Transkription. Christoph Papke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Papke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237117
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aber einfach talentierter gewesen seien. Da Hartmann sich wirklich gut im Fußball auskannte, sagten ihm die Namen natürlich etwas - bis auf den letzten.

      „Mein Kumpel Ömer war von uns allen mit Sicherheit derjenige mit dem größten Fußballpotenzial. Aber sein Vater stellte eine gute Schulausbildung mit Abi absolut in den Vordergrund. Die Schule und danach ein Studium hatten im Hause Titec Priorität. Fußball spielte nur die zweite Geige.“

      „Hat Ihr Freund nie bereut, die Chance auf eine Fußballkarriere vergeben zu haben, nur weil sein Vater dies nicht wollte?“, fragte Hartmann nach, da er selbst, wie fast alle seine Jugendfreunde, am allerliebsten Profi-Fußballer geworden wäre.

      „Nö“, antwortete der junge Fischer, „Ömer spielt immer noch Fußball - bei Türkyemspor in der Berlin-Liga, was ja auch nicht so schlecht ist. Außerdem hat er sein Sicherheitsmanagement-Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht abgeschlossen, nebenbei noch eine Ausbildung zum geprüften Detektiv gemacht und eine eigene Detektei eröffnet. Dem Jungen geht’s gut, er ist zufrieden. Und was seinen Vater anbelangt, hat der doch alles richtig gemacht. Ich hatte einige Fußballkumpels, die alles auf die Karte Fußball-Profi setzten und dann wegen einer Verletzung oder irgendeinem anderen Grund auf der Strecke geblieben sind. Die fristen jetzt ein richtig erbärmliches Dasein, weil sie die Schule nie interessiert hat, geschweige denn eine Ausbildung. Die haben echt abgelost. Außerdem, wenn Ömer Fußball-Profi geworden wäre, würde er jetzt wahrscheinlich in München, Barcelona oder bei Fenerbahçe Istanbul spielen und wir könnten uns kaum noch sehen.“

      „Sie leben zurzeit in Gütersloh, wie ich gehört habe, da sind Sie auch weit weg von zu Hause“, sagte Hartmann.

      „Ich fahre aber mindestens alle 14 Tagen nach Berlin“, stellte Fischer klar, „schließlich wartet dort meine Freundin. Und Familie habe ich ja auch noch.“

      Hartmann war von der Offenheit des Trainees so beeindruckt, dass er ihm spontan anbot, einer der nächsten Vorstandssitzungen als Gast beizuwohnen. Hätte der Medienmogul selbst einen Sohn gehabt und dieser ein Interesse gezeigt, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, hätte er ihm dieses Angebot ebenso unterbreitet. Einmal selbst an einer Vorstandssitzung teilzunehmen, wusste Hartmann, und mitzuerleben wie die wichtigen Entscheidungen gefällt werden, gehörte zu den größten Träumen seiner Mitarbeiter, vor allem seiner Nachwuchskräfte. Auch der junge Fischer freute sich über diese unverhoffte Einladung. Er entdeckte in dem „Alten“, wie der Konzernleiter respektvoll hinter vorgehaltener Hand gerufen wurde, beinahe so etwas wie einen - wenn auch wesentlich älteren - Kumpel. Keinen „Großkopferten“ oder Patriarch, den man niemals von sich aus ansprechen durfte und der schaltete und waltete wie ein Diktator. Anselm Fischer entdeckte in diesem obersten Vorgesetzten einen Menschen mit guten Führungseigenschaften und überhaupt keinen Allüren.

      Nicht weniger als weitere vier Wochen waren vergangen und noch immer hatte Lammroths zweites Manuskript nicht den Weg in Hartmanns Büro gefunden. Alle Nachforschungen in seinem Chefsekretariat sowie in der firmeneigenen Poststelle blieben ergebnislos. Hartmann war ratlos. Warum, fragte er sich, macht mich der Kerl erst heiß, um dann nichts mehr von sich hören zu lassen? Und warum, fragte er sich weiter, geht mir bloß dieses vermaledeite Manuskript mit dem angeblichen Polit-Skandal nicht mehr aus Kopf? Wenn es sich überhaupt um ein Manuskript handelte? Nichts, außer Lammroths effekthaschende Ankündigung, deutete schließlich darauf hin, dass dieses Schriftstück überhaupt in irgendeiner Form existierte. Nicht mal ein Exposé oder eine Gliederung oder eine Textprobe hatte Hartmann je erreicht. Und trotzdem, sollte nur ein Fünkchen Wahrheit in Lammroths Pitch glimmen, könnte daraus ein Sechser im Lotto entflammen, ein Bestseller, vielleicht sogar ein Weltbestseller.

      „Versuchen Sie nochmal Kontakt zu Herrn Lammroth aufzunehmen“, wies der Medienmogul seine Chefsekretärin an, „Per E-Mail, telefonisch oder sonst wie. Von mir aus schicken Sie jemanden aus der Berliner Filiale bei dem Mann vorbei. Hauptsache, ich erhalte endlich ein Zeichen.“

      Elisabeth von Goeben kümmerte sich darum. Täglich erstatte sie ihrem Chef Bericht über den Stand ihrer Nachforschungen. Nichts. Nachdem sie weder telefonischen Kontakt noch per E-Mail zu diesem Herrn aufbauen konnte, hatte die Chefsekretärin das Berliner Büro angewiesen, jemanden zu Lammroths Wohnung zu schicken. Tatsächlich hätten die Mitarbeiter unter der angegebenen Adresse ein Klingelschild mit dem Namen Lammroth gefunden, nur hätte niemand geöffnet.

