Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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lachte und zog Mara zu sich; ein angenehmes Gefühl machte sich in ihr breit.

      „Dort wo ich herkomme, auf Ogarcha, habe ich immer mit meiner Freundin so gelegen“, erzählte Mara. „Und sie hat auch immer in meinen Haaren gewühlt, so wie du jetzt.“

      „Es ist schön so“, bestätigte Milla. „Und dann habt ihr geredet?“

      „Meist hat sie geredet und ich habe zugehört. Das, was ich sagte, gefiel ihr selten. Sie meinte, entweder sei es total verrückt oder es mache ihr Angst.“

      „Sie wollte es nicht hören?“, fragte Milla vorsichtig.

      „Nein.“ Am liebsten hätte sie mit den Achseln gezuckt. „Das ist alles schon so fern.“

      „Mara, darf ich dich etwas fragen?“, bat Milla leise.

      „Hm?“

      „Wie ist er so?“

      „Wer?“ Mara unterdrückte ein Grinsen. „Reik?“

      „Ja.“

      „Oh, er ist … kein einfacher Mensch, würde ich sagen, ich kenne ihn nicht so gut. Er macht sich viele Gedanken, eigentlich ständig, über alle möglichen Dinge, und er weiß viel über andere Menschen. Ich glaube, er ist schwierig.“

      „Schwierig?“, wunderte sich Milla.

      „Ja. Er ist klug und er weiß genau, was er will. Aber das sollte man von jemandem, der König werden will, wohl auch erwarten können.“

      „Das ist eine … interessante Beschreibung.“

      „Wohl nicht die, die du hören wolltest?“

      „Ich weiß nicht genau, was ich hören wollte“, gestand Milla. „Ich bin ihm noch nie begegnet, habe ihn nur mal von weitem gesehen. Seltsam, aber alles, was ich von meinem nächsten König weiß, stammt aus den Erzählungen anderer. Oder aus Gerüchten.“

      Mara war verblüfft. „Du hast noch nie mit ihm gesprochen?“

      „Leider nicht. Wahrscheinlich würde ich ohnehin kein Wort herausbringen, oder wirres Zeug stammeln.“

      „Warum?“, wollte Mara wissen.

      „Weil … ach, ich weiß nicht“, wich Milla aus.

      „Ich rede gern mit ihm, es ist … so herausfordernd. Du lachst? Das ist mein voller Ernst“

      „Das glaube ich dir, Mara, wirklich“, beschwichtigte sie Milla. „Aber du bist schon komisch, jede andere Frau hätte mir erzählt, wie gut er aussieht, was für ein großartiger Mensch und aufregender Mann er ist und wie hervorragend er kämpfen kann.“

      „Vielleicht, nur … Ich dachte, dich würde interessieren, was ich denke. Wenn du etwas anderes hören wolltest, tut es mir leid.“ Ärgerlich setzte sie sich auf.

      Milla zog sie hastig wieder neben sich. „Sei mir nicht böse, Mara. Natürlich will ich wissen, was du denkst, sonst hätte ich auch … Nein, ich hätte nicht einmal irgendeine andere Frau fragen müssen, ich wüsste ihre Antwort bereits. Ich habe mich nur gewundert … und zugleich gefreut. Du warst sehr ehrlich mit deiner Antwort, sehr offen, was deine Meinung anbelangt, und das ist schön.“ Zärtlich küsste Milla ihre Nasenspitze. „Nicht wahr, du bist mir nicht böse?“

      „Nein, ich bin dir nicht böse, Milla …“ Sie rollte sich auf sie, drückte Millas Hände neben ihrem Kopf in die Kissen und strich mit dem Finger ihren Halses entlang. Ihre Stimme klang heiser. „Ich bin dir sogar alles andere als böse. Ich wünschte, ich wäre ein Mann, jetzt.“

      „Aber wieso?“

      „Ich würde dich küssen wie ein Mann. Dich verführen wie ein Mann. Doch ich bin eine Frau, ein Mädchen, und du, du nimmst sie nicht ernst, diese Gefühle, denn ich bin eine Frau. Aber das macht nichts. Ich war auch Anella nicht böse, sie hat es ebenfalls nicht ernst genommen. Es gefiel ihr, sie fand es aufregend, vielleicht wollte sie mir auch nur einen Gefallen tun …“ Der Gedanke war neu, ein bisschen erschreckend. „Aber sie meinte es nicht ernst, nicht wirklich.“

      „Aber du meinst es ernst?“, flüsterte Milla mit belegter Stimme.

