Vampire Blues 1. Thomas Barkhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Barkhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738075410
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von einem Schiff, das taub und schwer gegen die Kajenmauer taumelt, Stahlbänder zurückschleudert, tödliche Lassos, die Gliedmaßen abtrennen. Oh Hafen, schick ein Meer zu mir, dass ich mich daran kauere.

      Help. Help. Help me, baby, please, if you can. Help me. Help me, baby, please, if you can. Help me. Help.

      Aber es half keiner, Trosse klatschten, rissen Beton aus Beton. Nichts, das bleiben konnte, nur das Schreien, das gegen die Wände krachte, zeitlupenlangsame Schiffsleiber, die Kajen küssen mit stählerner Inbrunst. Sie schrie, schrie aus Lungen, die einzustürzen drohten, schrie implodierend. Gelb, tödlich, wollüstig.

      Vacant

       Ende Tagebucheintrag.

      O ja. Sie hatten ihr die Rezeptoren für Musik verstärkt, ihre Matrix konditioniert. Punk it, Baby. Shout it out loud! Sie versprachen sich so eine effektivere emotionale Kontrolle, wenn sie die aggressiven Impulse in Musik kanalisierten, statt darauf zu warten, wohin sie wohl flottieren mochten.

      I’m so pretty vacant.

      Das Mädchen, das sie Rahil genannt hatten, stob durch den Raum.

      Die Wände flogen auf sie zu.

      Vacant.

       NESTOR

       Zodiak.

       Adipös.

      NESTOR

      Als Erstes eine ganze Kaffeetasse sehr starken Mocca aufbrühen (türkisch). Ziehen lassen. Eier trennen. Nebenher die Butter zusammen mit der Schokolade in einem Extratopf schmelzen…

       Nestor, Zodiak, adipös (was fettleibig bedeutet).

      Kein Schokoriegel mehr.

      Vacant.

      Für einen, der so gut wie keine Gefühle kennen sollte, war er ziemlich genervt. Er wusste nicht einmal genau warum eigentlich. Er musste das nachregulieren lassen. Gastritis.

      Help me, baby, if you can.

      Gelbes Haar, gelbe Brille, gelber Overall - sogar gelbe Lippen. Entschieden zu viel gelb. Er hieb auf den Enter-Button und ließ das Hologramm des unsäglichen Mädchens wieder verschwinden.

       Nestor dachte, ohne es in einem Tagebuch festzuhalten:

      War er jetzt endgültig in der archäologischen Retro angelangt? Gab es nichts Schlimmeres, was sie ihm antun konnten? Wohl kaum.

       (Sorry, Nestor dachte in der dritten Person, Singular – so wie Rahil in ihrem Tagebuch auch schreibt …)

      Individualität, schön und gut. Ein beschissenes Konstrukt. Pardon, du sollst nicht fluchen! Individualität. Ein Fake. Menschliche Philosophie. Gelb. Funny Girl, funny Baby. Ein Ich. Was sollte das sein? Etwas, das es nicht gab.

      Dass ein Elitemodell Extravaganzen an den Tag legen würde, darauf hatten sie ihn vorbereitet. Trotzdem war er genervt, Magenschleimhaut ätzend genervt, um exakt zu sein. Er war ein Einzelgänger. So hatten sie ihn programmiert.

      Was sollte dieser Quatsch jetzt? Ehrlich, was sollte das?

      Er war kein Kindermädchen. Sie brauchte kein Kindermädchen. Er kaute auf einem imaginären, synthetischen Schokoriegel. Ohne Nüsse diesmal. Und genau genommen war er auch nicht ihr Kindermädchen. Er war niemandes Kindermädchen. Wieso waren hier keine Nüsse drin? Walnüsse, Haselnüsse, Nussnüsse. Warum?

      Sie war der Prototyp, er der alte Hase. Emotionskontrolle. Ausuferndes frühzeitig erkennen, richten, beheben. Neu skalieren. Und keine Nüsse. Sie hatten ihr die Extravaganzen mitgegeben wie ihm die Genervtheit, das Mürrische. Ein programmierter Griesgram. Ein synthetischer Phillip Marlowe für die, die immer zu spät aufstanden. Kanäle, erkennbare Kanäle, kontrollierbare, sichtbare Kanäle. Alles kontrollierbar. Und man konnte kokettieren mit diesen Eigenheiten.

       Ende Gedanken Nestor, nicht festgehalten in einem Tagebuch.