      „Wie oft war jemand da?“, bat Hartmann um mehr Details. Elisabeth von Goeben las von ihrem Notizzettel ab: „Insgesamt haben unsere Mitarbeiter 7 Mal bei diesem Herrn Lammroth geklingelt – 2 Mal vormittags, 2 Mal nachmittags, 2 Mal abends und 1 Mal nachts kurz vor 12 Uhr.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Vielleicht ist der Mann verreist oder im Krankenhaus.“

      „Danke“, entgegnete Hartmann kurz und entließ damit seine Chefsekretärin aus seinem Büro - um sie gleich wieder zurück zu bitten. „Haben Sie die Berliner Kollegen über den Grund des Anliegens in Kenntnis gesetzt?“

      „Selbstverständlich nicht“, antwortete Frau von Goeben, „Ich habe lediglich in Ihrem Namen darum gebeten, jemanden vorbeizuschicken, um Herrn Lammroth daran zu erinnern, umgehend mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Das war alles.“

      Hartmann äußerte ein zweites Anliegen: „Und den Notizzettel vernichten Sie!“

      Elisabeth von Goeben schaute ihren Chef vorwurfsvoll an. Es hätte ihm klar sein müssen, dass dies auch ohne seine eindringliche Bitte geschehen wäre. Sobald die treue Seele das Büro verlassen hatte, begann Hartmann in winzigen Schritten die Ränder seines Teppichs abzulaufen. Warum sollte dieser Lammroth verreisen, fragte er sich, ohne vorher das Manuskript einzureichen? Oder wenigstens eine kurze Nachricht abzusetzen, dass dieses zu einem späteren Zeitpunkt geschickt würde. Autoren, wusste der clevere Verlagsprofi, waren so gut wie immer um eine möglichst zeitnahe Veröffentlichung ihrer Werke bemüht. Je eher ein Manuskript als fertiges Buch auf den Markt gelangte, desto schneller winkte dem Verfasser schließlich eine Vergütung. Darüber hinaus litten viele Schriftsteller an der Urangst, zu versterben, noch bevor sie ihr Werk als potenziellen Bestseller in der Buchhandlung bewundern konnten.

      Und noch etwas irritierte den Teppichgänger: Selbst wenn Lammroth Kontakt zu einem anderen Verlag aufgenommen hätte, um dort sein Werk zu veröffentlichen, so gäbe es doch keinen Grund, auf ein Klingeln an der Haustür nicht zu reagieren. Und dass der gute Mann siebenmal gerade außer Haus war, als Hartmanns Mitarbeiter ihn aufgesucht hatten, schien auch ziemlich abwegig. Und letztlich hatte der Kerl auch nicht auf die an ihn gerichteten Telefonanrufe und E-Mails reagiert.

      Nach vielleicht 20 Minuten meditativen Laufens auf dem Teppich beschloss Hartmann gemäß dem Motto „Wer nicht will, der hat schon“ zu verfahren und nunmehr den Fall auf sich beruhen zu lassen. Das Unternehmen, die Hartmann-Mediengruppe, stellte schließlich andere Forderungen an seinen Vorstandsvorsitzenden als Hirngespinsten hinterher zu jagen. Was soll’s, dachte er sich, im Grunde war dieser Lammroth ohnehin ein Scharlatan und Betrüger. Ein Dieb geistigen Eigentums, der vorgab, die gesamte Literatur für die Welt zu retten, sie stattdessen aber auf ganz billige Weise und dazu noch unverhohlen beraubte, wo er nur konnte.

      Es vergingen weitere vier Wochen, ohne dass Hartmann an diesen Lammroth denken musste. Der Alltag mit seinen ordinären Aufgaben und Pflichten hatte mitgeholfen, das zur Schlaflosigkeit führende Grübeln über den Mann zu verdrängen. Dessen Missetat und das angebliche Sensationsmanuskript zu vergessen. Sogar etwas Schönes konnte der Medienchef in dieser Zeit verbuchen. Ein Kleinod satirischer Kunst hatte den Weg in seine Lesestunde gefunden. Das Manuskript eines bislang unbekannten Autors erzählte die Geschichte einer verrückten Wohngemeinschaft, deren durchgeknallte Mitglieder mit den absurdesten Geschäftsideen zu ungeahntem Reichtum und weltweiter Anerkennung gelangten, sich im Gegensatz dazu aber immer weiter weg von konsumorientierten Neureichen und hin zu politisch überzeugten Anhängern des Minimalismus entwickelten.

      Endlich fand Hartmann auch Zeit, sich um Minister Hunschas Anliegen zu kümmern. Dazu besuchte der Medienmacher eine der vielen Redaktionssitzungen seines politischsten Fernsehmagazins, das unter dem Namen DURCHBLICK in den konzerneigenen Fernsehstudios nahe München produziert wurde. Gelassen, aber aufmerksam wartete er ab, bis die wesentlichen