Das Klinikum. Emanuel Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emanuel Müller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009224
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Heiko Hendrich hereinkam. Er war im Arztzimmer dabei gewesen, die Visite vorzubereiten.

      »Was ist los?« Verblüfft starrte er auf das Chaos. Keiner antwortete ihm, der Überwachungsmonitor und die Tätigkeiten am Bett verrieten eigentlich alles. Auf dem Flur hörte man jetzt die schnellen Schritte mehrerer Personen. Monika stieß die Tür auf. »Hier! Zimmer 5!«

      Zwei blau gekleidete Anästhesiepfleger und ein weiterer Arzt im Schlepptau stürmten herein. Einer schob einen Notfallwagen mit Defibrillator, der andere schleppte ein mobiles Beatmungsgerät. Dr. Hendrich stand in der Ecke und schien sich fehl am Platz zu fühlen. Der Anästhesist warf nur einen kurzen Blick auf den Monitor. »Was ist passiert?«

      »Äh ... Er kam gestern Abend mit Verdacht Mesenterialinfarkt.« Der Chirurg war augenscheinlich froh, etwas sagen zu dürfen. »Ich habe ihn in der Nacht operiert. Wir fanden einen Verschluss im Truncus coeliacus und ...«

      »Defi! Kammerflimmern! Und 1 mg Suprarenin!«

      Einer der Pfleger rollte den Defibrillator heran, Tom zog dem Patienten derweil das Krankenhausnachthemd aus. Der Anästhesist griff die Paddles und verteilte Kontaktgel darauf. Der Anästhesiepfleger schaltete das Gerät ein, sein Kollege klebte zusätzliche Elektroden auf den Patienten, die er an den Apparat anschloss. Dann zog er ein Medikament aus einer Glasampulle auf.

      »Achtung, laden!« Der Arzt drückte die Kontakte auf den Brustkorb des Mannes, vergewisserte sich, dass keiner das Bett berührte und rief: »Schock!«

      Herr Schwertfegers Körper zuckte kräftig zusammen. Die zitternde Linie des EKG schlug kurz aus und lief unverändert weiter.

      »Thoraxkompression!«, bellte der Anästhesist, nachdem er den Patienten intubiert hatte. Tom setzte die Herzdruckmassage fort. Der Anästhesiepfleger schloss das mobile Beatmungsgerät an.

      »Wiederholen!« Der Arzt schockte erneut. Nach dem dritten Versuch rief er dem anderen Pfleger zu: »300 mg Cordarex!« Der Angesprochene kam sofort mit einer Spritze herbei und verabreichte das Medikament über den venösen Zugang. Es schien alles nichts zu bewirken. Die Defibrillation wurde wiederholt, ohne Ergebnis.

      »Scheiße hier, verdammte!«

      Carola schüttelte den Kopf und trat hinter die spanische Wand, um nach dem zweiten Patienten zu schauen. Der Anästhesist schockte erneut. »Asystolie«, kommentierte einer der Anästhesiepfleger. Der Arzt schmiss die Paddles auf den Boden, drängte Tom zur Seite und setzte selbst die Herzdruckmassage fort.

      »Das wird nichts mehr«, warf Dr. Hendrich schließlich ein. »Kann ich jetzt Visite machen?«

      Sein ärztlicher Kollege sah auf den Monitor. Statt der Vitalparameter blinkten überall nur Fragezeichen. Die EKG-Linie hatte aufgehört, zu zittern und war ganz verschwunden. Einen Moment lang standen alle, bis auf den Chirurgen, wie versteinert da. Dann hörten sie die Stimme des anderen Patienten: »Könnte ich noch eine Tasse Tee bekommen?«

      Kapitel 6

      Lukas erwachte. Ein Sonnenstrahl schien ihm ins Gesicht und er blinzelte. Langsam kam die Erinnerung an den vergangenen Tag zurück. Mit klopfendem Herzen drehte er sich im Bett und dachte nach.

      Nachdem er sich vor der Tür zur leerstehenden Umbettung übergeben hatte, war er wie in Trance zur Notaufnahme zurückgekehrt. Mit leeren Händen, denn die Apotheke hatte er natürlich nicht gefunden.

      Er verschwendete kaum einen Gedanken daran, was ihm für eine Erscheinung begegnet war. Sein Gehirn schien es ihm zu verbieten. Und jetzt am nächsten Morgen erschien es ihm so unwirklich, als wäre das alles in Wirklichkeit gar nicht geschehen. Doch was hatte er gesehen? Eine Halluzination? Vielleicht durch irgendwelche Narkosegase in der Luft? Konnten solche Dinge Halluzinationen verursachen? Er hatte keine Ahnung.

      Schwester Sybille war sauer auf ihn gewesen, als er ohne die Medikamente zurückgekommen war. Von seiner Erklärung wollte sie nichts wissen. Stattdessen drohte sie ihm mit dem Regionalbetreuer, falls so etwas nochmals vorkommen sollte. Zum Glück hatte er heute frei, so einen freien Tag hatte er verdient. Er drehte sich im Bett, um auf den Wecker zu sehen: Es war 9 Uhr früh.

