Das Klinikum. Emanuel Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emanuel Müller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009224
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      Die Notaufnahmeschwester hatte ihn sofort zurück an den Tresen geschickt, nachdem er die Nachricht überbracht hatte. Das ärgerte ihn. Da war endlich was Interessantes los, und er musste hier sitzen!

      Vom Flur hinter ihm kam ein Klappern. Die Tür zum Hubschrauberlandeplatz vor dem Krankenhaus wurde aufgestoßen und er hörte hektische Stimmen. Eine Minute später kehrte wieder Ruhe ein. Wahrscheinlich hatten sie den Patienten in den Schockraum geschoben, der speziell zur Behandlung von schwerverletzten Unfallpatienten eingerichtet war.

      Leise seufzend stierte er auf die Uhr, als könne er die Zeigerbewegung dadurch beschleunigen.

      Tom öffnete die Augen. Wo war er? Neugierig schaute er sich um. Ringsherum sah er im Mondschein trotz des wolkenverhangenen Nachthimmels verkrüppelte blattlose Bäume, soweit der Blick reichte. Ein kalter Wind pfiff durch die dürren Äste und brachte ihn zum Frösteln. Nebel stieg aus dem feuchten Waldboden empor und kroch an den Stämmen nach oben.

      Wie kam er hierher? Im Wald herrschte Totenstille.

      Tom irrte ein Stück herum, doch alles sah gleich aus. Überall tote Baumstämme und Nebelschwaden.

      »Hallo?« Sein Ruf verhallte ungehört.

      Plötzlich knackte es hinter ihm. Schritte im Unterholz. Er spürte sie mehr, als dass er sie hörte.

      Hektisch fuhr er herum, aber nichts war zu sehen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

      »Wer ist da?«

      Die Geräusche kamen näher. Er vernahm sie von allen Seiten.

      Jetzt konnte Tom Gestalten erkennen. Sie trugen schwarze Umhänge mit weiten Kapuzen, die Gesichter verhüllt. Es handelte sich um mindestens 10 mysteriöse Personen, welche ihn umkreist hatten und langsam auf ihn zu traten. In den Händen hielten sie Fackeln.

      Etwas war hier nicht in Ordnung ... Überhaupt nicht in Ordnung ...

      Er wollte was sagen, doch die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Kein Wort kam heraus. Zusätzlich drang ihm die Kälte in die Knochen. Inzwischen rückten die Individuen auf etwa einen Meter näher. Die Hitze der lodernden Fackeln brannte auf seiner Haut.

      Die Größte der Gestalten hob eine Hand und begann, die Kapuze abzustreifen. Langsam kam das Gesicht im Geflacker der Flamme zum Vorschein.

      Schreiend fuhr Tom auf. Er lag im Bett. Der Wecker zeigte 3 Uhr früh, ein bisschen Zeit hatte er noch, bis das Ding ihn für den ersten Arbeitstag wecken würde.

      Wieder so ein Alptraum. Das war bereits das fünfte Mal in diesem Monat! Und alle so ähnlich ...

      Während der Traum allmählich verblasste, sank er zurück aufs Kissen. Trotz des Schreckens schlief er schnell wieder ein.

      Kapitel 2

      Fröstelnd zog Tom die Jacke um sich, als er aus dem Auto stieg. Im Moment war der Herbst zwar noch recht mild, aber um 5:45 Uhr morgens spürte man von der Wärme des beginnenden Tages nicht das Geringste. Ein kalter Wind zog über den Mitarbeiterparkplatz.

      Er schloss den Wagen ab und stiefelte Richtung Haupteingang. Heute war sein erster Arbeitstag als Krankenpfleger auf der chirurgischen Station im Klinikum Maiwald. Vorher hatte er in einem Uniklinikum in Schleswig Holstein gearbeitet und in keiner Weise vorgehabt, die Stelle zu wechseln. Doch der Job hier war ihm extrem schmackhaft gemacht worden.

      Eines Tages hatte Tom einen Flyer im Briefkasten gefunden, welcher großspurig verkündete: Arbeiten Sie in einer der fortschrittlichsten Kliniken Deutschlands! Auf der Innenseite wurde das Krankenhaus als sehr innovative Einrichtung beworben, führend in der Forschung und mit vielen Vorteilen für die Mitarbeiter wie übertarifliche Bezahlung und schnelle, spezielle Qualifikationen. Von großen Aufstiegschancen war die Rede gewesen, und von weitergehenden Verdienstmöglichkeiten nach entsprechender Zusatzqualifikation und Einarbeitung.

      Dass der gesamte Text zwar verführerisch klang, doch auffallend allgemein gehalten war, hatte ihn zu diesem Zeitpunkt kaum gestört. So schickte er eine Bewerbung ab, zunächst nur aus Spaß und ohne sonderliche Erwartungen.

