Während Magnus über die Bedeutung dessen grübelte, was Eva über Wilhelm Bornwart gesagt hatte, begutachtete er auf der Treppe unauffällig ihren Po.
Eva hatte ihn lauter in Erinnerung. Früher war er eine echte Nervensäge gewesen. Seht mal hier, schaut was ich kann – Eva und die anderen Kinder hatten nicht viel zu melden gehabt. Jetzt hatte sie zum ersten Mal Lust, ihn kennen zu lernen. Wenn er ihr auf den Hintern guckte, war das eine Frechheit, aber immerhin ein Anfang.
Maik kam hinter ihnen die Treppe herauf und klapperte mit dem Werkzeug.
“So, wo steht die Kiste, ich mache alles platt!” Er nahm zwei Stufen auf einmal, überholte sie und konnte es kaum erwarten, zu seinem Einsatzort zu kommen. Als er dann davor stand, überragte der gewaltige Schrank Maik um fast einen Meter. Eingeschüchtert nahm er sich vor, seine große Klappe besser unter Kontrolle zu halten.
Silke fand das Schlafzimmer ganz spannend. Die alte Schachtel musste Geld wie Heu haben, soviel war klar. Die geilsten Fummel gab es hier, quietschbunte Kleidchen, Schuhe mit Plateau-Sohlen, die sie an die Discobräute aus den Formel-Eins Videos erinnerten und Sonnenbrillen, die sie am liebsten gleich eingesteckt hätte. Ging natürlich nicht, was sollte Eva denken. Sie war ja lieb, aber sie machte sich auch entschieden zu viele Gedanken über alles. Offensichtlich fand sie ihren Cousin ganz geil. Aber nein, was sollten die Leute denken. Silke war egal, was die Leute dachten. Wenn Eva nicht mit ihrem Cousin in die Kiste wollte, würde sie eben ihr Glück versuchen.
Eva war erstaunt, dass ihre Freundin sich offenbar wie zu Hause fühlte. Silke war ein echtes Goldstück, immer da, wenn man sie brauchte. Sie kannten sich ewig, das war schön. Aber seit Silke Brüste bekommen und gelernt hatte, was sie damit anstellen konnte, war Eva oft genervt. Kaum waren Jungs in der Nähe, drehte ihre Freundin durch.
“Geile Fummel, was deine Oma hier hängen hat.” Offenbar unterzog sie Marias Garderobe einer eingehenden Prüfung und fand einige Teile als Urahnen aktueller Trends hochinteressant.
“Kann ich das mal anziehen?” fragte sie und hielt etwas hoch, das für Magnus irgendwie nach Sechziger Jahre aussah.
“Gern.” Eva wünschte, Silke würde ihre Modebegeisterung zügeln und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Hundert Mark wollten verdient sein.
“Wenn du magst, kannst du ja dann alles einpacken, was an Klamotten da ist.” Sie wandte sich zu Magnus und wurde rot. “Hast du Lust, mit mir in die Bibliothek zu kommen?”
Silke kam hinter der Schranktür hervor, die sie als Sichtschutz genutzt hatte. Sie war praktisch nackt, nur ein orangefarbener Hauch von Nichts bedeckte ihre Kurven. Eva war genervt, Silke begeistert, Magnus sprachlos. Wie beabsichtigt hatte Silke nun seine Aufmerksamkeit. Eva ging hinaus. Magnus merkte es erst nach einem kurzen Moment des Staunens.
“Komme.” rief er schließlich und nickte Silke anerkennend zu, bevor er seiner Cousine nachlief.
Silke lächelte zufrieden und übte noch ein paar Posen vor den verspiegelten Schranktüren, bevor sie wieder ihre Shorts anzog und den ersten Umzugskarton aufstellte.
Sei nicht albern. Eva sagte es sich immer wieder vor, als sie in die Bibliothek kam. Der Raum war buchstäblich von oben bis unten voller Bücher. Maßgefertigte Regale bedeckten alle vier Wände. Ein Tisch in der Mitte des Raumes bog sich ebenfalls unter Büchern. Ein Fenster an der gegenüberliegenden Seite des Raumes war das einzige Loch in der Bücherfront. Dicker Teppich dämpfte die Schritte. Früher, als sie mit dem Lesen angefangen und alles verschlungen hatte, was ihr in die Finger kam, wäre sie hier gerne auf Entdeckungsreise gegangen. Ihre ohnehin lebhafte Phantasie brannte wie Zunder, wenn sie durch spannende Geschichten befeuert wurde. Hier musste es Hunderte davon geben. Leider waren die Besuche bei ihrer Großmutter selten gewesen.