      Langsam fing er an, richtig genervt zu werden. Er ließ den Blick über die Kontrollmonitore gleiten. (Kein Schokoriegel weit und breit.) Die Monitore zeigten die neuralgischen Punkte der Mall, die Zuchtfarmen, das Zentrallabor - kobaltblau unter einem Sichelmond -, den Eingang zum Konvent und die mit Stacheldraht bewehrten Grenzen zur „Zone“. Auffälliges war nicht zu erkennen. Schwarz-taube Nacht.

      Nestor hockte vor dem Monitor des Z-CO, der zentralen Datenbank, in der alle Fakten und Gerüchte und Vermutungen über die Vampire und ihre Gegner gespeichert waren. Er sah auf den Monitor. Gelb. Er sah auf das Fenster, das schon vor geraumer Zeit aufgesprungen war, er sah schon eine Weile darauf und ihm fiel auf, dass er „geraum“ für ein ziemlich schreckliches Wort hielt, fast so schrecklich wie „ziemlich“, knapp gefolgt von „schrecklich“.

      „Gratulation zu Ihrer neue Assistentin.“

      Nestor hustete, er wusste nicht warum. Er sah in ein markantes Gesicht von durchaus ästhetischem Reiz - „durchaus“, Superwort. Was dachte er sich nur heute Nacht für eine Rhabarber-Grütze in seinem Kopf aus?

      Die Gesichtszüge sauber und präzise gezirkelt. Als hätte sie einer am Reißbrett entworfen. Und das würde auch der Fall gewesen sein. Ein Paar blassgrüner Augen. Klar und offen. Und er dachte, er sähe eine Spur naiver Unschuld in diesen Augen. Milch geschüttet in einen Blick, der nur sehen sollte, was ein Blick sehen soll. Weiße, blinde Weiße, keine Wahrheit.

      Text erschien unter ihrem Bild in schwarzen Lettern.

      „RAHIL, Zodiak, Elite-Modell. Erscheinungsbild menschlich, weiblich, 184 cm, 64 kg, genetisches Datum 2066. Terminierungsberechtigt auf Anweisung des Konventes.“

      Und er dachte, dass er aufhören sollte ‚und’ zu denken.

      „Typ der bioretischen Sonderreihe Z4Y. Ausgereiftester Prototyp. Keine automatische Begrenzung der Lebensdauer. Verfügt über Erinnerung, damit anfällig für Gefühle.“

      Fuck!

      „Alle zwei Wochen Emotionstest, bei Bedarf öfter. Einzig residierendes Exemplar dieser Reihe.“

      Er musste auch aufhören ‚Fuck’ zu denken.

      „Status: Agentin, Sondereinheit Z4. Spezielle Ermittlungen. Nicht sterilisiert. MD-Sicherung.“

      Nestor bleckte unwillkürlich die Zähne wie ein Hund, der wusste, dass er gleich etwas mit der Leine übergezogen bekam. Bastardhund, der er war - mit neuer Bastardhund-Assistentin an seiner Seite.

       Neue Gedanken. Nestor, die Gedanken, die er denkt:

      MD-Sicherung.

      Fuck!

      Das Medusa-Prinzip

      Er musste wirklich aufhören ‚Fuck’ zu denken.

      Kleine Beigabe. Hush, hush, little darling! Todbringendes Steinmonster. Hush, hush! Von dem sie mit Sicherheit nichts wusste.

      Rahil. Ein Joke der Kreateure. Rachel. Rahel. Das Lamm. Tod-ummantelt. Wer würde es schlachten? Das Lamm. Frisch aus der Produktion mit allen Schikanen und allen Extras. Fucking beeindruckend!

       Neue Gedanken. Nestor. Ende.

      Er betrachtete ihr Gesicht in der dreidimensionalen Gitterlinienprojektion. Ließ ihren Körper sich drehen, animierte ihn per Klick, ließ ihn zucken in lächerlichen Tanzkrampfbewegungen. Er war ein böser, böser Zodiak-Detektiv. Zu alt, zu gastritisch und im Moment komplett schokoladenriegelfrei. Und dieses Medusa-Ding war eine verfuckt-beschissene Angelegenheit. Das Fluchen war nicht gut, er musste auf sich achten. Er liebte die Sprache der Anderen. Er sah auf den Monitor, auf ihren Körper.

      Wow. Sie hatten sich wirklich Mühe gegeben. Gescanntes Pin-up aus den 50ties. Nur die Titten zu klein. Kampf-Modus,