heer einzutreten und so viele Gegner zu töten, wie ihnen nur möglich war. Es fiel ihr immer schwerer Luka davon zu überzeugen, dass es sich bei den gegnerischen Kriegern auch nur um Menschen handelte, wie sie es selbst waren. Immer öfter kamen auch über seine Lippen die üblichen Hasstiraden gegen die Bewohner Tosmans. Er konnte ja nicht ahnen, dass er selbst einer von ihnen war. Sie hatten es auch ihm gegenüber bei der Geschichte mit Bahans toter Base belassen. Nun redete er ständig davon, es seinem gefallenen Vater gleichzutun und später ebenfalls ins königliche Heer einzutreten, um dessen Tod zu rächen.

      Was würde nur aus ihm werden, wenn sie ihn alleinließ.

      Besorgt schaute sie ihre Mutter an. „Luka! Er wird leiden, wenn ich gehe. Können wir es ihm erklären? Er braucht mich doch. Er wird denken, dass ich ihn im Stich lasse.“

      „Wir können ihm nicht die Wahrheit sagen. Noch nicht. Aber er wird es überstehen, denn wir sind für ihn da.“

      Laniki hatte ihre Zweifel, doch sie musste Vertrauen haben. Als sie die Hütte betraten, stand Bahan mit fragendem Gesicht an der Feuerstelle. Als Uma ihm zunickte, kam er ihnen entgegen und nahm seine Tochter wortlos in die Arme.

      Tana

      Die Wochen vergingen wie im Fluge und der Tag des Abschieds kam. Sie hatten Luka und allen anderen erzählt, dass sich Laniki, weit ab von zu Hause, um eine Stelle als Magd beworben habe, bei der sie sehr gut entlohnt würde. Schon einige junge Mädchen waren diesen Weg tatsächlich gegangen. Der Krieg machte die Menschen arm. Da es immer weniger heiratsfähige Burschen im Umkreis gab, die für die Zukunft der jungen Frauen gesorgt hätten, waren die Eltern gezwungen, ihren Töchtern Arbeit zu suchen. Dies nicht zuletzt in der Hoffnung, dass es in der Ferne noch potenzielle Ehegatten zu finden gab. In der Heimat blieb den Mädchen nur die Möglichkeit, die schwere Arbeit der fehlenden Männer zu übernehmen und wahrscheinlich irgendwann als alte Jungfer zu sterben.

      Luka hatte heftig protestiert. Auch jetzt, als Laniki mit ihrem Bündel bereitstand, um von ihm Abschied zu nehmen, hing er an ihrem Arm. Er bat, sie möge ihn doch mitnehmen oder dableiben. Er hatte große Mühe seine Tränen zurückzuhalten, war aber auch zu stolz dazu, ihnen einfach freien Lauf zu lassen.

      Liebevoll erwiderte sie seine Umarmung. „Vater und Mutter brauchen dich hier! Du wirst doch ein guter Sohn sein und sie in allem unterstützen?“

      Er versicherte es ihr mit einem heftigen Kopfnicken.

      „Ich verspreche dir, wenn ich zurückkomme, werden wir uns nie wieder trennen müssen.“

      Im Gegensatz zu Luka hielt Laniki ihre Tränen nicht zurück. Bald brannten ihre Augen ebenso schmerzhaft wie ihr Herz. „Ich muss jetzt gehen“, sagte sie leise und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich. Dann nahm sie ihr Bündel auf, verabschiedete sich vom Vater und folgte ihrer Mutter zur Tür hinaus.

      Es war ungewöhnlich still, als sie durch den nächtlichen Wald liefen. Nur das gelegentliche Knacken eines zertretenen Zweiges und das Geräusch ihres eigenen Atems durchbrach die gespenstische Ruhe.

      Als sie an Eras Altar ankamen, wurden sie sich einer Gestalt in ihrer Nähe bewusst.

      „Ihr seid pünktlich. Das ist gut“, sagte eine Frauenstimme.

      Uma durchfuhr die Erkenntnis wie ein Blitz. Sie kannte diese Frau. Es war die Heilerin, die ihr bei Lanikis Geburt zur Seite gestanden hatte. Als sie ihr Gesicht sah, stellte sie fest, dass sich die Frau in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht im Geringsten verändert zu haben schien. Sie sah eher um etliche Jahre jünger aus.

      „Du?“, entfuhr es Uma.

      „Ja ich! Mein Name ist Tana. Ich diene Era schon seit einer Ewigkeit und das meine ich wörtlich. Glaubst du, die Göttin hätte die Geburt der Auserwählten dem Zufall überlassen?“

      Mit einem freundlichen Lächeln wandte sie sich jetzt Laniki zu. „Du hast dich prächtig entwickelt, mein Kind! Hab keine Angst, ich werde dir eine gute Lehrerin sein!“

      Aber Laniki hatte keine Angst. Ein Gefühl der tiefen Vertrautheit verband sie sofort mit Tana. Entschlossen, den Abschied so kurz wie möglich zu machen, drehte sie sich zu ihrer Mutter herum und gab ihr einen Kuss auf jede Wange.

      „Achtet auf Luka!“, bat sie noch einmal. Dann ging sie zu Tana hinüber. Diese nahm ihre Hand, nickte Uma zuversichtlich zu und zog das Mädchen sanft mit sich fort.

      Mit dem Gefühl, ihr Herz würde brechen, schaute die Mutter ihnen nach und begab sich bekümmert auf den Rückweg.

      Laniki