Vampire Blues 1. Thomas Barkhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Barkhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738075410
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für jene, die gelaufen kamen zu den Resten dieses Schlosses, dessen Lage niemand mehr kannte. This is the end / My only friend, the end

      In einem entfernten Wipfel krächzte schemenhaft ein Kauz seine einprogrammierte Tonfolge in unregelmäßigen Intervallen in die Nacht.

      Nebel kroch träge hinter den Stümpfen der Ruine hervor, aus dem dunklen Schlund des zahnlosen Bauwerks, das einmal prunkvoll gewesen war und nun bedauernswert daniederlag. Zernagt von Feuchte und Zeit und Wind. Nur im hinteren Teil gab es noch einen kleineren Saal, der fast erhalten war. Einen Kaminsalon mit hohen Fenstern, deren Glas seltsamerweise noch nicht zerbrochen war, verhängt von schwerem roten Brokat, in den, wenn man die Türen öffnete, der Wind griff und ihn bauschte. Beautiful friend.

      Archill saß vor dem Bauwerk. Sah nachlässig auf den rückwärts laufenden Chronometer mit dem kobaltblauen Armband an seinem Handgelenk: 2 hours, 11 min, 16 sec ... 15 sec ... 14 sec --- to dawn --- distance 2 miles 45 yards. Rote Ziffern, blau umrahmt, auf dem Display, die zählten, was es zu zählen galt, obwohl es nichts zu zählen gab. Denn Zeit war ihm egal.

      My only friend the end / Of our elaborate plans, the end…Blau, schwarz, schön. So kauerte er auf einem der zerfressenen Reste der inneren Steinmauer, deren steinerner Handlauf schon zu Staub zerfallen war - nur die Pfeiler standen noch -, sah blicklos in die Nacht. In die Nacht.

      Archill erhob sich. Of everything that stands, the end / No safety or surprise, the end / I'll never look into your eyes again… (Jim Morrison)

       RAHIL

       Zodiak.

       Genetisches Datum 2066.

       Bioretische Sonderreihe Z4Y.

       Ausgereiftester Prototyp.

       Begrenzung der Lebensdauer: nicht vermerkt.

      RAHIL

      Aktenvermerk, Sonderakte Objekt L…:

      RAHIL, Zodiak. Genetisches Datum 2066. Bioretische Sonderreihe Z4Y. Ausgereiftester Prototyp. Anmerkung: Keine automatische Begrenzung der Leberdauer?

      (Korrektur: nicht Leberdauer sondern Lebensdauer - Das R streichen und ersetzen!)

      I’m so pretty, you’re so pretty …

      Sid kotzte nicht. O no, Sid! No, Sid!! No, Sid, noch nicht!!!

      I’m so pretty, you’re so pretty …

      Sie schreibt von sich in der dritten Person. Was auch immer die erste Person sein möge oder die zweite...

      Sie schreibt.

       RAHIL, Zodiak, genetisches Datum 2066, schreibt in ihr Tagebuch:

      Schmetterlingsflügel, die flattern. Gelb. Flattern über die Wände wie Schatten, die zu sterben sich anschicken. Sie spannt die Fersen. Das Drehen im Bauch wie von einer Bohrmaschine auf Extasy. Sie stößt sich ab.

      I’m so pretty, your‘ re so…

       Ende Tagebucheintrag.

      Sie stößt sich ab von den Wänden.

       RAHIL, Zodiak, genetisches Datum 2066, neuer Eintrag:

      Sie stieß sich ab. Bam! Viel zu hart an den Wänden. Bam! Bam! Viel zu groß die Füße. Größe 43. Bam! Bam! Bam! Todbringend. Believe me, baby!

      Rahil gelb. Rahil 184 cm. Rahil.

      Ihre Arme wirbeln wie Rotoren eines Helikopters, der wirbelt, wirbelt, der sich in den Tod sägen will. Dem Meer entgegen.

       Ende Tagebucheintrag.

