Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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übrigen Flüsse sind relativ fruchtbar und können bewirtschaftet werden.“

      „Ah. Und die Bewohner von Kalimatan sind womöglich bedeutend fruchtbarer als ihr Land?“

      „Genau das, sie brauchen mehr Land“, erklärte seine Majestät.

      „Aber …“, grübelnd sah Mara auf die Karte und schüttelte den Kopf, „das ist unsinnig. Wenn ich mehr Land brauche, dann suche ich mir doch kein so schwer zu erreichendes wie Mandura, überall sind hohe Gebirgsketten. Und außerdem leben da bereits Menschen. Wäre es nicht naheliegender, sie gingen in den Süden? Das Land ist fruchtbar, sie müssten zwar einen Teil des Waldes roden, und besonders viele Menschen leben dort auch nicht. Und mit denen treiben sie sogar schon Handel. Sie müssten es womöglich gar nicht erobern, und wenn doch, dann wahrscheinlich ohne große Mühe!“ Grimmig biss sie die Zähne zusammen, als sie an die Eroberung von Ogarcha dachte, sah dem König aufgebracht ins Gesicht. „Warum unbedingt Mandura, das ist dumm.“

      „Sie sind überzeugt, sie hätten ein Anrecht darauf.“

      Überrascht blickte Mara zur Tür und hatte plötzlich einen trockenen Hals, als sie Reik an den Türrahmen gelehnt stehen sah. Wasser lief ihm aus den Haaren und über das Gesicht, tropfte von seinem Mantel auf den Boden, wo es sich in einer Pfütze um seine dreckigen Stiefel sammelte. Er wirkte müde und hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte er in letzter Zeit zu wenig Schlaf und nur wenig Ruhe bekommen.

      Gebannt beobachtete Mara, wie er lächelnd ins Zimmer und um den Schreibtisch herum trat, nach ihrer Hand griff und leicht mit den Lippen ihre Fingerspitzen berührte. „Ich bin erfreut, Euch hier zu sehen, Gènaija. Darf ich?“

      Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach, nickte aber. „Ja … natürlich, Hoheit.“

      Sacht zog Reik das Tuch, das Mara sich um den Nacken gelegt hatte, von ihren Schultern; sie bekam eine Gänsehaut. „Danke. Was für ein Wetter! Wahrscheinlich bekommen wir heute Nacht Sturm. Habt ihr schon zu Abend gegessen, Vater?“

      „Nein, du erscheinst ausnahmsweise pünktlich.“

      Reik ging nicht auf diese Spitze ein, sondern blickte Mara aufmerksam an. Er reichte ihr seinen Arm. „Bei solch angenehmer Gesellschaft. Kommt Ihr?“

      Zustimmend legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm. „Und wieso?“

      „Wieso? Weil ich Hunger habe, Ihr nicht?“

      „Doch, sicher. Aber wieso sind sie überzeugt, ein Anrecht auf Mandura zu haben?“, kam Mara auf ihre Frage zurück.

      „Oh, das. Meint Ihr nicht, wir sollten uns erst einmal zu Tisch begeben? Man lässt einen König nicht warten.“

      „Und das sagt Ihr, Hoheit?“

      „Ich bin der nächste König.“

      Mara schwieg und setzte sich auf den Stuhl, den der König ihr amüsiert schmunzelnd anbot, um sich dann selbst ans Kopfende des Tisches zu begeben. „Ich habe ernsthafte Zweifel, ob Mara dir dazu etwas sagen wird, Reik. Falls sie überhaupt etwas weiß. Mir jedenfalls wollte sie nichts verraten. Greift zu, Mara.“

      „So?“ Reik, der sich inzwischen des nassen Mantels und seines Schwertgürtels entledigt, Gesicht und Haare notdürftig abgetrocknet hatte, wollte ebenfalls Platz nehmen, zögerte aber und zog auch noch die Uniformjacke aus, die er Mara hinhielt. „Zieh sie an, Gènaija, dir ist doch kalt. Die Decke dürfte beim Essen etwas unpraktisch sein.“

      „Aber …“

      „Aber?“

      Fragend sah Mara ihm ins Gesicht. Sie wusste sein Verhalten nicht zu deuten. Erst war Reik ihr gegenüber sehr formell, dann wechselte er plötzlich von einer formellen Anrede zu einer persönlichen und bot ihr auch noch seine Jacke an, so als ob er … als müsste er für sie sorgen. Reik schaute sie nur abwartend an. Ewig konnte sie ihn ja nicht so stehen lassen, also nahm Mara die Jacke. Sie war wesentlich wärmer als die Decke und duftete nach ihm.

