Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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morgen Wachdienst?“, erkundigte sich Mara.

      „Ja, noch vor Sonnenaufgang, am Eingang zum Tempel.“ Dann kam sie auf Maras Frage zurück: „Also sag schon, warum?“

      „Lorana deutete vorgestern an, sie würde mich zur Priesterin weihen, wenn ich den Wunsch danach hätte“, berichtete Mara. „Ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass sie unbedingt will, dass ich Priesterin werde. Jedenfalls bekam sie ziemlich schlechte Laune, als ich ablehnte.“

      Verblüfft musterte Sina sie. „Das kann ich mir vorstellen. Und jetzt möchtest du gern wissen, was du da so leichtfertig abgelehnt hast?“

      „Nicht leichtfertig. Sina, ich bin Magierin und kann nicht zugleich Priesterin sein. Ich wäre Lorana, dem Tempel verpflichtet und … das geht nicht“, erklärte sie schlicht.

      „Oh je, ein ziemlicher Gewissenskonflikt, stimmt's? Ehrlich gesagt habe ich nie besonders intensiv darüber nachgegrübelt, was es bedeutet, Zauberin oder Magierin zu sein.“

      Maras Lachen klang fast ein wenig hilflos. „Was es bedeutet? Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, was ich überhaupt kann, wo meine Grenzen sind.“

      „Probiere es doch einfach aus“, meinte Sina.

      „Wenn du dich für Versuche zur Verfügung stellen willst. Manche Dinge …“, sie verstummte, konnte Sina nicht erklären, wofür sie selbst kaum Worte fand. Sie ahnte nur, dass sehr viel möglich und die Grenzen erschreckend fern waren. Dann fuhr sie fort: „Du sagtest vorhin, ich wüsste viel zu viel. Dabei ist das Gegenteil ist der Fall: ich weiß viel zu wenig. Ich weiß nicht einmal, worüber ich nichts weiß.“

      „Armer Schatz“, bedauerte Sina sie aufrichtig. „Und aus diesem Grund musst du in all diesen alten Papieren und Schriften wühlen, anstatt anständige Dinge zu tun?“

      „Ich muss eben lernen. Würdest du bitte mein Kleid aufmachen, allein ist das etwas schwierig.“

      „Nichts lieber als das, Süße.“

      „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich…“, wollte sich Mara entschuldigen.

      „Dass du nackt schlafen musst, weil du kein Unterkleid als Nachthemd da hast? Nein. Ich habe dich schon häufiger nackt gesehen, da werde ich ein weiteres Mal auch noch ertragen.“

      Deutlich spürte Mara, dass Sina mit den Händen wie zufällig immer wieder die nackte Haut ihres Rückens berührte, während sie die Bänder ihres Kleides löste. Es überraschte Mara nicht, dass Sina zärtlich ihre Schultern küsste, ihren Nacken. Wohl aber, dass Sina sie umdrehte, nachdem sie das Kleid von ihren Schultern gestreift hatte und es zu Boden glitt, sie lange betrachtete und dann sehr zärtlich ihren Mund küsste. Ihr Blick schien zu flackern, doch vielleicht war das nur das Kerzenlicht. Ihre Stimme klang wie immer, etwas heiser, mit einem spöttischen Unterton. „Ab ins Bett, Süße. Und deck dich zu, du bist ganz kalt.“

      Mara stieg ins Bett, kuschelte sich in die weichen Decken und kam sich vor wie ein Tier in seiner Höhle, sicher und geborgen. Als Sina zu ihr ins Bett kam und die Schale mit den Kirschen zwischen sie beide stellte, fühlte sie sich unendlich wohl. Sie genoss die Situation, die leichte, knisternde Spannung, die zwischen Sina und ihr herrschte.

      „Dass du diese sauren Dinger so liebst, ist mir vollkommen unverständlich“, erklärte Sina.

      „Aber sie sind doch köstlich.“ Dann forderte sie ihre Freundin auf: „Erzählst du mir jetzt vom Tempel und davon, wie man Priesterin wird?“

      „Aber gern. Also, Priesterin wird man ... wenn man sich berufen fühlt. Den starken, unwiderstehlichen Wunsch verspürt, den Göttern zu dienen und den Menschen zu helfen. Das gilt ganz besonders für die Heilerinnen. Eine Frau muss mindestens sechzehn Jahre alt sein, um als Schülerin im Tempel aufgenommen zu werden, dasselbe Alter, das ein Bursche haben muss, um Soldat werden zu können.“

      „Aber Jula war noch nicht sechzehn“, wandte Mara ein.

