Das Klinikum. Emanuel Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emanuel Müller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009224
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zappelte.

      »Da haben wir uns ja einen eingehandelt ...«

      »Naja, morgen nach der OP kommt er auf die Intensivstation, das heißt, wir müssen ihn erstmal nur heute ertragen«, meinte Tom. »Wir hängen ihm nachher die Infusion an und verabreichen ihm seine Medikamente und um den Rest soll sich der Frühdienst kümmern!«

      Monika nickte zustimmend, während sie den Wagen zum nächsten Zimmer fuhr. Doch leider sollte es nicht so weit kommen.

      Kapitel 8

      Summen.

      Summen.

      Summen.

      Herrgottnochmal ... dieses penetrante Summen ...!

      Und diese ganzen Geräusche! Sie schienen von außerhalb des Zimmers zu ihm zu dringen ... Klappern ... klang wie Geschirr ... Stimmen ... von draußen ...

      »Na? Wie gefällt es dir? Hier kommst du nie mehr lebend raus!«

      Rudolf schlug die Augen auf. Er war nach wie vor an eine Art Liege gefesselt. Hände und Füße hatte man ihm festgebunden. Und er trug nur einen dünnen Stofffetzen. Vorhin hatte er noch eine Decke gehabt, aber die hatte er auf den Stasioffizier geworfen. Scheinbar hatte es nichts genützt, denn etwas später stand er wieder vor der Liege. Oder dem Bett. Eigentlich war es eher eine Art Krankenhausbett.

      Jetzt sah er vor sich Erich Mielke, Stasiminister. Er war also persönlich gekommen.

      »Du wirst diesem Raum nicht lebend verlassen! Du bist Abschaum für die gesamte Deutsche Demokratische Republik!«

      Rudolf wollte den Arm heben, um dem Minister eine reinzuhauen, doch der Fixiergurt hielt ihn zurück. Er hätte heulen können.

      »Ach, hau ab, du rotes Arschloch!«, brummelte er und schloss die Augen. Manchmal half das. Als er sie wieder öffnete, war Mielke verschwunden. An seiner Stelle stand jetzt ein Wolf. Ein riesiges hässliches Exemplar, mit 1,5 Meter Schulterhöhe und dunklem, zottigen Fell. Mit großen Augen sah er ihn an und knurrte bösartig. Dann sprang er auf das Bett.

      Rudolf schrie und trat um sich. Verdammt, er war hier gefesselt und nicht in der Lage, sich zu wehren! Das hatten die doch mit Absicht gemacht! Der Wolf bellte und schnappte nach seinem Gesicht.

      Er brüllte panischer und versuchte, die Arme an den Körper zu ziehen, um seine Kehle zu schützen. Geifer tropfte der Bestie aus dem Maul und tränkte den Stofffetzen, den er trug.

      Jetzt biss das wilde Tier in den Stoff und zerrte daran. Mit einem lauten Ratschen zerriss das gemusterte Material. Rudolf wimmerte und zog in Todesangst an den Fesseln. Da bemerkte er, dass die rechte Hand nicht so fest saß wie die andere. Dort hatten die beiden Stasimitarbeiter ihn vorhin erneut gefesselt, aber weil er sich dabei so gewehrt hatte, umschloss der Riemen nur locker das Handgelenk.

      Mit viel Mühe und Kraft zwängte er seinen Knöchel an dem gepolsterten Stoff vorbei. Einen Augenblick lang schien es nicht zu klappen, dann flutschte die Hand durch den Stoffring. Und das gerade rechtzeitig, denn der Wolf wollte nach seinem Gesicht beißen. Schnell riss er den rechten Arm davor. Das Monster biss hinein und ein schneidender Schmerz schoss ihm den Arm hinauf. Blut tropfte auf das weiße Bettlaken.

      Mit der freien Hand griff Rudolf nach der zweiten Fessel und versuchte, sie loszumachen. Irgendwie war alles mit schwarzen, runden Clips verschlossen.

      Im Zimmer stand noch ein weiteres Bett. Und an dessen metallenem Bettgiebel hing ein kleiner Gegenstand, scheinbar ein Magnet. Sonst würde er da nicht alleine halten. Heute Vormittag hatte er gesehen, dass sich damit die Fesseln öffnen ließen. Unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels hatten ihn zwei Männer festgehalten, während zwei Frauen ihm die Stricke anlegten, die sie zuvor mit ebendiesem Magneten geöffnet hatten. Und die nette Dame, die ihm Kaffee bringen wollte – eine Stasi-Sklavin – hatte die rechte Handfessel mit diesem Ding entriegelt und es danach wieder an das andere Bett gehängt.