      „Ich meine immer alles ernst.“

      „Mara, ich … Woher willst du wissen, dass ich es nicht ernst …“, fragte Milla stockend.

      „Ich kann deinen Gefühlen sehr genau nachspüren, dazu muss ich nicht in dein Bewusstsein eindringen. Das solltest du als Priesterin eigentlich wissen, auch wenn du noch Schülerin bist. Ich könnte deine Gedanken lesen, wenn ich wollte, einfach so. Ich bin eine Zauberin, Milla.“ Sie bemühte sich, ihre Stimme nicht drohend klingen zu lassen.

      Milla sah Mara mit großen Augen an. „Ja … eine Zauberin, und das sollte ich ernst nehmen, nicht? Würdest du mich trotzdem küssen, obwohl ich … obwohl du kein Mann bist?“

      Mara küsste sie, und Milla war so weich, so anschmiegsam und … völlig wehrlos. Sie war ganz außer Atem, als Mara von ihr abließ.

      Mit einem Lächeln stand Mara auf. „Begleitest du mich in den Tempel?“

      „Jetzt noch? “, fragte Milla überrascht. „Es ist schon dunkel.“

      „Und?“

      „Da ist niemand mehr.“

      „Umso besser.“

      „Mara, weißt du … ich finde es nachts unheimlich im Tempel.“

      „Hast du etwa Angst?“, wunderte sich Mara. „Wovor denn?“

      „Lach mich bitte nicht aus! Es klingt vielleicht … verrückt, aber … Wenn ich allein im Tempel bin und niemand da ist und spricht, dann höre ich Geräusche. Ein Säuseln, das aber nicht vom Wind kommt. Manchmal hört es sich beinah wie Gesang an, nur ganz leise. Ich habe Sina danach gefragt, aber die meinte nur, ich hätte zu viel Phantasie, da wäre nichts. Und Nadka, die ihre Bemerkung gehört hat, hat mich ausgelacht“, berichtete Milla verzagt.

      „Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass Sina diesen Gesang nicht hört, weil sie ihn einfach nicht hören kann?“, fragte Mara.

      „Und Nadka?“

      „Vielleicht hatte sie nur Angst zuzugeben, dass sie etwas hört, weil Sina sie dann auslachen würde. Oder sie hört nichts, wer weiß?“

      „Dann …“ Milla zögerte, „du glaubst, da ist tatsächlich etwas?“

      „Natürlich. Milla, das ist ein Tempel, nicht irgendein beliebiges Gebäude.“

      „Dann hast du es auch gehört?“, rief Milla.

      „Ja, aber das muss nicht viel heißen. Ich höre auch Stimmen, wenn gar keine da sind. Na ja, ich bin eben …“

      Millas eben noch erleichterter Gesichtsausdruck verfinsterte sich wieder. Vielleicht war Mara doch etwas zu offen gewesen. „Aber falls es dich beruhigt: Auch Reik hat den Gesang gehört, in Dalgena.“

      Und manchmal sagte sie genau das richtige. Milla strahlte sie an. „Ist das wahr?“

      „Frag ihn selbst. Du möchtest mich also wirklich nicht begleiten?“

      „Wenn es dir nichts ausmacht, lieber nicht.“

      „Gut, dann werde ich dich jetzt in deine Kammer begleiten. Schläfst du allein?“, fragte Mara interessiert.

      „Nein, mit drei anderen Mädchen zusammen. Aber die schlafen sicher schon“

      Millas Kammer befand sich im selben Gebäude, im westlichen Trakt des Erdgeschosses. Mara warf einen kurzen Blick in den Raum: Er war kleiner als ihr Schlafzimmer. Sie verabschiedete sich leise von Milla und begab sich zum Tempel.

      (Ende 51. Tag)

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