      Das Vorstellungsgespräch hatte ihm auch keine nennenswerten Informationen gebracht, bis auf das um ein Drittel höhere Gehalt. Der Pflegedienstleiter David Sommerheim hatte geheimnisvoll getan und ihm eine Menge Fragen gestellt. Über das Krankenhaus wollte er allerdings nicht viel verraten. Von den zukünftigen Kollegen erhoffte sich Tom mehr Auskünfte.

      Jedenfalls hatte er schnell eine Zusage erhalten und schweren Herzens in der Uniklinik gekündigt. Jetzt war er hier, frühmorgens an einem kühlen Herbsttag, auf dem Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz.

      Nachdem er das Krankenhaus betreten hatte, schlug er die Richtung zur chirurgischen Station ein. Den Weg kannte er, da er ein paar Tage zuvor kurz dort gewesen war, um sich vorzustellen.

      Auf dem Stationsflur herrschte Ruhe. Ein spärliches Dämmerlicht kam von kleinen Lampen an der Wand. Die übliche Nachtbeleuchtung.

      Die Station bestand aus einem langen Gang, von dem zu beiden Seiten die Türen zu den Patientenzimmern und Nebenräumen abgingen. In der Mitte lag das Schwesternzimmer. Eine hohe Glasscheibe verband es optisch mit dem Flur. Rechts davon befanden sich Umkleideräume für das Stationspersonal, links ein Aufenthalts- und Pausenraum.

      Tom zog den Schlüssel aus der Tasche, den er vom Pflegedienstleiter erhalten hatte, und betrat den Umkleideraum für die Männer. Eine Handvoll schmaler Spinde drängte sich in eine kleine Kammer. Tom öffnete den dritten Schrank und stopfte seine Sachen hinein. Die neue Dienstkleidung, Hose und Kasack, war für ihn bereitgelegt worden.

      Ganz in Weiß verließ er die Umkleide und trottete in den Aufenthaltsraum. Um einen quadratischen Tisch saßen 5 Frauen, die bei seinem Eintreten alle aufblickten. Carola kannte er bereits, die Stationsschwester. Sie war groß und kräftig, ohne jedoch dick zu sein, und hatte kurze dunkelblonde Haare, die nach allen Seiten abstanden.

      »Guten Morgen! Ich bin Tom Senger, der neue Pfleger hier ...«

      Carola sprang auf. »Guten Morgen! Setz dich!« Sie wies auf einen von zwei freien Stühlen. Tom schüttelte lieber zuvor noch alle Hände und lächelte ihren Besitzern freundlich zu. Eine nach der anderen stellten sich die Anwesenden als Schwester Monika, Barbara, Steffi (»Keine Schwester Stefanie-Witze!«) und die Stationshilfe Doris Schildhauer vor.

      Als er Platz nahm, bekam er einen A4-Zettel vor die Nase gelegt, auf dem in einer Liste sämtliche Zimmer mit Patientennamen aufgedruckt waren. Er bedankte sich gleichzeitig für das Blatt und die Tasse Kaffee, die Monika ihm gerade eingoss.

      Als eine weitere Krankenschwester den Raum betrat, sah Tom auf und schüttelte nochmal eine Hand. »Hallo, ich bin Tom!«

      »Schwester Iris, ich bin Dauernachtwache hier.« Mit einem Stapel Patientenkurven setzte sie sich auf den letzten freien Platz und goss sich ebenfalls einen Kaffee ein.

      »Die Station ist derzeit nicht voll belegt.« Carola sah ihn an. »Darum haben wir Zeit, dass ich dir nachher kurz das Krankenhaus zeige, wenn du einverstanden bist.«

      »Natürlich! Gerne!«

      Die Nachtschwester begann mit der Übergabe. Der Reihe nach ging sie alle Patienten durch und schilderte Besonderheiten, die im Nachtdienst oder im Spätdienst des Vortages aufgetreten waren. Für Tom nannte sie zusätzlich Diagnose und OP. Schließlich endete sie mit einer Frau Markwart, 67 Jahre alt, in der Klinik wegen akuter Appendizitis und Appendektomie.

      Nachdem er seinen Stift eingesteckt hatte, sah Tom erwartungsvoll in die Runde. Iris raffte die Patientenkurven zusammen und trug sie aus dem Zimmer. Die Stationsschwester blätterte in einem kleinen Notizbuch, welches vor ihr auf dem Tisch gelegen hatte.

      »Herr Oberberg steht als Erstes auf dem OP-Plan«, sagte sie. »Der muss vollständig gewaschen werden ... Ansonsten sind heute zur OP dran ... Herr Radel, Frau Spieß und Frau Rheinbach. Und Frau Senkbeil bleibt auch nüchtern«, wandte sie sich an die Stationshilfe Doris.