      Rudolf registrierte nicht, dass der Wolf verschwunden war, er hatte ihn bereits vergessen. Stattdessen streckte er die Hand nach dem Magneten aus. Doch er kam nicht heran, die Entfernung betrug mindestens 2 - 3 Meter. Unter den gegebenen Umständen konnten es auch 2 - 3 Kilometer sein.

      Aufmerksam inspizierte er das Krankenbett, welches mit seinem identisch war. Es hatte Räder. Also hatte seines auch Räder. Vielleicht ließ es sich hinüberrollen?

      Er versuchte, mit dem Körper zu wippen, aber das Bett bewegte sich nicht. Wahrscheinlich war es festgebremst. Zu idiotisch ...

      Monika und Tom saßen beim Abendbrot und diskutierten über die Eisesglätte, als Herr Engel auftauchte. Er war ein dementer, 80 Jahre alter Patient. Den ganzen Tag spazierte er den Stationsflur auf und ab und versuchte, vorbeigehenden Leuten ein Gespräch aufzudrängen, welches vorn und hinten keinen Sinn ergab. Jetzt stand er vor dem Aufenthaltsraum, in der Hand ein paar Visitenkarten der Klinik, die im Wartebereich auslagen.

      »Was ist denn, Herr Engel?«, fragte Monika. »Sind Sie fertig mit essen?«

      Der alte Mann nickte versonnen. Dann kam er zu Ihnen in den Raum und legte eine der Visitenkärtchen auf den Tisch.

      »Hier. Ich habe heute Termin beim Doktor.« Mit dem Kopf deutete er Richtung Tom, den er offenbar für den besagten Doktor hielt.

      Monika nahm die Visitenkarte und warf einen Blick darauf. »Nehmen Sie bitte draußen Platz, der Doktor ruft sie auf«, sagte sie feierlich im gespielten Ernst.

      »Kann ich nicht jetzt drankommen?«, fragte Engel. »Meine Eltern warten schon, auf dem Parkplatz.«

      Tom spielte mit. »Ich werde Sie so schnell wie möglich aufrufen, aber nun setzen Sie sich bitte erst einmal draußen hin!«

      »Ja, mache ich, vielen Dank, Herr Doktor.« Der Patient wackelte hinaus.

      »Das reinste Irrenhaus ...«, murmelte Tom grinsend.

      Herr Engel schlurfte über den Flur, bis er etwas hörte. Es klang wie Hilferufe. Sie kamen aus dem Raum neben ihm. Er blieb stehen und besah sich die Sache.

      Eine weiße Tür, wie alle hier. Daneben eine 2. Logisch, es war ja auch das zweite Zimmer. Und darin schrie jemand um Hilfe. Er sah sich kurz um und betrat dann das Krankenzimmer.

      Rudolf rief schon eine ganze Weile. Besonders viel Hoffnung, dass jemand von den Stasileuten darauf reagieren würde, hatte er zwar nicht, aber man wusste ja nie ...

      Jetzt kam tatsächlich jemand in das Zimmer. Ein alter Mann, ein Greis. Das konnte kein Stasi-Mitarbeiter sein! Wahrscheinlich ein Leidensgenosse, der auch gefangengehalten wurde!

      »Hey! Hey, Kollege! Komm mal ran!«

      Herr Engel stutzte. »Ich?«

      »Ja! Komm mal bitte! Du musst mir helfen! Die Genossen halten mich fest!«

      »Warum tun die so was?«

      »Weil ich aus der BRD stamme! Und das können die nicht leiden!«

      »Wer sind die?«

      »Na die Stasi-Leute! Der Erich Mielke war persönlich hier!«

      »Echt?« Herr Engel schaute verärgert. »Na, da haben die sich wieder was geleistet! Wie kann ich dir helfen, Kamerad?«

      »Da drüben, an dem Bett! Da hängt ein Magnet!«

      Der alte Mann drehte sich um. »Der hier?«

      »Ja! Gib den mal her!«

      An seinem kleinen Henkel zupfte er den Magneten in Plastikeinfassung vom Bettgiebel und reichte ihn Rudolf, der ihn mit der freien rechten Hand ergriff.

      »Danke Kamerad! Du bist in Ordnung! Und nun flieh! Ich werde dann folgen! Gemeinsam stürzen wir sie!«

      Herr Engel nickte feierlich und tippelte aus dem Zimmer. Er hatte schon eine Minute später jegliche Erinnerung an diesen Vorfall verloren und schlurfte den Gang entlang.