      Wie ein schwarz geflügelter Schattentod, so prangte es in pissgelb über ihrem auf den Boden gegrätschten Futon Never Mind the Bollocks. Here are the Sex Pistols Keiner wusste, wie und woher sie sich das Cover der Schallplatten-Antiquität beschafft haben mochte, aber irgendwie hatte sie es geschafft.

      Rahil. Elite-Zodiak. Brüste klein, fest, athletisch, zum Körperbau passend, passend zu einem Mann, flach.

      Sie musste tief in den Archiven gegraben haben, mit beiden Händen, oder einen gehabt haben, der ihr half - dummes, dummes Zodiak-Mädchen -, um noch ein Original zu bekommen.

      Das Mädchen, das Nestor später insgeheim das „gelbe Mädchen“ nennen werden würde, tobte in Schimpansen-Geschwindigkeit durch ihr Appartement. Zerfetzte mit ihren Sohlen die Luft, zerschnitt sie mit den Fersen in hauchdünne Scheiben. Ihr Tanzstil war so antiquiert wie die Musik, zu der sie tanzte.

       RAHIL, Zodiak, genetisches Datum 2066, neuer Eintrag:

      I’m so pretty, your‘ re so…

       Ende Tagebucheintrag.

      VOGELSCHWESTER

      „Künstlich Nacht.“

      Archill streckte sich. Streckte sich dreimal. Sah in die Nacht. Strich die eine widerspenstige schwarze Haarlocke aus der Stirn und machte sich langsam und behäbig auf den Weg.

      Das Käuzchen krächzte aufgeregt, als könne es seinen Abschied noch hinauszögern, als verließe es der Eine, für den es krächzte und die Nachtstille zerriss.

      Krächz weiter! Zerreiß die Nacht! Zerreiß sie! Zerreiß den Wind! Schluck ihn! Spei ihn aus! Tu dein Werk!

      Archill nickte, Abschied nehmend, in Richtung des Vogels. Zwergenbruder, aufgeregter Schreihals, schweig! Ich teile nun die Nacht nicht länger mit dir. Schweig, wie ich es tu, schweig! „Künstlich Nacht.“

      Hinter ihm schwamm die Schlossruine mit ihrer beschädigten Haupthalle schon in Nebelschwaden, deren Arme wie die eines Schwimmers ausgriffen und den Schlund des steinernen Eingangsportals und die gebrochenen Säulen, die zu dessen Füßen ruhten, erreichten und langsam die Konturen mit wabernden Schwaden zu verspeisen begannen. „Und schafft sich künstlich Nacht.“

      Nacht. Vers. Schwärze. Indianer, die das Kanu angreifen, das tanzt und auf den Wasserfall zutreibt. Pfeile, rote Indianer-Pfeile, seine Begleiter. Das Rauschen des Abgrunds im Ohr, keine Treidler, die es halten.

      Archill lachte laut, als er dem Satz nachlauschte, den er in die Nacht des aufziehenden Nebels gesprochen hatte, salbungsvoll. Ein Satz des schwulen, alten Engländers, den er liebte.

      Er lachte es, das kurze, harte, das bittere, charakteristische, abgehackte Lachen. Der Ruf des Kauzes antwortete ihm sehnsuchtsvoll.

      „Nicht Nacht, großer Poet! Tag. Künstlich Tag. Die Welt voll künstlichen Tags. Das ist die Verdammnis der Nachtgeschöpfe. Taglichtote, die wir sind, geschmiedet in schwarz-bleierne

      Ewigkeit!“

      Verstehst du? rief er dem Vogel zu.

      Aber der verstand nicht.

      VACANT

      I’m so pretty

      Wollte sie Kakerlaken zertrampeln? Böse, böse Kakerlaken! Etwas zerstören, das unter ihren Fußsohlen hervorquellen würde, von dem sie aber nicht wusste, was es war, auf das sie aber sehr, sehr wütend war. Die feinen scharfen Züge, verzerrt, wütender auf alles als je zuvor. Orang-Utan-Zähne fletscht sie über babypinkem, feucht schimmerndem Zahnfleisch.

      I’m so pretty, you’re so pretty …

      Sie schreit.

       RAHIL, Zodiak, genetisches Datum 2066,