      In seinem Kopf schwirrten Gedanken umher. Doch keiner machte Sinn. Außer, dass er jetzt wusste, dass Schwester Sybille ihn nicht leiden konnte. Naja, wahrscheinlich gab es Schlimmeres. Auch, wenn er noch einige Monate bei ihr aushalten musste.

      Verwirrt sah sich Tom um. Er stand in einem dunklen Wald. Nebel waberte zwischen toten Bäumen. Etwas war im Anmarsch. Er spürte, dass er nicht allein war. Fröstelnd inspizierte er die nächtliche Umgebung. Beim Ausatmen sah er Dampfwölkchen.

      Er musste hier weg. Denn jemand kam näher. Jemand Böses.

      Langsam setzte er sich in Bewegung. Er stiefelte einfach in die Nebelschwaden. Verdorrte Baumäste schimmerten schwach im düsteren Mondschein. Tom beschleunigte seine Schritte. Das Böse war jetzt ganz nah. Das wusste er.

      Hastig rannte er durch den Wald, stürzte über Wurzeln und lose Äste und rappelte sich wieder auf. Als er sich durch tote Büsche zwängte, kratzte er sich die Haut auf. Dicht hinter ihm knackten Schritte. Sie waren ihm auf den Fersen ... Im Nebel tauchte ein kruder Holzzaun auf. Er bestand aus rohen Holzbohlen und schien in der feuchten Luft schon halb verfault. Tom sprang darüber hinweg und fand sich auf einer freien Fläche wieder, einer Art Weide. Unter den Füßen spürte er vertrocknetes Gras und Moos. Nebelschwaden bedeckten den Boden, so dicht, dass Tom unterhalb seiner Knie nichts sah. Da er wahrnahm, wie der Verfolger aufholte, setzte er zum Sprint an.

      Da, in der Ferne blinkte ein Licht! Als er weiterlief, erkannte er eine windschiefe Holzhütte aus losen Brettern. Das Dach war mit Schiefer gedeckt. Durch ein einzelnes Fenster sickerte ein düsteres, flackerndes Licht, wahrscheinlich Kerzenschein.

      Er musste da rein! Dort fand er Zuflucht vor dem Gegner! Hektisch rannte er auf die Hütte zu und riss an der Tür. Sie war verschlossen. Äußerlich wirkte das Gebäude, als könne es ein Lufthauch zum Einsturz bringen, doch so sehr er auch an der Tür rüttelte, nichts passierte.

      Jetzt spürte er eine böse Präsenz in unmittelbarer Nähe. Zaghaft drehte er sich um. Rings um ihn herum standen gruselige Gestalten in schwarzen Umhängen, die Gesichter tief unter Kapuzen verborgen. Jede Gestalt trug eine Fackel. Eine der Personen trat vor und baute sich direkt vor Tom auf, welcher vor Angst und Kälte zitterte. Langsam schob sie die Kapuze zurück ...

      Schreiend wachte Tom auf.

      Verdammt, wieder ein Alptraum! Und immer liefen sie ähnlich ab: Er wurde in einem dunklen Wald von schwarzen Gestalten mit Fackeln verfolgt. Und jedes Mal, wenn der scheinbare Anführer seine Kapuze zurückstreifte, erwachte er.

      Der Traum wurde häufiger und intensiver. Er musste etwas dagegen unternehmen …

      Kapitel 7

      Die Wochen vergingen. Das trübe Regenwetter blieb, dazu wurde es jedoch beständig kälter. Als Tom Ende November um die Mittagszeit aus dem Haus trat, um zur Arbeit zu fahren, regnete es in Strömen. Die Straße glitzerte vor Eis.

      Na toll, dachte er. Da wird die Traumatologie alle Hände voll zu tun haben mit Stürzen. Die Chirurgie war zurzeit allerdings auch fast bis auf das letzte Bett belegt.

      Vorsichtig lenkte er seinen Wagen auf die Umgehungsstraße Richtung Klinik. Der Verkehr ging nur zähflüssig voran. Wenigstens hatten die anderen Autofahrer ebenfalls Respekt vor der spiegelglatten Fahrbahn, auf welcher der Regen sofort zu einer Eisschicht gefror. Die Räumfahrzeuge schienen mit dem Streuen nicht hinterher zu kommen.

      Trotz aller Befürchtungen kam Tom heil an, stellte das Auto auf dem Mitarbeiterparkplatz ab und lief zügig zum Personaleingang. Er hatte heute Spätdienst mit Monika und der Stationshilfe Doris.

      Als die Krankenschwestern der Frühschicht nach der Dienstübergabe allmählich die Station verließen, wurde es ruhiger. Besucher waren bis jetzt auch kaum da. Wahrscheinlich traute sich keiner bei dem Wetter auf die Straße.