Sie brauchte Kartons. Im Türrahmen prallte sie gegen ihren Cousin.
“Ups.” sagte sie.
Magnus wich zurück und packte Eva instinktiv an den Schultern.
“Entschuldige, ich …”
“Ja, du warst kurz abgelenkt.” Eva lächelte wissend, dann beeilte sie sich, an Magnus vorbei zu kommen. Sie wurde wieder rot – gerade hatte er sie zum ersten Mal angefasst.
“Ich komme sofort. Kannst Dich ja schon mal umschauen. Das ist ein Stück Arbeit da drinnen.”
“Mein schöner Plan.” jammerte sie, als sie mit vier noch zusammengefalteten Kartons zurück kam. “Ich hatte alles genau aufgeschrieben, wer wann was macht. Jetzt wurschteln wir hier einfach so herum.”
“Keine Sorge.” beruhigte Magnus. “Das wird schon, wir sind erst zehn Minuten hier. Ich bin sicher, heute Mittag wirst du mit uns zufrieden sein.” Er nahm ihr die Kartons ab, klappte einen auf, begann ohne Umschweife, die ersten Bücher aus dem Regal zu nehmen und sah sie an. “Los Cousinchen, komm in die Hufe.”
Eva wurde schon wieder rot, dachte das muss unbedingt aufhören und machte es ihm nach.
Julius brauchte weniger als eine halbe Stunde für das Porzellan. Er ging nach oben, um seine Schwester nach einem neuen Auftrag zu fragen. Dann änderte er seine Meinung. Jetzt war die Zeit, dem Haus noch alle Geheimnisse zu entreißen. Er nahm die Treppe in den zweiten Stock. Lieblos war das Wort, nach dem er gesucht hatte. Das Haus wirkte lieblos, überhaupt nicht einladend. Herrschaftlich hin oder her, aber ein bisschen Nippes hier und da – etwas mehr Kitsch hätte der Bude eigentlich gut getan. Es roch nach Staub, Tapete und altem Teppich. Er öffnete eine Tür nach der anderen und entdeckte einen leeren Raum nach dem anderen. Außer Spinnweben gab es hier nichts, schon gar keine Geheimnisse. Erst das letzte Zimmer am Ende des Flures versprühte mit seiner Holzvertäfelung einen Hauch von altenglischem Billard-Altherrensalon-Charme. Ein Schreibtisch stand darin, zu groß, um aus den letzten Jahrzehnten zu stammen. Wer dahinter saß, konnte unmöglich die ganze Tischplatte mit den Armen erreichen, er musste schon mit einem Croupier-Schieber die Papiere hin und her bewegen. Vor dem einzigen Fenster hingen bodenlange grüne Vorhänge, die speckig aussahen wie das Gesäß einer Lieblings-Cordhose. Julius ging an der Wand entlang und strich mit der Hand über die Vertäfelung. In Edgar-Wallace-Filmen verbarg eine solche Vertäfelung üblicherweise einen Geheimgang. Natürlich war das billiger Unsinn, Julius amüsierte sich über sich selbst. Gerade als er sich abwenden wollte, knackte eine der Holzkassetten unter seiner Hand und gab leicht nach.
Sein Herz schlug schneller. Das Brett knarrte, wenn er leicht dagegen drückte. Er klopfte darauf, es klang hohl im Vergleich zur Nachbartafel. Anscheinend wurde das Holz an einer Seite von unsichtbaren Scharnieren gehalten, an der anderen Seite von einem Verschlussmechanismus. Julius drückte fester, aber außer einem Knarren erreichte er nichts. Die Neugier packte ihn, dem alten Edgar Wallace würde er schon helfen. Von sich selbst überrascht trat er entschlossen gegen die Vertäfelung. Das Haus sollte ja verkauft werden, im Notfall müsste er leider das Umzugsunternehmen anschwärzen – ein Unfall beim Einpacken oder etwas in der Art.
*
Magnus nahm zwei Hände voll und gab sie Eva, die die Kartons befüllte. Drei standen bereits fertig