Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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König blickte ihm nachdenklich nach, wandte sich dann wieder Mara zu. „Mir scheint, Ihr habt Euch gut eingelebt. Wie man hört …“

      „Ja. Was hört man denn so?“, fragte sie nach.

      „Dieses und jenes, viel Gutes“, erklärte der König etwas vage.

      „Ich bin wirklich gern im Tempel, und die Stadt gefällt mir auch, nur das Wetter nicht, so nass und kalt. Aber es soll ja angeblich wärmer werden. Bald.“

      „Der Sommer fängt gerade erst an, Mara. In einem Monat stöhnt Ihr dann unter der Hitze.“

      „Ja, vielleicht“, stimmte sie zu. „Die Einteilung der Monate finde ich … seltsam. Zuerst habe ich überhaupt nicht verstanden, warum einige Monate dreißig Tage haben müssen und andere einunddreißig. Auf Ogarcha hat man sich nach dem Mond gerichtet, da hatte jeder Monat achtundzwanzig Tage, fertig. Keine Rechnerei.“

      „Der zusätzliche Tag ergibt sich daraus, dass an den Tagen der Sonnenwende beziehungsweise der Tag- und Nachtgleiche wichtige religiöse Feiern stattfinden“, erläuterte der König. „Es sind, sozusagen, Feiertage, und hier in Mandura wird recht ausgiebig gefeiert.“

      „Ja. Und heute ist der erste Tag im Monat der Sommersonnenwende, nicht wahr?“

      „Offenbar habt Ihr es doch verstanden, das stimmt.“

      „Gut. Eigentlich ist es ja nicht so wichtig; ich hatte nur eine recht kompliziert aussehende Zeichnung in einer der Schriften aus dem Tempelarchiv gesehen“, erklärte Mara, „mit Symbolen von Sonne und Mond und vielen Pfeilen, und diese Zeichnung sollte wohl das ganze verdeutlichen. Sah sehr interessant aus.“

      Bestätigend nickte der König. „Ich kenne die Zeichnung, oder zumindest eine ähnliche. Und Ihr habt die Sache mit den Monaten einfach so verstanden, ohne weitere Erklärung, nur anhand der Zeichnung?“

      „Na ja, nicht gleich, es hat schon ein bisschen gedauert“, gestand Mara. „Es werden ja nicht nur die Monate erklärt, sondern noch ganz andere Dinge, zum Beispiel Himmelserscheinungen.“

      „Jetzt verstehe ich, warum Lorana neulich so zufrieden schien... Ah, der Tee.“

      Ein Palastdiener brachte ein Tablett mit Tee und dem hier wohl unverzichtbaren Gebäck. Er stellte alles auf einen kleinen Tisch, den er zwischen die beiden Sessel rückte, und reichte erst dem König, dann ihr eine Tasse. Sie nickte dankend.

      „Ihr macht so ein ernstes Gesicht, Mara, habt Ihr Sorgen?“

      „Im Moment nicht, jedenfalls nichts … Eher Sorgen allgemeiner Art. Ich denke nicht ständig über das nach, was mir Sorgen bereitet, nur wenn es sinnvoll erscheint, angebracht.“

      Mara trank einen Schluck Tee, beobachtete den König über den Tassenrand hinweg aufmerksam. Der Palastdiener hatte diskret den Raum verlassen.

      „Wieso …“ Der König stockte kurz. „Wann erschiene es Euch denn sinnvoll?“

      „Dann, wenn ich nicht gezwungen wäre, immer den gleichen Gedankengängen zu folgen, auf immer die gleichen Fragen zu stoßen. Doch das hängt wohl in erster Linie von Eurer Bereitschaft ab, Majestät, meine Fragen zu beantworten.“

      Abrupt stand der König auf, trat ans Fenster und sah in den Regen hinaus. Der Wind war stärker und böiger geworden. „Nur um jedes Missverständnis auszuschließen, unbjita, wir sprechen vom Krieg?“

      „Bisher nicht, Majestät, allerdings erscheint es mir zwangsläufig, dass im Laufe dieses Gesprächs auch der Krieg ein Thema sein wird.“

      Er drehte sich zu ihr um, beobachtete Mara nicht weniger genau als sie ihn. „Einverstanden. Dann wird hoffentlich auch mein Sohn hier sein, denn als Winterkönig wird er diesen Krieg anführen.“

      „Vermutlich“, kommentierte sie.