      Reik setzte sich. Neben sie, nicht über Eck, wie der König.

      „Nichts … danke. Du wolltest mir von den Überzeugungen der Ostländer erzählen.“

      „Kannst du nicht …“, bat er stirnrunzelnd.

      „Nein.“

      Müde sah Reik zu seinem Vater. „Würdest du bitte, Vater, ich …“

      Kalt schnitt der König ihm das Wort ab, seine Stimme klang scharf, schneidend. „Junge, du kannst dir nicht einfach den angenehmen Teil heraussuchen und den ganzen Rest mir überlassen. Sie hat dich gefragt.“

      Wutentbrannt sprang Reik auf und warf seine Serviette auf den Tisch, die ein Glas traf, welches umfiel und klirrend zerbrach. „Den angenehmen Teil?! Immerhin bin ich es doch, der diesen verdammten Krieg führen muss! Und womit?! Wenn ich Glück habe, kommandiere ich im Winter eine Armee von dreißigtausend Soldaten, doch egal wie viele noch dazu kommen, bis die Ostländer angreifen, es werden nicht genug sein!“ Reik drehte sich zornig zum Fenster hin, die Hände zu Fäusten geballt.

      Betreten sah Mara auf ihren Teller, hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Da das wohl schlecht möglich war, bemühte sie sich, wenigstens möglichst still zu sein und rührte sich nicht.

      Der König war ebenfalls aufgestanden, beugte sich angespannt vor, die Fäuste auf den Tisch gestützt und nicht minder aufgebracht als sein Sohn. „Wirfst du mir das etwa vor? Wirfst du mir vor, dass ich niemals Winterkönig war, dass ich es nie sein musste?!“

      Reik wandte sich wieder seinem Vater zu. Wie zwei wütende Hunde, die im nächsten Augenblick aufeinander losgehen, funkelten sie sich über den Tisch zornig an. Mara beobachtete sie atemlos, abgestoßen und fasziniert zugleich.

      „Nein, das werfe ich dir nicht vor. Aber ich werfe dir vor, dass du zugelassen hast, dass dieses Land in eine solche Situation geraten ist. Du hast zugelassen, dass die Verteidigungsanlagen der Städte in einem miserablen Zustand sind, hast zugelassen, dass die Armee mehr und mehr zusammengeschrumpft ist! Mandura ist nicht in der Lage, sich gegen einen großangelegten Angriff der Ostländer zu verteidigen!“

      „Du übertreibst, Junge, dein Bruder sagt …“, versuchte der König zu klären.

      „Ach was, mein Bruder, Leif hat Angst! Sieh dir die Berichte von Remassey an, sieh dir die Berichte der Leute an, die wir in Kalimatan haben. Marok wartet nur noch auf einen Grund, uns den Krieg zu erklären!“

      „Sicher, Remassey. Der Mann verdient nicht schlecht am Aufbau eines großen stehenden Heeres. Selbstverständlich sagt der dir nur, was du hören willst.“

      „Auch wir verdienen nicht schlecht, Vater, das weißt du“, erwiderte Reik.

      „Offensichtlich, denn mein Sohn glaubt, unsere besten Pferde einfach verschenken zu können“, spottete der große, schwere Mann herablassend.

      „Er gehörte mir.“

      Unsicher blickte Mara von einem zum anderen. Der Streit schien an einem gefährlichen Punkt angelangt, jedes weitere Wort konnte eines zu viel sein. Seltsam, immer dann, wenn die Stimmen leiser wurden, nachdem sich zwei Menschen angeschrien hatten, wurde es erst wirklich schlimm. Dann, wenn die Stimmen beißend, ätzend wurden, die Worte bewusst verletzend.

      Leise stand sie auf und trat ans Fenster. Jemand musste die Läden schließen, sonst würden die heftigen Böen noch die Scheiben eindrücken. Und die Palastbediensteten würden es nicht wagen, ins Zimmer zu kommen, solange Reik und sein Vater derart lautstark stritten.

      Der Wind riss Mara fast den Fensterflügel aus den Händen, nachdem sie sie geöffnet hatte, um die Läden zuzuziehen. Sie spürte die Blicke der beiden Männer auf sich, auch wenn keiner sie direkt ansah, als sie an ihren Platz zurückkehrte. Immerhin hatten beide die Zeit genutzt, sich wieder zu setzen.

      Und was sollte sie tun? Wenn die zwei nicht den Anfang machen wollten, sie würde es ganz bestimmt nicht tun. Ihre eigentliche Frage nach dem