      „Nein, er hat wohl ein bisschen mit seinem Alter gemogelt“, meinte Sina lapidar. „Im Übrigen ist er auch zu jung, um Gardist zu sein, er ist noch keine zwanzig.“

      „Ich weiß.“

      „Natürlich weißt du das, die Frage ist wohl eher, ob Reik das weiß“, Sina betonte jedes Wort mit Nachdruck.

      „Ja, Jula hat es ihm gesagt.“

      „So? Und weiß Reik auch von dir?“, wollte Sina wissen.

      „Von mir?“

      „Weiß er, dass Jula sich fast jeden Abend mit dir trifft?“

      „Das meinst du.“ Mit einer vagen Geste hob sie die Schultern. „Keine Ahnung. Reik weiß eine ganze Menge, warum nicht auch das? Wenn er es genau wissen will, soll er mich halt fragen, schließlich weiß er, wo ich mich aufhalte.“ Ihre Stimme klang jetzt brüsk.

      „Täusche ich mich, oder kann es sein, dass du ein wenig gereizt auf das Thema Reik reagierst?“, fragte Sina behutsam.

      Irritiert schüttelte Mara den Kopf. „Nein, warum sollte ich?“

      „Weil es sich so anhört, Süße.“

      „Das hat nichts mit Reik zu tun. Aber offenbar will jeder von mir aufregende und romantische Geschichten über ihn und mich hören, sehr … persönliche Erlebnisse, und dazu bin ich nicht bereit. Ich habe Reik seit meiner Ankunft in Samala Elis nicht gesehen, geschweige denn mit ihm geredet. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

      „Und du bist doch gereizt.“

      Mara zuckte nur die Achseln und schwieg.

      „Zurück zu den Priesterinnen“, setzte Sina das einmal begonnene Thema fort. „Es findet ein längeres Aufnahmegespräch statt, um sicher zu gehen, dass es der angehenden Priesterin ernst ist. Wie das genau abläuft, weiß ich nicht, ich war nie dabei. Die Frau, oder sagen wir lieber das Mädchen, muss bis zu ihrer Weihe Jungfrau bleiben, bis zum Ende der Schülerinnenzeit also, ungefähr zwei, drei Jahre nach Aufnahme in den Tempel. Nach der Weihe ist sie noch keine fertige Priesterin, doch sie genießt bereits den vollen Schutz und die Obhut des Tempels.“

      „Warum muss sie jungfräulich sein?“, wollte Mara wissen.

      „Tradition. In früheren Zeiten durften Priesterinnen gar keinen körperlichen Kontakt zu Männern haben, höchstens bei besonderen religiösen Anlässen, bei Ritualen im Tempel.“. Sie blickte Mara an. „Sieh mich nicht so an, das ist wahr! Das wurde aber längst abgeschafft, vielleicht, weil es kaum noch Frauen auf sich nehmen wollen, Priesterin zu sein. Heute gilt diese Anforderung noch für die Zeit als Schülerin. Die Arbeit einer Priesterin ist nicht immer einfach und sie erfordert viel Geduld und Standhaftigkeit. Aber sie bringt auch ’ne Menge Ansehen und den Schutz des Tempels, der Götter sogar, wie manche meinen, aber das ist wohl eher eine Glaubensfrage. Du unterstehst einzig dem Tempelgesetz, auch als Tempelwächterin.“

      „Was besagt das Tempelgesetz denn?“, fragte Mara sofort.

      „Es regelt so gut wie alles im Tempel und im Tempelbezirk. Zum Beispiel schreibt es vor, dass Männer in Tempelangelegenheiten nicht viel zu sagen haben, die dürfen nicht einmal bewaffnet in den Tempel hinein. Hm, das gilt aber nicht für den König“, schränkte Sina ein. „Oder, heutzutage, für Gardisten im Dienst. Ich nehme an, das war auch sinnvoll. Waren ohnehin seltsame Zeiten damals, angeblich wurden sogar Menschen geopfert. Vielleicht ist das aber auch nur so eine Geschichte.“

      „Menschenopfer – im Tempel?“ Mara lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

      „Im Tempel unter dem Tempel. So heißt es jedenfalls.“

      Ein Grund mehr für Mara, unbedingt an den Schlüssel zu den Gewölben heran zu kommen. Und wenn es dort einen weiteren Tempel gab …

      „Was denkst du jetzt, Süße?“ Sina wickelte eine Strähne von Maras Haar um den Zeigefinger, sah sie aufmerksam an.

      „Ich muss morgen