      „Ihr lasst Euch nicht so einfach überlisten, nicht wahr?“

      Maras Mundwinkel verzogen sich zu einem winzigen Lächeln. „Wozu sonst hätte ich Unterricht bei Lorana? Ich habe die Frage in der einen oder anderen Form erwartet.“

      „Und Ihr werdet es mir nicht sagen?“

      „Nein, werde ich nicht, Majestät“, verneinte Mara höflich.

      „Was wisst Ihr über die Ostländer?“, wechselte der König das Thema.

      „Sehr wenig. Das Kitainagebirge bildet die Grenze zwischen Mandura und den Ostländern, die Ostländer kommen, meist im Sommer, über die niedrigeren Pässe und plündern Dörfer, … es gibt dort vermutlich Zauberer, zumindest zwei oder drei, und … Ach ja, im Süden hat man schon immer recht gute Geschäfte mit den Ostländern gemacht.“

      „Ihr habt das nicht gewusst, oder?“, vermutete der König.

      „Nein, natürlich nicht. Auf Ogarcha waren Geschäfte, und sind es vermutlich immer noch, ausschließlich Angelegenheit der Männer. Vielleicht waren ja sogar einmal Ostländer auf Ogarcha, ich weiß es nicht.“

      „Nun, möglich ist das, die Burg gehört zum Grenzland. Würdet Ihr mich nach nebenan begleiten?“, forderte der große, kräftige Mann sie auf. „Ich möchte Euch etwas zeigen.“

      Die Decke um sich raffend und an einem Gebäckstück knabbernd folgte Mara dem König neugierig in ein weiteres Arbeitszimmer, in dem dieser einige zusätzliche Kerzen entzündete und in die Wandhalter steckte. „Mein Sohn erwähnte, dass Ihr Euch für Karten, Landkarten, interessiert?“

      „Oh ja, ich liebe Landkarten“, erwiderte Mara voller Eifer. „Zeigt Ihr mir eine Karte von den Ostländern?“.

      „Genau das hatte ich vor.“

      Seine Majestät entrollte eine große Karte auf dem Schreibtisch und beschwerte sie an den Ecken. „Also, hier haben wir Mandura, das Kitainagebirge, und von hier bis zu diesem Gebirge im Osten reicht Kalimatan, wie die Ostländer ihr Land bezeichnen. Im Norden ist der Grenzverlauf nicht so klar. Diese beiden Ausläufer der Berge von Angarask umschließen eine Hochebene, auf der ein bis vor wenigen Jahren noch unabhängiges Reitervolk lebt, welches jedoch von den Ostländern erobert wurde. Sagen die Berichte von Seiten des Reitervolks“, berichtete der König. „In der Lesart der Ostländer heißt es, man habe ein Bündnis geschlossen. Hier im Südosten, im Mündungsgebiet des Jamburs, der im südlichen Kitainagebirge entspringt und ostwärts durch Kalimatan bis zum Meer fließt, liegt Dessum, Hauptstadt des Königreiches.“

      „Noch ein Meer oder Teil des Meeres im Westen?“, fragte Mara nach.

      „Noch ein Meer. Wahrscheinlich käme man vom Meer im Westen zu dem im Osten, wenn das Nordmeer schiffbar wäre. Aber es ist nur kurze Zeit im Jahr nicht völlig von Eis bedeckt. Im Süden sind die Meere jedoch durch die Landmasse getrennt. Die Südgrenze von Kalimatan verläuft in etwa hier, von den Marsch- und Sumpfgebieten an der Küste südlich von Dessum über diesen Höhenzug bis zum Saum des Großen Waldes, von dort wieder nordwärts, östlich an den Dunklen Höhen vorbei bis fast zur Tameran-Kette.“

      Mara hatte schweigend zugehört, fuhr mit dem Finger an der Küste des Meeres entlang, bis sie Ténégre gefunden hatte, und staunte. „Das ist ja noch viel weiter südlich als Ténégre!“

      „Ihr kennt die Stadt?“, wunderte sich der König.

      „Na ja, kennen nicht gerade. Mein Vater stammt aus Ténégre, und ich wurde ebenfalls dort geboren. Hat Reik Euch das nicht erzählt?“

      „Nein, das hat er nicht.“

      „Hat er wohl vergessen. Also, Kalimatan ist eindeutig größer als Mandura, ungefähr doppelt so groß“, stellte Mara fest. „Aber das heißt noch nicht besonders viel.“

      „Nein. Seht Ihr diesen Bereich?“ Der König deutete auf eine nahezu leere Fläche, die fast den gesamten Nordwesten Kalimatans einnahm.

      Die Symbole sagten Mara nichts, wenige Hügel auf gelblich grauem Grund. „Sieht recht leer aus, was ist das?“

      „Nichts